Berlin. Für die Öffentlichkeit ist der Cum-Ex-Skandal längst befremdlich. Scholz muss mehr dazu beitragen, die Vorwürfe gegen ihn aufzulösen.

Über Angela Merkel hieß es lange, sie sei eine Kanzlerin der Krisen gewesen. Olaf Scholz ist in nur neun Monaten Amtszeit in ganz andere Krisen-Dimensionen vorgedrungen: Krieg in Europa und Kriegsgefahr im chinesischen Meer, brutal steigende Inflation und eine historische Energiekrise für Private und die Industrie. Dazu kommt jetzt eine persönliche Glaubwürdigkeitskrise, die ihn aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister immer stärker einholt.

Es geht dabei um die Frage, ob Scholz in irgendeiner Form half, dass die Stadt Hamburg der noblen Privatbank Warburg zwischenzeitlich 47 Millionen Euro Steuern erließ. Eine Nachzahlung wegen krummer Geschäfte in der sogenannten Cum-Ex-Affäre, bei der Landes- und Privatbanken ein florierendes Ringgeschäft mit Wertpapieren organisierten und sich dabei Steuern erstatten ließen, die in Wahrheit nie gezahlt wurden.

Cum-Ex-Skandal: Was wusste Scholz alles?

Dass Scholz in irgendeiner Form befasst war, steht fest. Es liegen mittlerweile so viele Gesprächsnotizen, Kalender-Einträge und Aussagen vor, dass klar ist: Der heutige Kanzler hatte mit dem Vorgang zu tun. Allerdings sind zwei entscheidende Fragen noch nicht beantwortet: Wie intensiv hat sich Olaf Scholz mit dem Thema befasst? Hat er seine Gesprächspartner unter Hinweis auf die Gesetzeslage abblitzen lassen oder war sein Verhalten sogar strafrechtlich relevant?

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat auf Letzteres bislang keinen Hinweis, ermittelt aber im gesamten Fall weiter. Die Staatsanwaltschaft Köln durchforstete sogar das Emailfach des Bürgermeisters Scholz und von dessen Büroleiterin. Das Problem von Scholz ist: Er wird diese unappetitliche Steueraffäre einfach nicht los. Seine Verteidigungslinie, er habe keine Erinnerung an Gespräche, beispielsweise bei einem Frühstück mit dem Inhaber der Warburg-Bank, ist juristisch vielleicht effektiv, aber wenig plausibel.

Ist es wirklich möglich, dass sich ein Politprofi und Jurist wie Scholz an drei Gespräche mit einem schwerreichen Hamburger Bankier zu einem derart sensiblen Thema nicht erinnert? Oder dass er die Erinnerung nicht anhand eigener Gesprächsnotizen wieder herstellen kann?

Dazu kommen seltsame Zufälle wie der Bargeldfund im Bankschließfach von Johannes Kahrs, des gut vernetzten Hamburger Ex-Abgeordneten von der SPD, der ganz offiziell erhebliche Parteispenden von Warburg angenommen hatte.

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Aussitzen kann Scholz die Cum-Ex-Affäre nicht

Für die Öffentlichkeit ist der ganze Vorgang schon lange mehr als befremdlich und gefühlt weit weg von den offiziellen Darstellungen, die einem über die Jahre aufgetischt wurden. Kein normaler Mensch, der versucht, bei seinem Finanzamt eine berechtigte Steuerforderung abzubiegen, kann sich vorstellen, dass ein Finanzamt mal eben freiwillig auf 47 Millionen Euro verzichten könnte. Wäre es so, müsste die Finanzverwaltung wegen Missachtung der Steuerzahler ausgetauscht werden.

Natürlich gilt auch für den Kanzler die Unschuldsvermutung. Aber Scholz müsste mehr dazu beitragen, die Vorwürfe gegen ihn aufzulösen. Seine Hoffnung, dass die Opposition einfach aufgibt und Medien keine anstrengenden Fragen mehr stellen, wird sich nicht erfüllen. Zu viel neue Details rund um die Affäre kommen im Wochentakt ans Licht und beanspruchen die Aufmerksamkeit von Olaf Scholz.

Das ist nicht gut für einen Kanzler, der eigentlich jede Minute seines Arbeitstages braucht, um das Land sicher durch die Krisen zu bringen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.