Berlin. Vor der Ostasien-Reise von Nancy Pelosi wächst die Angst vor einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Washington und Peking.

Die Sorge vor einer Eskalation um die Inselrepublik Taiwan wächst. China warnt die USA vor einer Intervention. Eine militärische Zuspitzung hätte auch schwere Folgen für Deutschland. Worum geht es in dem Konflikt?

Was ist der Auslöser der jüngsten Spannungen zwischen den USA und China?

Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat am Montag einen mehrtägigen Trip nach Singapur, Malaysia, Südkorea und Japan begonnen. Ihr Stab hat offengelassen, ob sie auch Taiwan besucht. Im Weißen Haus hält man dies jedoch für wahrscheinlich. Die demokratisch regierte Inselrepublik, die knapp 130 Kilometer von der chinesischen Küste entfernt liegt, wird von Peking als Teil der Volksrepublik betrachtet.

Die chinesische Regierung warnte die USA vor einer „sehr ernsten Lage und Konsequenzen“, sollte Pelosi einen Abstecher nach Taiwan machen. „Die Volksbefreiungsarmee wird nicht tatenlos zusehen, und die chinesische Seite wird sicher energische und entschiedene Maßnahmen ergreifen, um unsere Souveränität und territoriale Integrität zu schützen“, sagte Außenamtssprecher Zhao Lijian am Montag.

Eine Taiwan-Reise der Amerikanerin wäre ein hochgradiges Politikum. Sie rangiert als Sprecherin des Repräsentantenhauses nach dem Präsidenten und der Vizepräsidentin auf Platz drei in der protokollarischen Rangfolge der USA. Pelosi gilt als lautstarke Unterstützerin Taiwans und Kritikerin der Menschenrechtspolitik Chinas.

Was könnte in den nächsten Tagen passieren?

Das Risiko eines militärischen Zwischenfalls steigt. Das chinesische Verteidigungsministerium kündigte ein Manöver mit echter Munition in der südöstlichen Provinz Fujian an. Darüber hinaus teilte die chinesische Luftwaffe mit, dass Kampfjets nahe Taiwan fliegen würden.

US-Regierungsbeamte erachten es als durchaus möglich, dass chinesische Jets Pelosis Flugzeug – eine Maschine der US-Luftwaffe – „eskortieren“, um ihre Kontrolle über den Luftraum zu demonstrieren. Das wiederum eröffne die Möglichkeit eines „Unfalls“, befürchten amerikanische Regierungskreise laut „New York Times“.

Wo liegt Taiwan und welche Bedeutung hat es?

Taiwan liegt in Ostasien, ungefähr in der Mitte zwischen den Philippinen und Südkorea/Japan. Die Inselrepublik hat rund 23 Millionen Einwohner und ist ein hochentwickelter Industriestaat. Etwa ein Drittel der weltweit benötigten Halbleiter, die für die Technik in Computern, Autos oder Flugzeugen benötigt werden, kommen aus Taiwan.

Um die Volksrepublik nicht zu vergraulen, pflegen aber nur 13 Staaten offizielle diplomatische Beziehungen zu Taiwan – darunter der Vatikan, Guatemala und Paraguay. Mehr als 50 Länder unterhalten inoffizielle Vertretungen auf Taiwan. Darunter befinden sich die USA, Russland und die meisten Staaten der EU.

Warum wurde Taiwan zum Zankapfel in der internationalen Politik?

Peking betrachtet Taiwan als „abtrünnige Provinz“. 1912 wurde die Republik China ausgerufen – nicht zu verwechseln mit der erst 1949 gegründeten kommunistischen Volksrepublik China. Taiwan war von 1895 bis 1945 zunächst unter der Herrschaft des japanischen Kaiserreichs. Nach der Kapitulation Japans Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Taiwan der Republik China übergeben.

Kurz darauf brach auf dem chinesischen Festland erneut der Bürgerkrieg zwischen der Staatspartei Kuomintang unter der Führung von Tschiang Kai-schek und den Kommunisten aus. Nach der Niederlange Tschiang Kai-scheks 1949 zogen sich die Regierung und die Armee der Republik China auf die Insel Taiwan zurück. Die Kommunisten unter ihrem Vorsitzenden Mao Zedong gründeten auf dem Festland die Volksrepublik China.

„Wiedervereinigung“ Chinas und Taiwans für Xi Jinping Priorität

Auch nach 1949 vertrat die Regierung der Republik China den chinesischen Staat zunächst bei den Vereinten Nationen und war ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Die Volksrepublik pochte jedoch von Beginn an auf den Alleinvertretungsanspruch für China, einschließlich Taiwans. Als Folge dieser Ein-China-Politik Pekings brachen immer mehr Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zur Republik China ab. Diese musste 1971 auch ihre UN-Mitgliedschaft an die Volksrepublik abgeben.

Der chinesische Staatschef Xi Jinping unterstrich, dass die „Wiedervereinigung“ zwischen der Volksrepublik und Taiwan für ihn absolute Priorität habe, notfalls mit Gewalt.

Xi will sich auf dem Kongress der Kommunistischen Partei Chinas im Herbst eine dritte Amtszeit bestätigen lassen. Daher versucht er, innen- und außenpolitisch Stärke zu demonstrieren. Im Juni schickte er bereits seinen Verteidigungsminister Wei Fenghe vor: „Sollte es jemand wagen, Taiwan abzuspalten, werden wir kämpfen bis zum Ende und vor keinen Kosten zurückschrecken.“

Nach Einschätzung von William Burns, Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, ist es nur eine Frage der Zeit, bis China Taiwan angreifen werde. Derzeit sei Peking zwar „unruhig“ angesichts des „strategischen Scheiterns“ Russlands in der Ukraine. China dürfte aus dem Ukraine-Krieg die Lehre ziehen, dass sich „schnelle, entscheidende Siege“ nur erzielen ließen, wenn „überwältigende Kräfte“ zusammengezogen würden.

Welche Politik verfolgen die USA gegenüber Taiwan?

Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Volksrepublik 1979 bekennen sich die USA zur Ein-China-Politik. Washington erkennt die Position Pekings an, dass Taiwan Teil Chinas ist, ohne diese zu billigen.

Gleichzeitig liefert Amerika Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar an die Inselrepublik. Präsident Joe Biden bekräftigte, dass die USA Taiwan im Falle eines Angriffs durch die Volksrepublik verteidigen würden. Mittel- und langfristig ist der rasante wirtschaftliche, militärische und politische Aufstieg Chinas die größte Herausforderung für die Weltmacht Amerika.

USA und China: Welche Konsequenzen hätte eine militärische Konfrontation?

Eine bewaffnete Auseinandersetzung würde die Weltwirtschaft in schwere Turbulenzen stürzen. China ist der größte Handelspartner Deutschlands. Deutsche Unternehmen würden einen wichtigen Exportmarkt verlieren. Zudem wären Firmen hierzulande von Zulieferungen wie Datenverarbeitungsgeräte, Computer oder Elektromotoren abgeschnitten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.