Berlin. Die Kommunikation ist achtsam geworden, hat unsere Kolumnistin beobachtet. Zumindest bei der woken Jugend. Aber macht sie das besser

Das Teenie-Kind kann laut sprechen, laut singen, und wenn es durch die Wohnung läuft, dann erzittert die Trittschalldämmung. Tief im Rachen rollte es eine Weile ein R, das auf ein B folgte und in einem verschluckten O endete. Bro.

Der Laut, entstanden aus der Abkürzung von Brother, schwappte vor ein paar Jahren aus dem Slang amerikanischer Straßenkids zu uns. Seit geraumer Zeit allerdings höre ich ihn kaum noch, dafür manchmal ein verächtlich ausgestoßenes „Digger“, das den gleichen Ursprung hat und in etwa so verwendet wird wie „Alter“.

Das neue Tiktok mit dem Crop Top: „Voll nice“

Noch öfter höre ich allerdings Nettigkeiten. „Voll nice“, flötet die Teenie-Tochter der Freundin per Sprachnachricht zu. Es ist der Kommentar auf das TikTok mit dem neuen Crop Top und der Schlaghose. „Das ist richtig richtig schön.“ (Wieder rollt das R). Herzchen fliegen hin und her.

Brigitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Brigitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Unsere Studententochter sagt gern Sachen wie „echt so“, wenn sie ihre Empörung untermalt, zum Beispiel über Dozenten, die nie auftauchen, oder über arrogante Mitglieder ihrer Forschungsgruppe. Sie wiederholt gerne Satzfragmente ihrer Gesprächspartnerinnen. Sage ich:

Der Teufelssee im Grunewald ist voll idyllisch, nickt sie: „Ja, idyllisch“. Wenn ich sage, eure Profs müssten sich mehr reinhängen, sagt sie: „Das finde ich nämlich auch“.

Wenn ich dem Studentensohn mit dem guten Sprachgefühl am Telefon Texte vorlese wie etwa diese Kolumne, kann es sein, dass er eine Weile schweigt und dann ein langgezogenes „Okay“ folgt. Und ein „Aha, hmhm“. Das ist seine Art zu sagen: Gefällt mir nicht. Gar nicht.

Chats ohne Herzchen-Emoji: Total out

Jüngere Kolleginnen und Kollegen verzieren gern ihre Chats mit Herzchen. Sie schreiben: „Ich übergebe an die tolle Anna. An den großartigen Paul“.

Großartig: Das Adjektiv ist beliebt auch unter Schauspielern und Autorinnen, die damit auf Facebook und Instagram ihre Lektorinnen oder sonstige Helfer dekorieren, wenn sie ihre Auftritte, Lesungen und Premieren ankündigen.

Die Kommunikation hat tatsächlich eine Wohlfühltemperatur angenommen. Schimpfwörter höre ich kaum noch; wenn überhaupt, dann auf Englisch („bitch“, „asshole“, „fuck“, „shit“), was nicht schön klingt, aber immer noch leichter verdaulich ist als „Schlampe“, „Arschloch“, „Scheiße“.

Nur wir Boomer fallen uns gegenseitig ins Wort

Die Sprache ist achtsam geworden, zugewandt. Sie signalisiert: Ich höre dir zu, ich respektiere dich. Es sind meist nur noch wir Boomer, die sich ständig gegenseitig ins Wort fallen, die laut werden, die nicht gewillt sind, einen anderen Standpunkt anzuerkennen. Das lässt sich bei Talkshows gut beobachten.

Die „woke“ Jugend mit ihrem Bewusstsein für Gerechtigkeit akzeptiert und unterstützt, was anders ist. Sie schließt alle ein, Frauen, Männer, People of Color, Transmenschen und auch die wenigen, die sich nicht zu einem Geschlecht definieren. Was sie in aller Vehemenz ablehnt, ist der Thron, auf dem der weiße Mann sitzt, weil er als pars pro toto die Menschheit repräsentiert.

Ronja Maltzahn: Sind ihre Dreadlocks kulturelle Aneignung?

Und das macht sie in den Augen derjenigen, die sie vom Thron stoßen, so rechthaberisch – und so radikal. Das geht auch manchmal schief, wie neulich, als die weiße Sängerin Ronja Maltzahn von einer Klimademo ausgeladen wurde, weil die Veranstalter von Fridays for Future ihre Dreadlocks als kulturelle Aneignung gewertet hatten.

Gendern, immer und überall, das konsequente Vermeiden von Rassismus, ist sozusagen die DNA der woken Jugend. Es gehört zu dieser freundlichen Sprache mit ihrem „Ja genau“, „echt so“, „Okay aha“ einfach dazu. Den Grammatik-Verteidigern, die nicht müde werden, das generische Maskulinum als Gesetz zu betrachten, sei gesagt: Sprache hat kein Gesetz. Sprache hat, wenn überhaupt, Regeln, die sich aus dem Gebrauch entwickeln.

Das generische Maskulinum funktioniert irgendwann nicht mehr

Kann also gut sein, dass künftig eine Verallgemeinerung wie „die Forscher“ tatsächlich Frauen ausschließt, wenn sie nicht extra genannt werden. Dass also das generische Maskulinum nicht mehr funktioniert, sondern nur noch: Forscher:innen. Oder Forscher*innen, was auch die breite LGBTQ+-Palette einschließt.

Wer sich nur in patriarchalen, heterosexuellen Denkmustern bewegt, wird da nicht mehr mitkommen. Ihnen sei gesagt: Bewegt euch mal. Echt so. Und, ganz im Sinne der Teenie-Tochter, schiebe ich freundlich, aber stimmt hinterher: Digger.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.