Moskau. Olena Selenska schrieb früher Witze für ihren Mann Wolodymyr. Heute muss sie über leidende oder tote Kinder reden – und stark sein.

1001 Kinder seien inzwischen verletzt oder getötet worden, erklärte sie kürzlich auf ihrem Telegram-Kanal. Aber tatsächlich habe jedes ukrainisches Kind gelitten. „Sie mussten fliehen, wurden von ihren Eltern getrennt, zitterten in Luftschutzkellern vor Angst.“ Olena Selenska hat keine Gute Nacht-Geschichten zu erzählen. Vor allem das Leid der Kinder in der Ukraine will die First Lady öffentlich machen. Dazu nutzt sie ihre Rolle – und ihre Popularität.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, ist zum Weltstar geworden. Seine Ehefrau Olena Selenska auch. Das erste mediale Traumpaar des Landes, auch wenn der Alltag es meistens trennt. Die Präsidentengattin posiert in diesen Tagen in der Regel ohne ihren Mann vor den Westmedien.

Olena Selenska: Die Frau des ukrainischen Präsidenten ziert das Cover der
Olena Selenska: Die Frau des ukrainischen Präsidenten ziert das Cover der "Vogue" - und erlaubt Einblicke in ihren Alltag. © Annie Leibovitz/Vogue | Annie Leibovitz/Vogue

Aber für die neueste Ausgabe der „Vogue“ setzt sie sich zu ihm an den Schreibtisch in dessen Büro in Kiew. Auf einem Foto hält Selenskyj sie im Arm, auf einem anderen hat er ihre Hand genommen. Sie blicken ernst in die Kamera von Annie Leibovitz.

Ukraine: US-Starfotografin Leibovitz setzte das Paar in Szene

Die amerikanische Starfotografin hat auch das Titelbild für die einflussreichste Modezeitschrift gemacht: Darauf sitzt sie auf Mamorstufen vor Säulen, die mit Sandsäcken gesichert sind. Sie ist sehr dezent geschminkt, wirkt traurig und verwundbar. Sie trägt flache schwarze Schuhe, eine schwarze Hose, eine cremefarbene Bluse, deren Ärmel sie nach oben geschoben hat. Schmuck hat sie nicht, dafür die langen, blonden Haare offen.

Meistens ist das anders. Ihre Scheitel sind oft so streng wie ihre Anzüge, sie lächelt wenig. Olena Selenska, die einst Witzdialoge für ihren Mann schrieb, muss jetzt über leidende oder tote Kinder reden. Dabei birgt die Berichterstattung über die 44-Jährige auch viel Klatsch.

Die europäischen Frauenzeitschriften und Beilagen-Magazine feiern sie als starke Persönlichkeit, Bild-Zeitung präsentiert sie als Opferheldin: „Putin jagt sie. Ihre Kinder müssen angezogen schlafen gehen. Sie fliehen von Bunker zu Bunker.“ Der Familie Selenskyj drohte in den ersten Tagen des russischen Feldzugs Gefangenschaft. Während Millionen Ukrainerinnen mit ihren Kindern ins Ausland geflohen sind, können Olena Selenska, ihre Tochter Alexandra, 17, und ihr Sohn Kirill, 9, den Ehemann und Vater inzwischen wieder regelmäßig sehen.

Olena Selenska und ihr Mann Wolodymyr Selenskyj: Die beiden kennen sich schon seit der Schulzeit.
Olena Selenska und ihr Mann Wolodymyr Selenskyj: Die beiden kennen sich schon seit der Schulzeit. © Annie Leibovitz / Vogue | Annie Leibovitz / Vogue

Ukraine: Selenska spricht von den „schrecklichsten Momenten“ ihres Lebens

Es war ein wuchtiges Ausrufezeichen, als außer dem Präsidenten auch seine Familie nach den ersten russischen Raketeneinschlägen im Land blieb. Olena Selenska wurde zur weiblichen Symbolfigur für den Mut ihres Volkes.

Was sie sagt, klingt echt und ehrlich. Sie muss sich nicht verbiegen: „Ich verstehe die Frauen und Männer, die jetzt getrennt sind.“ Die Tochter bräuchte den Vater, um mit ihm zu reden, der Sohn, um sich auf sein Knie zu setzen. Solche Klagen hört man jetzt von Millionen ukrainischer Frauen. „Wir freuen uns auf den Sieg. Wir haben keinen Zweifel, dass wir siegen werden. Und das ist es, was uns antreibt“, sagt sie der „Vogue“. Die Zeit seit dem 24. Februar seien „die schrecklichsten Monate meines Lebens und des Lebens aller Ukrainer“ gewesen.

Die Frauen, sagte Olena Selenska der „Zeit“, kämpften an vorderster Front als Freiwillige, versorgten Verwundete und organisierten humanitäre Konvois. „Wir ukrainischen Frauen wollen ja gar keine Flüchtlinge sein; wir wollen nicht abhängig sein. Wir sind Eigenständigkeit und Eigeninitiative gewohnt.“

Das Paar lernte sich in der Schule kennen

Olena Selenska ist als Gattin und Mutter ein Marmorfels, Wolodymyr der Mann ihres Lebens. Sie gingen im ostukrainischen Krywyj Rih gemeinsam zur Schule. Aber jahrelang traute er sich nicht an die schöne Musterschülerin aus der Parallelklasse heran. Erst als Student begann Selenskyj ihr den Hof zu machen – erfolgreich.

Er schloss sein Jura-, sie mit Auszeichnung ihr Architekturstudium ab, danach wurden beide Berufskomödianten, heirateten erst nach acht Jahren Beziehung. Er war der Witzereißer auf der Bühne, sie gehörte zu den Drehbuchautoren seiner Sketche und Filme. Angeblich erfuhr sie von seinem Entschluss, als Präsident zu kandidieren, erst nach dem Start seines Wahlkampfes. Eine Ehe für einen Hollywoodfilm.

Aber wenn ukrainische Frauen über die Еntscheidungen ihrer Männer reden, sind sie nicht immer ehrlich. Insgeheim herrscht hier eher Matriarchat“, erklärt der Politologe Ihor Rejtorowitsch. „Die Frauen werden ,Hüterinnen der Familie’ genannt. Auch, wenn der Mann die Karriere macht, entscheidet oft seine Frau, in welche Richtung es dabei geht.“ Wolodymyr Selenskyj sagt, in den wichtigsten Fragen berate er sich mit seiner Frau.

Olena Selenska inmitten der Zerstörung: Die First Lady musste ihre neue Rolle erst finden.
Olena Selenska inmitten der Zerstörung: Die First Lady musste ihre neue Rolle erst finden. © Annie Leibovitz / Vogue | Annie Leibovitz / Vogue

Olena Selenska warb in den USA für neue Waffenlieferungen

Olena Selenska versichert, sie bleibe lieber im Hintergrund, Publikumsauftritte bedeuteten für sie Stress. Doch das geht nicht mehr. Vor wenigen Tagen sprach sie vor dem US-Kongress und bat um weitere Waffenlieferungen für ihr Land. Zuvor hatte sie sich der amerikanischen First Lady Jill Biden im Weißen Haus getroffen. Ihr Mann zu Hause erwartete derweil „bedeutende Ergebnisse für die Ukraine in der Zusammenarbeit mit Amerika.

Sie hat ihre Rolle gefunden und plagt sich täglich für den Sieg – in den Medien, auf Videokonferenzen. Vor wenigen Tagen veranstaltete sie schon das zweite Gipfeltreffen der First Ladys und First Gentlemen, es fand als Videoschalte statt, Elke Büdenbender, die Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war auch dabei. Es ging auch um die Perspektiven der Ukraine und der Welt für den Tag, an dem die Waffen endlich wieder schweigen. Olena Selenska weiß, das dieser Tag in weiter Ferne liegt. (mit gb)

Dieser Artikel erschien bei morgenpost.de.