Berlin. Union und FDP fordern eine neue Debatte über den Weiterbetrieb der letzten deutschen Atommeiler. Wie viel würde das wirklich bringen?

Das Datum steht seit Jahren fest: Zum 31. Dezember 2022, so wurde es 2011 entschieden, sollen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Doch je näher der Zeitpunkt rückt, umso lauter werden vor dem Hintergrund der drohenden Energiekrise im Winter die Stimmen, die fordern, den Ausstieg zu verschieben.

Zum Beispiel CDU-Chef Friedrich Merz. Der schrieb einen Gastbeitrag für die „Bild“-Zeitung, man solle sich nicht die Möglichkeit nehmen, die Atommeiler weiterlaufen zu lassen, „um damit Gas bei der Stromerzeugung einzusparen“. „Liebe Grüne, springt über Euren Schatten“, forderte Merz. Ähnlich hatte das zwei Tage zuvor bei CSU-Chef Markus Söder geklungen. Söder, der sich im vergangenen Jahr noch gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen hatte, fordert diese seit Wochen mit Nachdruck und warf den Grünen zuletzt vor, das aus ideologischen Gründen abzulehnen.

Und auch aus der Regierungspartei FDP kamen zuletzt vermehrt der Wunsch nach einer „Debatte“ über einen Ausstieg aus dem Ausstieg.

Befürworter wollen knappes Gas mit Atomstrom ersetzen

Die Befürworterinnen und Befürworter einer Verlängerung argumentieren, dass Atomstrom einen Beitrag dazu leisten könne, die Stromproduktion aus Gaskraftwerken zu ersetzen. Das knappe, teure Gas könne damit im Winter in die Wärmeversorgung für Haushalte und Industrie fließen, wo es dringend gebraucht wird.

Doch Expertinnen und Expertinnen sehen nur sehr wenig Potenzial, durch einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke die drohende Gaskrise zu entschärfen. Zum einen geht nur ein kleiner Teil des Gases in die reine Stromproduktion – wo Strom aus Gas gewonnen wird, geschieht das meist in sogenannten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Diese könne Atomkraftwerke nicht ersetzen, weil Atomstrom nicht zum Heizen genutzt wird. Zum anderen springen Gaskraftwerke häufig an, um die sogenannte Spitzenlast abzudecken, also kurzfristigen, hohen Strombedarf. Atomkraftwerke sind dafür aber zu schwerfällig und werden deshalb vor allem für die Abdeckung der Grundlast eingesetzt.

Eine Analyse der Beratungsfirma Energy Brainpool aus dem Juli kam zu dem Schluss, dass ein Weiterbetrieb aller drei verbliebenen Meiler in Deutschland nur 8,7 Terawattstunden des Gas-Verbrauchs ersetzen würde, was etwa einem Prozent entspricht. Eine Modellierung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. kommt sogar nur auf 3 Terawattstunden.

Wirtschafts- und Umweltministerium haben eine Verlängerung bereits abgelehnt

Dem relativ kleinen Nutzen stehen aus Sicht der Gegner, bei SPD und vor allem den Grünen, große Nachteile entgegen, vor allem Sicherheitsfragen und fehlende Brennelemente. Zu diesem Ergebnis war auch eine Prüfung der Laufzeitverlängerung durch Wirtschafts- und Umweltministerium im März gekommen.

Entsprechend genervt reagieren inzwischen die Grünen auf die andauernde Debatte. „Die Debatte um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken ist eine Scheindebatte“, sagte Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge dieser Redaktion. „Denn natürlich wissen auch die Befürworter der Atomenergie, dass die drei verbliebenen AKWs keinen nennenswerten Beitrag zur Sicherung der Gasversorgung leisten können.“ Dazu kämen Sicherheitsrisiken und das Fehlen von Brennstäben. Dröge sieht in den Forderungen der Union vor allem den Versuch, von eigenen Fehlern abzulenken, „etwa dem Ausbremsen der Erneuerbaren und der einseitigen Abhängigkeit von russischem Gas.“