Die Wahl in NRW erfreut die CDU. Doch das Bundesland rückt ein Stück nach links. Die eigentlichen Wahlsieger sind jedoch die Grünen.

An Rhein und Ruhr können sie das gut: Auf den letzten Metern noch mal alles spannend machen, kurz vor dem Abpfiff mal eben die Karten neu mischen. Im Fußballland NRW ist das eine Tugend. Bei der Landtagswahl war diese Tugend in Reinform zu besichtigen. Bis kurz vor Spielende war völlig offen, wie die Sache am Ende ausgehen würde.

Am Abend lag der amtierende Ministerpräsident Hendrik Wüst überraschend deutlich vorne. Der CDU-Mann ist Wahlsieger – ob er auch der kommende Regierungschef wird, muss sich erst noch zeigen. Klar ist nur: Im Westen verschiebt sich die Macht nach fünf Jahren wieder ein Stück nach links, die schwarz-gelbe Landesregierung ist abgewählt, die FDP hat massiv verloren und fällt für ein Zweierbündnis aus.

Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin
Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin © Anja Bleyl

Welche Koalition stattdessen kommt? Klar ist: Die Grünen werden dabei sein – sie sind die eigentlichen Sieger dieser Wahl. Wüst hätte mit den Grünen eine stabile Mehrheit, müsste sich aber bei der traditionell linken Landespartei eine Koalition wohl teuer erkaufen. Scheitert er, wäre rechnerisch wohl auch ein Ampelbündnis mit SPD und FDP denkbar. Die starken Grünen können sich jetzt in aller Ruhe die Angebote anschauen. Heißt umgekehrt: Die Politik muss in die Verlängerung.

Doch Politik ist nicht Fußball. Das sieht man schon daran, dass bei Spitzenspielen an Rhein und Ruhr fast das ganze Land mitfiebert, bei dieser Landtagswahl aber selbst politisch hoch interessierte Menschen nicht spontan sagen konnten, warum sie nun eigentlich den einen oder den anderen Spitzenkandidaten wählen sollten. Hendrik Wüst gegen Thomas Kutschaty, der amtierende Regierungschef gegen den SPD-Herausforderer – das war in den Augen der meisten in den vergangenen Wochen nicht halb so interessant wie Schalke gegen Borussia.

Die Grünen bekamen Schubkraft aus Berlin

Hinzu kam: CDU-Mann Wüst war es in den rund 200 Tagen nach der Staffelübergabe durch Vorgänger Armin Laschet nicht gelungen, zum lagerübergreifenden Landesvater zu wachsen. Wüst ist kein Daniel Günther, der im Norden gerade Sympathierekorde bricht. Er dürfte aber am Ende vor allem im schwarz-gelben Lager Wähler mobilisiert haben, die eine SPD-geführte Regierung verhindern wollten.

Die Grünen dagegen hatten zwar keine bundesweit bekannte Spitzenfrau am Start, aber ordentlich Schubkraft aus Berlin: Wenn in Düsseldorf demnächst wieder Grüne in der Landesregierung sitzen sollten, ist das auch ein Erfolg für ihre Parteifreunde in der Bundesregierung.

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Viele Deutsche schätzen es, wie die grünen Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock unideologisch durch die Kriegslage steuern, viel erklären und wenig falsch machen. Vielen Bundesbürgern gefällt, dass sie sich in der Krise mit Blick auf Waffenlieferungen oder Energiebeschaffung beweglich zeigen, aber in ihren Grundhaltungen nicht beliebig werden.

Die AfD verliert deutlich an Bedeutung

SPD-Kanzler Olaf Scholz dagegen kann sich nach diesem Sonntag den Traum vom „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ abschminken. Mit Kutschaty gab es nach Schleswig-Holstein schon das zweite böse Erwachen bei einer Landtagswahl. Den dritten Ampel-Partner dagegen traf es ganz bitter: Nach dem Absturz im Norden und dem dramatischen Minus im Westen muss sich die FDP fragen, warum sie eigentlich gerade dort verliert, wo sie regiert. Die liberale Corona-Politik jedenfalls verfing höchstens bei den Stammwählern.

Grundsätzlich gilt: NRW-Wahlen lassen sich wegen der Größe und Vielfalt des Landes immer auch als kleine Bundestagswahlen deuten. In einem zentralen Punkt kann man nur hoffen, dass einer der Trends von Sonntag sich bis 2025 noch verstärkt: Die AfD verliert an Bedeutung. Heute Abstiegsplatz, demnächst nur noch Regionalliga. Schön wär’s.

Dieser Artikel ist zuerst auf morgenpost.de erschienen.