Berlin . Während die Corona-Zahlen steigen, sinkt paradoxerweise die Meldedisziplin. Am Wochenende haben die Inzidenzen kaum noch Aussagekraft.

Vor der Ukraine-Krise war Corona das wichtigste Thema – und die täglichen Inzidenzen die Messgröße der deutschen Politik. Das hat sich spätestens mit der Omikron-Welle geändert. Fehlende Testkapazitäten und eine lückenhafte Erfassung nähern die Zweifel, wie aussagekräftig die Daten noch sind, vor allem zum Wochenende. Gerade bei den Montagszahlen gilt: Vorsicht.

  • Erstens, samstags und sonntags finden weniger Tests statt.
  • Zweitens, dann werden auch weniger Daten an die zentrale Behörde gemeldet, an das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin.

Das Problem mit der Meldedisziplin hatte das RKI immer. Die Gesundheitsämter sind nicht gesetzlich verpflichtet, Daten über positive Befunde am Wochenende zu melden. Einige haben den Dienst eingestellt. Mittlerweile übermitteln weder Baden-Württemberg noch Brandenburg am Wochenende Werte.

Corona-Statistik: Nicht jeder Verdachtsfall führt zum PCR-Test

Stets wurde eine hohe Dunkelziffer vermutet. Manche Infizierte bekommen keine oder nur leichte Symptome. Nicht jeder geht deshalb gleich zum Arzt – oder nicht sofort. Die daraus resultierende Unschärfe musste man mehr oder weniger in Kauf nehmen.

Indes, mehr denn je wird die Dunkelziffer politisch toleriert. Sie ist hausgemacht, strukturbedingt, weil bei den PCR-Tests eine Priorisierung gilt. Nicht jeder macht einen PCR-Test. Und Infizierte, die keinen PCR-Test machen, fließen nicht in die Statistik ein.

Es war einmal eine Meldekette, die halbwegs funktionierte: Fällt in einem Labor ein Test auf das Coronavirus Sars-CoV-2 positiv aus, wird dies an die Gesundheitsbehörde des Landkreises oder einer Stadt gemeldet. Die Behörde übermittelt den Fall an das Land und das weiter an das RKI. In Berlin rechnen die Fachleute die Sieben-Tage-Inzidenz aus. Sie beschreibt die Zahl der bestätigten Neuinfektionen in den zurückliegenden sieben Tagen je 100.000 Einwohner.

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Hohe Dunkelziffer, "signifikante Untererfassung"

Das RKI veröffentlicht einmal täglich die Zahl der bestätigten Infektionen und der im Zusammenhang mit Covid-19 aufgetretenen Todesfälle in einem interaktiven Dashboard. Es ist zugleich die Bezugsquelle für die meisten Medien.

Aber wer sich die Mühe gemacht und die Zahlen direkt an der Quelle abgefragt hat, also vor Ort, kam häufig zu anderen Ergebnissen. Zum Teil lag es daran, dass Fälle schon dokumentiert, aber noch nicht an das RKI übermittelt worden waren. Zum Teil lag es auch daran, dass die Behörden unterschiedliche Einwohnerzahlen heranzogen, das RKI vom Statistischen Bundesamt, manche Gesundheitsämter von den mithin unbereinigten Zahlen (noch mit Karteileichen) der Einwohnermeldeämter.

Es kommt auch weiterhin vor, dass Zahlen per FAX und nicht digital weitergeleitet werden oder beides gleichzeitig. So kommt vieles zusammen, alte Technik und Doppelmeldungen.

Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist die Pandemie nicht vorbei.
Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist die Pandemie nicht vorbei.

Die wichtigste Veränderung dürfte allerdings psychologischer Natur sein: Die Krankheitsverläufe sind in der Omikronfälle insgesamt milder; irgendwie haben sich die Verantwortlichen an höhere Zahlen gewöhnt. Die akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) warnten an diesem Dienstag, "dass von einer signifikanten statistischen Untererfassung von an Corona erkrankten Menschen auszugehen ist."

Labore: "Nicht einfach den Stecker ziehen"

Vor einem Jahr wäre das Echo auf den Alarmruf noch groß gewesen. Jetzt nicht mehr. Natürlich argumentiert der Verband nicht zuletzt in eigener Sache, aber auch andere Fachleute, bis hin zu Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), warnen vor neuen Wellen, spätestens im Herbst. "Bei den großen und empfindlichen PCR-Testsystemen", so ALM, "kann man nicht einfach den Stecker ziehen."

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de