Berlin. Virologe Streeck brachte bei „Markus Lanz“ Zweifel gegen die Impfpflicht vor – und kritisierte den Umgang mit dem Genesenenstatus.

Die Pläne zur allgemeinen Impfpflicht in Deutschland nehmen in der Bundesregierung immer weiter an Form an. Während in Österreich ab 1. Februar Millionen von Menschen mit einer Verweigerung der Impfung in die Illegalität rutschen und mit Sanktionen rechnen müssen, wird hierzulande eine endgültige Entscheidung auf den Sommer vertagt. Bei Markus Lanz führte die Herangehensweise Deutschlands an das Thema Impfpflicht am Dienstagabend zu Diskussionen.

„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

  • Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein (CDU)
  • Cerstin Gammelin, Journalistin ("Süddeutsche Zeitung")
  • Hendrik Streeck, Virologe
  • Corinna Milborn, Journalistin und Politikexpertin aus Österreich
  • Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen

„Markus Lanz“: Streeck zeigt sich optimisitisch

„Ich habe die Sorge, dass wir einer Impfwunsch-Quote hinterherrennen, obwohl wir in Deutschland schon einen deutlich höheren Schutz gegen das Coronavirus haben“, äußert sich Virologe Hendrik Streeck vorsichtig optimistisch.

Durch die Konzentration auf die Mindestimpfquote seien zahlreiche blinde Flecke in der Erforschung des Coronavirus entstanden, die mittels Studien nach und nach aufgedeckt werden müssten. Denn wie viele Menschen überhaupt geimpft oder genesen seien, sei durch die bislang veröffentlichten Ergebnisse nicht erwiesen.

Streeck will Genesenen- und Impfstatus gleichsetzen

Das Streeck gegen die Impfpflicht ist, ist kein Geheimnis. „Wir können die Pandemie nicht wegimpfen. Wir werden auch im nächsten Jahr wieder eine Welle haben.“ Ein großer blinder Fleck auf dem Weg aus der Pandemie sei die Betrachtung des Genesenenstatus.

Genesene werden nach wie vor sehr stiefmütterlich behandelt. Dabei ist die Zahl der Reinfektionen im Vergleich zu geimpften Personen deutlich geringer. Deshalb müssen wir den Genesenenstatus mit dem Impfstatus gleichsetzen“, so der Virologe.

„Und in einer Mitteilung des RKI setzen wir den Schutz von Genesenen von 180 Tagen über Nacht auf drei Monate runter, während alle anderen Länder nach wie vor bei sechs Monaten bleiben“, empört sich Lanz. „Dass die Leute sich nicht impfen lassen wollen, hat doch mit dieser erratischen Kommunikation zu tun.“

„Die Überbürokratisierung versteht kein Mensch mehr. Wir müssen Krankenhäuser jetzt vor einer Überlastung schützen und eine Grundimmunisierung erreichen“, sagt auch Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen). Diese sei mit zwei bis maximal drei Impfungen gegeben.

Statt unzähliger Regelungen braucht es laut dem Tübinger Oberbürgermeister nur eine Norm, die länderübergreifend gelten soll: Die Impfpflicht. Allerdings nicht für alle, sondern nur für Menschen ab 50 Jahren. „Denn 90% der Krankenhauspatienten, die an Corona erkrankt sind, sind nachweislichlich älter als 50."

Ministerpräsident Günther: Bundesrepublik scheut Konfrontationen

Doch kann man sich über die Entscheidungsschwäche Deutschlands überhaupt noch wundern?, stellt Lanz in den Raum. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) findet dazu klare Worte: „Die Bundespolitik geht hier ‚hasenfüßig‘ vor. Man traut sich nicht, sich mit den Leuten anzulegen und diesen Eingriff in ihre Grundrechte offen zu rechtfertigen.“

Dass sich der überwiegend kritische Blick auf den Umgang mit der Impfpflicht auch außerhalb Deutschlands widerspiegelt, zeigt die Wiener Journalistin Corinna Milborn. Sie wirft Deutschland ein „Hinterherhinken“ in sämtlichen Bereichen der Pandemie-Bekämpfung vor.

„Wir schauen da mit Erstaunen auf unsern Nachbarn. Deutschland hat auf uns immer sehr organisiert gewirkt. Aber während der Pandemie hat Deutschland schlichtweg versagt. Allein wenn man sich die Zahl der Testungen anguckt: In Österreich wird doppelt so viel getestet (um die 300.000 Tests täglich). Bürgerinnen und Bürger können sich mittlerweile sogar zuverlässig zuhause testen.“

Streeck: Selbst im Corona-Expertenrat herrscht Uneinigkeit

Versteckt sich Deutschland also hinter vermeintlichen Qualitätsstandards? Laut Hendrik Streeck herrscht selbst im Corona-Expertenrat, in dem neben dem Virologen auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach Platz genommen hat, Uneinigkeit. Bei vielen Entscheidungen hätten das Robert Koch-Institut (RKI) sowie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) das letzte Wort. So etwa bei der Festlegung des Genesenenstatus.

Bei solchen Abwägungsentscheidungen darf aber laut Günther nicht nur die virologische Sicht miteinbezogen werden: „Auch Psychologen, Krisenforscher und andere Experten müssen zu Rate gezogen werden." Aber allem voran brauche es eine klare Kommunikation.

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