Berlin. Politik und Behörden sind alarmiert: Angesichts der verschärften Corona-Beschlüsse könnten sich Impfgegner noch weiter radikalisieren.

Thomas Strobl (CDU) ist für eine Corona-Impfpflicht. Der Innenminister von Baden-Württemberg weiß, dass er sich Ärger einhandelt. Man könne davon ausgehen, „dass eine Impfpflicht die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung noch verstärkt“, sagte Strobl, der die Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern anführt, unserer Redaktion.

Strobl stützt sich auf sein Landesamt für Verfassungsschutz. Der Seismograf von Oliver Malchow ist engmaschiger. Es sind die bundesweit fast 200.000 Mitglieder der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Unsere Kolleginnen und Kollegen stellen schon seit Längerem fest, dass ihnen bei Corona-Kontrollen immer aggressiver begegnet wird“, erklärte der GdP-Chef unserer Redaktion.

Wird die 2G-Regel für weite Teile des öffentlichen Lebens eingehalten, können Ungeimpfte nur noch Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen. Von Handel, Gastronomie, Kultur und Sport sind sie ausgeschlossen. Dass der Leidensdruck in der Szene steigen wird, erst recht mit der viel diskutierten Impfpflicht ab Februar, liegt auf der Hand.

Allein in Frankfurt und nur für dieses Wochenende wurden neun Corona-Demonstrationen angemeldet. Erwartet werden nach Angaben der Organisatoren mehr als 2000 Menschen. Der nächste Protest steht auch schon fest – am Montag vor dem sächsischen Landtag.

Der Verfassungsschutz eignet sich kaum als Frühwarnsystem

Bereits am 23. November, bei der Sitzung der Sicherheitsbehörden im Kanzleramt, der sogenannten ND-Lage, haben Vertreter der Polizei und Geheimdienste über das Gewalt- und Radikalisierungspotenzial in der Corona-Szene beraten – damals unter dem Eindruck von Krawallen in Belgien, Holland und Österreich. „Wir sehen bisher keine Szenereaktionen auf Ausschreitungen im Ausland. Wir haben auch keine Erkenntnisse, dass Deutsche in Belgien und in den Niederlanden teilgenommen haben“, heißt es in Sicherheitskreisen. In Wien hätten auch lediglich zwei führende deutsche Corona-Leugner auf der Straße mitgemacht.

Indes taugt der Verfassungsschutz nur bedingt als Frühwarnsystem. Das Bundesamt darf bei Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv werden und Informationen über Aktivisten speichern.

Wenn sich jemand nicht impfen lässt, weil ihm die Faktenlage zu Nebenwirkungen zu dünn erscheint, ist er deswegen noch kein Verfassungsfeind. Wer Impfzentren beschmiert oder beschädigt, verletzt Gesetze und ist ein Fall für die Polizei – nicht jedoch für den Verfassungsschutz. Als die Innenminister sich am Freitag mit der Querdenker-Szene befassten, ging der Wortführer der SPD-Länder, der Niedersachse Boris Pistorius, in seinem Statement nicht auf die Impfgegner ein. Er will sie nicht kriminalisieren. Sorgen bereitet ihm aber, dass Rechtsextremisten den Corona-Protest kapern – und es ihnen oft gelinge, „bürgerliche Kreise für sich zu vereinnahmen“. Pistorius fragt sich, „inwiefern einzelne Personen in letzter Konsequenz auch bereit sein könnten, schwere Gewalt oder sogar Terroranschläge zu verüben“.

Querdenker: Wie Messenger als dunkle Kanäle genutzt werden

Bislang tobt sich die Szene in den sozialen Netzwerken aus. Mal wird für einen Generalstreik getrommelt, mal zum „Adventsspaziergang“ in Berlin aufgerufen. Ab 2022 müssen Anbieter sozialer Netzwerke dem Bundeskriminalamt rechtswidrige Inhalte melden – zum Leidwesen der Innenminister nicht aber Messenger-Dienste. Das soll sich ändern. Es dürften keine „rechtsfreien Räume“ und „dunklen Kanäle“ entstehen, warnt Strobl.

„Messenger“ ist der Marktplatz der Szene. Hier tauschen sich Aktivisten aus, bereiten Protest vor, verbreiten Propaganda. In ihren eigenen „Echokammern“ (Malchow) holen sie sich die Legitimation. Impfungen gegen das Virus seien eine „Bio-Waffe“, schreibt eine Rechtsanwältin der Szene auf ihrem Telegram-Kanal. Fast 70.000 Menschen folgen ihr. Die Gegner der Impfkampagne sollen „Widerstand leisten“ und „standhaft bleiben“. Lange galten Impfgegner als „Spinner“, als „Esoteriker“, von Politik und Sicherheitsbehörden nicht ernst genommen. Die großen Demonstrationen der Querdenker mit Tausenden Anhängern in Stuttgart, Kassel oder Berlin schienen erst mal passé.

Dessen ungeachtet warnen Beobachter in den Sicherheitsbehörden davor, dass sich ein kleinerer, aber radikalerer Kern der Szene formiert. Im Netz und auf Telegram sammelt sich eine Gruppe um den „Verbund ungeimpfter Menschen“. Sie sehen sich als „Opfer“ einer Verfolgung durch die Impfkampagne. Ein Anhänger wähnt sich als Ungeimpfter bald im „KZ“ beim „Steineklopfen“. Ein anderer ruft zum „Widerstand“ auf. Für diese Menschen ist die Polizei ein Handlanger eines repressiven Regimes. Es sei zu befürchten, „dass sich diese Gruppen in ihrem Kern weiter radikalisieren“, warnt Malchow. Die Szene bekämpfe praktisch seit Beginn der Pandemie den Staat – „und nicht das Virus“.