Berlin. Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus wird wohl kommen. Doch dann muss es auch mit Umsetzung und Kontrolle klappen.

Wer sich umhört und umschaut, erkennt: Die Bürger sind vorsichtiger geworden. Die meisten passen ihr Verhalten der verschärften Corona-Lage an. Die Zahl der positiven Tests ist drei Tage hintereinander nicht gestiegen. Vielleicht erreicht die vierte Welle gerade ihren Scheitelpunkt, vielleicht kommen die Behörden nur nicht mit dem Zählen nach. Zweifelsfrei aber wird die Zahl der coronabedingten Hospitalisierungen steigen, weil es rund 900.000 aktive Fälle gibt. Ein Teil von ihnen wird in den Intensivstationen landen. Für das Gesundheitswesen wird Weihnachten düster.

Damit es nicht „superdüster“ (RKI-Präsident Wieler) wird, haben Bund und Länder am Donnerstag Auflagen vereinbart, die hilfreich sind: Bestimmte Betriebsschließungen in den Hotspots, Beschränkungen bei Großveranstaltungen (bis zum Böllerverbot für Silvester) und schließlich vielfach 2G. Sie dienen dem Ziel, die Kontakte zu reduzieren und die Ungeimpften auf den Pfad der Vernunft zu bringen. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert einer Impfpflicht.

Corona: Nach der Impfpflicht gilt überall 1G

In ein, zwei Jahren wird dieses Modell nicht mehr der Rede wert sein. Nach einer Impfpflicht wird 1G die Regel sein. Dann gibt es Geimpfte, Opfer von Impfdurchbrüchen und die Parallelwelt der Ungeimpften. Randmeldungen über sie wird man staunend zur Kenntnis nehmen, so wie heute über Autofahrer, die keinen Führerschein haben.

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent der Funke Mediengruppe
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent der Funke Mediengruppe © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Impfpflicht rückt als Ultima Ratio näher, weil es auf Dauer inakzeptabel ist, dass eine Minderheit für die Mehrheit der Erkrankungen sorgt und das öffentliche Leben belastet. Für eine Impfpflicht ist sowohl eine gesellschaftliche als auch eine parlamentarische Mehrheit in Sicht. Wiewohl es viele Kläger geben wird, so ist seit dieser Woche nicht damit zu rechnen, dass sie beim Verfassungsgericht verfangen werden. Was das Gericht zur „Notbremse“ gesagt hat, lässt sich zweifellos auch über eine Impfpflicht sagen: dass sie für „Gemeinwohlziele“ von überragender Bedeutung“ ist.

Geimpfte sind nicht die Treiber der Corona-Pandemie

Man kann vieles beschließen. Genauso wichtig wie die Entscheidungen selbst sind die Umsetzung und Kontrolle. Das ist nicht allein Aufgabe der Ordnungsämter oder der Polizei. Es ist eine Frage der Einsicht und Rechtstreue. Der Staat darf nicht die Menschen alleinlassen, die in den Geschäften oder Kneipen die 2G-Regel durchsetzen sollen und die Konflikte mit Impfgegnern aushalten müssen. 2G wird für Unfrieden sorgen, für Illegalität, Spannungen, Radikalisierung; erst recht bei einer Impfpflicht.

Geimpfte werden seltener infiziert und haben mildere Krankheitsverläufe. Sie sind nicht die Treiber der Pandemie. Anders als zunächst erhofft, tragen sie aber zum Infektionsgeschehen bei. Andernfalls wären die nunmehr wieder strengeren Auflagen für die Fußball-Bundesliga nicht erklärbar. Was macht das für einen Sinn, bei einer Veranstaltung für Geimpfte und Genesene, obendrein an der frischen Luft?

Corona-Lage: Wie viele Semi-Lockdowns kommen noch?

Es macht Sinn, weil auch Geimpfte sich anstecken und das Coronavirus weitergeben können. Wer am Wochenende nicht mehr ins Stadion kommt, darf aber in die nächste Sportkneipe gehen und dort die Spiele verfolgen, genauso beengt und dann in einem geschlossenen Raum. Das gehört zu den Ungereimtheiten, die politische Affekthandlungen zur Folge haben können.

Noch immer reden viele davon, das Virus zu „besiegen“, machen Pläne für die Zeit nach der Pandemie – einmal boostern, und alles wird gut. Es wäre angebracht, darüber zu reden, wie man mit dem Virus leben wird, auch in einer Welt der Geimpften. Nicht nur für den Profisport, den Unterhaltungssektor oder die Messewirtschaft ist das existenziell wichtig. Wie viele echte oder Semi-Lockdowns können wir uns noch erlauben?