Washington. Fünf- bis Zwölfjährige erhalten ihre Corona-Impfung im Drive-in – wie bei McDonald’s. Studien für noch jüngere Kinder laufen bereits.

Samstagmorgen, acht Uhr, Connecticut Avenue im Norden Washingtons. Auf der sonst um diese Zeit noch verschlafenen Ausfallstraße stehen gut 50 Autos Schlange. Auf den Rückbänken sitzen Kinder, manche haben ihre Stofftiere im Arm. Sie warten auf Einlass in die Tiefgarage der „Capitol Medical Group“.

Mit 40 Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern ist es eines der größten Kinderärzteteams in der US-Hauptstadt. An diesem Wochenende bieten sie mit ihrer „Impfklinik“ eine besondere Aktion an, die von der Regierung von Joe Biden im Kampf gegen das Coronavirus als vorbildlich bezeichnet wird. Nach telefonischer Anmeldung können Eltern ihre fünf- bis zwölfjährigen Sprösslinge dorthin zur kostenlosen Impfung mit dem Wirkstoff von Biontech/Pfizer bringen.

Im Drive-in-Verfahren wie bei McDonald’s schieben sich die Autos im Schritttempo an einen improvisierten Behandlungstisch. Zwei Arzthelferinnen messen durchs Seitenfenster die Temperatur der Kinder, stellen ein paar Fragen. Dann ein kleiner Piks, Pflaster drauf, 15 Minuten im Auto warten, um etwaige Akutnebenwirkungen auszuschließen – und schon geht’s mit Papa und Mama wieder nach Hause. Einige Hundert Mädchen und Jungen erhalten so an diesem Vormittag ihre erste Corona-Impfung, die zweite folgt nach vier Wochen.

In den USA werden Kinder von fünf bis zwölf Jahren mit einer Biontech-Dosis gegen Covid-19 geimpft.
In den USA werden Kinder von fünf bis zwölf Jahren mit einer Biontech-Dosis gegen Covid-19 geimpft. © dpa | Seth Wenig

In Amerika haben bis heute auf solche, eher unkonventionelle Art und Weise in Schulen, Apotheken oder Drogeriemärkten an mehr als 30.000 Anlaufstellen fast drei Millionen Kinder ihren ersten Corona-Piks erhalten. Die Zahl, sagt die Regierung, mache „großen Mut“. Erst vor zwei Wochen hatten die USA damit begonnen, die Altersgruppe der fünf- bis zwölfjährigen Kinder – insgesamt 28 Millionen Menschen – gegen Covid-19 zu impfen.

Impfgegner verunsichern Eltern in sozialen Netzwerken

Kimberley Brewer (Name geändert) ist mit ihren beiden siebenjährigen Söhnen William und Sebastian angereist. Die im Gesundheitswesen tätige Amerikanerin erzählt, dass in der Familie lange „diskutiert und viel gelesen“ wurde, bis die Entscheidung reif war. „Die Jungs wollten mehr Sicherheit und Freiraum, um ungetrübt mit Freunden spielen zu können und die Schule zu besuchen“, sagte Brewer unserer Redaktion, „beides bietet die Impfung.“

Die dreifache Mutter legt Wert auf die Feststellung, dass Eltern das individuelle Recht zugestanden sein muss, eine Impfung abzulehnen: „Aber wer die klinischen Studien liest, wer sich umfassend informiert, wird schnell verstehen, warum der Impfschutz auch bei jüngeren Kindern geboten ist.“

Verlässliche Informationen über Corona zu finden ist nicht immer leicht, da auf den sozialen Netzwerken wie Facebook und Co. zahlreiche Falschinformationen kursieren. So streute der Impfgegner Michael Yeadon auf Instagram die Nachricht, dass Kinder 50-mal wahrscheinlicher an der Impfung sterben würden als an Covid-19 selbst. Yeadon selbst ist ein im Streit geschiedener, ehemaliger Vizepräsident von Pfizer. Obwohl Ärzteverbände, Wissenschaftler und Aufsichtsbehörden die Behauptung als fahrlässig falsch kritisierten, hat Yeadon bereits 3000 Likes eingesammelt.

Leana Wen von der George-Washington-Universität macht diese Panikmache wütend: „In Amerika ist kein Kind und kein Jugendlicher bisher nachweisbar an der Impfung gestorben.“ Gleichzeitig weisen noch nicht endgültig konsolidierte Zahlen des National Center of Health aus, dass bisher rund 700 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in den USA an Corona gestorben sind. Gut 200 waren jünger als vier Jahre alt.

Bowie Johnson, Vater von Cynthia (6) und Brook (8), kennt die Zahlen. Und die Spekulationen über Herzmuskelentzündungen und Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit, die angeblich durch die Impfstoffe ausgelöst würden. „Für die Richtigkeit habe ich in seriösen Quellen keine Bestätigung bekommen“, sagte der 44-Jährige, „dagegen liegen die Risiken einer Nichtimpfung für mich auf der Hand.“ Johnson denkt vor allem an das pädiatrische inflammatorische Multiorgan-Syndrom (Pims), das oft Wochen nach einer Corona-Infektion bei Jugendlichen diagnostiziert wurde. „Das möchte ich meinen Kindern ersparen.“

Impfung hat 90-prozentige Wirksamkeit

Die oberste US-Entscheidungsinstanz, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), hatte die Impfung für Fünf- bis Zwölfjährige Anfang November genehmigt. Kurz darauf lieferte die Regierung 15 Millionen speziell präparierter Impfstoffdosen an Kinderärzte, Kliniken und Apotheken aus. Vorausgegangen war eine Studie durch die Arzneimittelbehörde FDA.

2300 Probanden aus 90 Kliniken in Amerika, Polen, Spanien und Finnland hatten zwei Biontech/Pfizer-Injektionen erhalten, deren Dosis etwa einem Drittel der Spritze für Erwachsene entsprach. Dabei wurde eine über 90-prozentige Wirksamkeit ermittelt. Stechschmerz an der Impfstelle oder Hautrötungen verliefen glimpflicher als bei Erwachsenen. Nur in einem von 20 Fällen, so die klinischen Studien, klagten die Kinder über Fieber oder Schüttelfrost. Kann man den vorläufigen Befunden trauen?

Kinderärztin Promise Ahlstrom wirbt um Vertrauen. „Die möglichen Nebenwirkungen sind geringer als bei Erwachsenen. Es gibt keine Hinweise auf Langzeitschäden“, sagte sie unserer Redaktion. Sie wirbt für Vertrauen: „Eltern gehen beruhigter aus der Praxis, wenn sie hier erfahren, dass wir die Impfung empfehlen, weil die Vorteile die potenziellen Risiken bei Weitem übertreffen.“

Doch nicht überall reicht diese Überzeugungskraft aus. Vor allem in ländlichen, republikanischen Gebieten liegt die Impfquote bei Erwachsenen zum Teil noch deutlich unter 50 Prozent. Dort könnte auch die Impfenthaltung bei Kindern groß sein. Die First Lady und Lehrerin Jill Biden sucht sich für ihre Impfbegleitung einen historischen Ort aus – die Franklin-Sherman-Grundschule, in der vor fast 70 Jahren die ersten Polio-Impfungen verabreicht wurden. Jill Biden war es, die vor Kurzem Grammy-Popstar Ciara mit ihren drei ein- bis siebenjährigen Kindern ins Weiße Haus einlud, um Bedenken abzubauen.

Bei der Capitol Medical Group ist man schon einen Schritt weiter. Dort können Eltern Kinder ab sechs Monaten zum wissenschaftlichen Versuch mit Modernas „KidCove“ anmelden. Bei der Blindstudie werden 25 Mikrogramm, also ein Viertel der Moderna-Dosis für Erwachsene, gespritzt. Andere bekommen ein Placebo. Wenn Moderna dafür die erhoffte Notfallzulassung durch die FDA erhält, könnten dann auch die Allerjüngsten gegen Corona geimpft werden. In der Tiefgarage. Wie beim Drive-in à la McDonald’s.