Berlin. Die Corona-Infektionszahlen steigen ungebremst weiter. Experten warnen vor einem Machtvakuum. Welche Maßnahmen nun diskutiert werden.

  • Die dramatische Entwicklung der Pandemie gibt Anlass zur Sorge - Experten warnen vor einem Kontrollverlust
  • Kann man die vierte Welle noch in den Griff bekommen?
  • Diese Regeln und Maßnahmen fordern Politiker und Expertinnen

Nicht zum ersten Mal droht ein Kontrollverlust – aber diesmal ist die Lage besonders heikel: „Ich habe mir noch nie in der Pandemie so große Sorgen gemacht wie jetzt“, sagt Ärztevertreterin Susanne Johna, die mit dem Marburger Bund die Klinikärzte vertritt. „Die Zahlen steigen rasant, und in der Politik herrscht ein Machtvakuum zwischen alter und künftiger Regierung, Bund und Ländern.“

Dass die Lage mehr als ernst ist, sieht nun auch FDP-Chef Christian Lindner, nachdem die Liberalen lange Zeit eher das Gegenteil zu glauben schienen: In der Phase des Regierungswechsels stünden die Ampel-Parteien und die Unionsparteien gemeinsam in der Verantwortung, „einen Kontrollverlust abzuwenden“. Doch wie lässt sich die vierte Welle wieder in den Griff bekommen?

Corona-Fallzahlen steigen: Bundeswehr bereitet sich auf Corona-Notlage vor

Am Montag überschritt die Sieben-Tage-Inzidenz erstmalig die 300er-Marke, vor allem im Süden und Osten der Republik können Kliniken nicht mehr alle Corona-Patienten aufnehmen. Die Bundeswehr bereitet sich nach einem Bericht des „Spiegel“ bereits auf eine bundesweite Corona-Notlage vor. Sie will 12.000 Soldaten zur Unterstützung von überlasteten Kliniken und Gesundheitsämtern mobilisieren. Uniformierte Helfer sollen demnach auch für Auffrischungsimpfungen und Schnelltests vor Pflegeheimen und Hospitälern bereitstehen.

„Bei den Fallzahlen, die wir jetzt haben, werden die Kliniken in den ersten beiden Dezemberwochen bundesweit die Kapazitätsgrenze überschreiten“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach unserer Redaktion. „Das ist jetzt schon kaum mehr abzuwenden. Damit die Maximalbelastung nicht zum flächendeckenden Kollaps führt, brauchen wir jetzt drastische Maßnahmen.“

Kontaktbeschränkungen

Das Robert Koch-Institut fordert seit zwei Wochen, dass auch Geimpfte ihre Kontakte so weit wie möglich reduzieren. Angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen wächst nun bei Grünen und FDP der Wille, Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte als strenge Pandemie-Maßnahme ausdrücklich in die Novelle des Infektionsschutzgesetzes aufzunehmen – und damit auch dann möglich zu machen, wenn die epidemische Lage nationaler Tragweite wie geplant Ende des Monats auslaufen sollte. Wie groß die erlaubten Gruppen dann wären und ob das kontrollierbar wäre – das ist offen.

Lauterbach ist skeptisch: „Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte bringen nicht viel. Eine solche Regel, die vor allem auf private Treffen zielt, ist praktisch im Alltag kaum zu kontrollieren. Da verkämpfen wir uns.“ Wichtiger sei es, jetzt flächendeckend strenge 2G-Regeln einzuführen: „Ungeimpfte sollten nur noch Zugang zu ihrem Arbeitsplatz, zu Lebensmittelgeschäften, Drogerien und Apotheken haben. Eine solche Einschränkung für Ungeimpfte ist notwendig, weil ihre Inzidenz einzigartig hoch ist. Das ist die einzige Möglichkeit, wieder Kontrolle über die Infektionslage zu bekommen.“

Pflicht zum Homeoffice

Die Ampel-Parteien wollen 3G-Regeln (Zutritt nur für Geimpfte, Genesene und Getestete) am Arbeitsplatz einführen, der geschäftsführende Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant darüber hinaus, die Homeoffice-Pflicht für Arbeitnehmer wieder einzuführen. Die Regel soll noch mit dem neuen Infektionsschutzgesetz an diesem Donnerstag verabschiedet werden. Aus der FDP hieß es am Sonntag, man sei offen für gute Vorschläge. Heißt: Die FDP ist grundsätzlich an Bord.

Epidemische Lage verlängern

Am Donnerstag steht im Bundestag die Abstimmung über die Änderung des Infektionsschutzgesetzes an. SPD, Grüne und FDP wollen die epidemische Lage nationaler Tragweite am 25. November auslaufen lassen und durch einen eingeschränkteren Maßnahmenkatalog im Infektionsschutzgesetz ersetzen. Viele Experten, die Union, die amtierende Kanzlerin Angela Merkel und auch mehrere Grünen-Gesundheitsminister der Länder sind dagegen.

Impfpflicht in der Bundeswehr

Seit Tagen wird die Forderung nach einer Impfpflicht in der Pflege lauter. Wie schwer es ist, politisch vor der eigenen Tür zu kehren, zeigt die Bundesregierung beim Versuch, ihre eigenen Großorganisationen zu einer höheren Impfquote zu bewegen: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) läuft seit Monaten mit ihrem Wunsch nach einer Impfpflicht für die Bundeswehr gegen die Wand. Verpflichtend ist eine Covid-19-Impfung bislang nur für die Soldaten in Auslandseinsätzen.

„Sie sollte für alle in der Truppe gelten, damit die Einsatzbereitschaft gewährleistet ist“, sagte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) unserer Redaktion. Zum einen trügen Soldatinnen und Soldaten eine besondere Verantwortung, „sich und andere Kameradinnen und Kameraden zu schützen“. Zum anderen sei unabhängig von der aktuellen vierten Welle schon jetzt klar, „dass uns Covid-19 auf absehbare Zeit beschäftigen wird“. Auch der Vorsitzende des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, plädierte „dringend für eine Impfpflicht“ – nicht zuletzt mit Blick auf die Amtshilfe. „Wir wollen schließlich Menschen helfen und nicht gefährden.“