Wien. Wie in Deutschland steigen in der Alpenrepublik die Corona-Zahlen rasant. Jetzt zieht die Regierung in Wien die Notbremse. Zu spät?

Eine Sieben-Tage-Inzidenz, die landesweit bei 780 liegt, in einigen Regionen sogar bei fast 1200. Kliniken, die an der Belastungsgrenze angekommen sind. Mediziner und Wissenschaftler, die heiser von Mahnrufen sind, und Politiker vor allem auf Landesebene, die erst allmählich realisieren, wie brenzlig die Lage ist: So stellt sich die Corona-Pandemie aktuell in Österreich dar.

Jetzt zieht die Regierung in Wien die Notbremse. Sie kündigte am Freitag eine Impflicht für Gesundheitsberufe an. Ab Montag soll zudem ein Lockdown für Ungeimpfte in den am stärksten betroffenen Bundesländern Oberösterreich und Salzburg gelten. Ein bundesweiter Lockdown für Nichtimmunisierte ist bereits in Vorbereitung – er soll am Sonntag beschlossen werden. Ab dann gilt die Alpenrepublik in Deutschland auch als Hochrisikogebiet.

Wer soll den Lockdown kontrollieren?

Angesichts der stark steigenden Infektionszahlen sei es nicht mehr vernünftig, noch abzuwarten, erklärte Bundeskanzler Alexander Schallenberg. Es sei den Corona-Geimpften nicht zuzumuten, in einen weiteren Lockdown für alle zu gehen, begründete der konservative Politiker die weitere Einschränkung für Nichtimmunisierte.

Ungeimpfte dürfen damit nur noch ihr Zuhause verlassen, um ihre täglichen Bedürfnisse zu decken, zur Arbeit zu gehen oder wenn sie Hilfe benötigen.

Ein Lockdown für einen Teil der Gesellschaft birgt indes Probleme – unter anderem verfassungsrechtliche. Vor allem wirft die praktische Umsetzung Fragen auf: Wer soll den Lockdown kontrollieren? Die Polizei verweist bereits auf die Gesundheitsbehörden – man selber sei am Limit. Aber auch an der Sinnhaftigkeit gibt es Zweifel. Angesichts des exponentiellen Wachstums bei den Neuinfektionen könnte der Bremseffekt viel zu langsam wirken.

Realitätsverlust bei Landespolitikern

Erst am vergangenen Montag hatte die Regierung in Wien eine 2G-Regel für Lokale, Veranstaltungen, den Tourismus und Sport eingeführt: Nur noch Geimpfte und von Covid-19 Genesene haben Zutritt. Außerdem ist seit Anfang November eine 3G-Regel am Arbeitsplatz in Kraft, wonach Ungeimpfte regelmäßig negative Tests vorweisen müssen.

Diese zwei Maßnahmen haben zu einem starken Zuwachs bei der Zahl der Erst- und Auffrischungsimpfungen in den vergangenen Tagen geführt. Allerdings stiegen gleichzeitig auch die Ansteckungszahlen weiter stark an. Am Freitag meldeten Österreichs Behörden knapp 11.800 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. „Wir müssen die Schrauben noch mal enger ziehen“, sagte Schallenberg. Der Lockdown solle mit Stichproben kontrolliert werden, kündigte er an.

Bei den Corona-Maßnahmen haben die Bundesländer in Österreich viel mitzureden. Was dort in den vergangenen Tagen sichtbar wurde, wirkt wie komplette Realitätsferne. So erteilte der Landeshauptmann von Salzburg, Wilfried Haslauer (ÖVP), in Beratungen mit dem Bund einem Lockdown eine Absage.

Der Regierungschef des Bundeslandes verschaffte sich dann mit der Aussage Gehör, Virologen wäre es ja wohl am liebsten, „wenn jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer eingesperrt ist, weil da kann er sich nicht anstecken. Und er kann niemanden infizieren.“ Die derart behandelten würden „halt dann leider aus Depression sterben oder verhungern oder verdursten“.

Arzt berichtet: „Wir haben keine Betten mehr“

In Oberösterreich verstieg sich Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) derweil dazu, das Land habe „viele Intensivbetten“, „die auch gut betreut werden“. Eine Aussage, die keine Stunde hielt: Laut internen Zahlen des Landes liegt die Belegung der Intensivstationen in dem Bundesland im Schnitt bei 84 Prozent.

In einigen Regionen sind die Kapazitäten bereits zu 100 Prozent ausgelastet, zusätzliche Betten etwa in Aufwachstationen mussten freigemacht werden. Intensivpersonal für diese zusätzlichen Betten gibt es aber nicht.

Die Wiener Zeitung „Die Presse“ berichtet von verzweifelten Ärzten in Oberösterreich, die sich an der Schwelle zum medizinischen Kollaps sähen. „Wir leben die Triage“, sagte der Leiter einer Intensivstation dem Blatt. „Wir haben keine Betten mehr. Außer vielleicht in der Pathologie.“

(mit dpa)