Berlin/Schortens. In einem Impfzentrum in Friesland gibt es Verwirrung um zahlreiche Impfungen. Eine Mitarbeiterin wird verdächtigt. Die Lage ist unklar.

  • In einem Impfzentrum in Ostfriesland wurde möglicherweise vielen Menschen Kochsalzlösung statt Biontech geimpft
  • Eine Mitarbeiterin steht im Verdacht
  • Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen
  • Nun gibt es neue Details zu dem Fall

Es wäre nicht nur für die niedersächsischen Behörden ein Albtraum, sondern auch für Tausende Privatpersonen, die sich bisher in Sicherheit vor dem Coronavirus wähnten: In einem Impfzentrum in Schortens in Ostfriesland wurden möglicherweise viel mehr unwirksame Corona-Impfungen gespritzt als ursprünglich angenommen.

Nach neuesten Erkenntnisse des Landesgesundheitsamts Niedersachsen und des Landkreises Friesland könnten sich die schlimmsten Befürchtungen erfüllt haben: Eine Mitarbeiterin des dortigen Impfzentrums könnte bereits im Frühjahr bis zu 8557 Spritzen lediglich mit Kochsalzlösung aufgezogen haben. Bisher war lediglich von einer geringen Zahl von möglichen Fällen ausgegangen worden. Doch es gibt Zweifel daran.

Ermittlungen wegen unwirksamer Impfungen: Mitarbeiterin des Impfzentrums unter Verdacht

Zumindest laut Behörden ergaben sich durch die polizeilichen Ermittlungen gegen die Verursacherin, die bereits im April aufgefallen war, Hinweise auf eine womöglich wesentlich größere Dimension. Demnach geht es um Impfungen im Impfzentrum des Landkreises Friesland in Schortens zwischen dem 5. März und dem 20. April, jeweils zu bestimmten Zeiten. Ob tatsächlich Impfstoff durch Kochsalzlösung ersetzt wurde, ist unklar. Die Ermittler sprachen von einer „Gefahr“.

Hintergrund ist der Fall einer früheren Mitarbeiterin des Roten Kreuzes, die in dem Impfzentrum Spritzen für die Corona-Impfungen vorbereitete. Ende April hatte sie nach früheren Angaben der Betreiber gegenüber einer Kollegin zugegeben, sechs Spritzen lediglich mit einer Kochsalzlösung aufgezogen zu haben, nachdem ihr eine Biontech-Impfstoffampulle versehentlich heruntergefallen sei. Die Krankenschwester wurde danach umgehend entlassen.

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    Anwalt widerspricht Darstellung der Ermittler

    Zu genau diesen sechs Fällen ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Oldenburg. Staatsanwalt Matthias Rennecke untersuche die Kochsalz-Impfungen wegen des Straftatbestands der gefährlichen Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft. Allerdings gelte für die Verdächtige die Unschuldsvermutung. Sowohl für die sechs Fälle als auch für die möglicherweise rund 8.500 weiteren betroffenen Impfungen „brauchen wir die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Täterschaft, um Anklage zu erheben".

    Am Donnerstag wurde allerdings bekannt, dass der Anwalt der beschuldigten Krankenschwester früheren Angaben der Polizei und des Kreises nun widersprochen hat. Unzutreffend sei, dass seine Mandantin bei dem Vorfall im April sechs Spritzen allein mit einer Kochsalzlösung aufgezogen habe. Vielmehr habe die Frau bereits bei einer ersten Aussage nach der Tat angegeben, Impfstoffreste aus übrigen Ampullen genutzt zu haben, sagte ihr Wilhelmshavener Anwalt Christoph Klatt am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Auf diese Weise habe sie den Verlust des Impfstoffes aus einem zuvor zerbrochenen Fläschchen zumindest teilweise auffangen wollen. Zuvor hatten die „Ostfriesen-Zeitung“ und weitere Medien berichtet.

    Am Dienstag hatten dann Landkreis und Polizei mitgeteilt, dass nach weiteren Zeugenaussagen nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Frau bereits zuvor Spritzen mit Kochsalzlösungen aufgezogen habe und weitere Personen daher keinen ausreichenden Impfschutz gegen Covid-19 hätten. 8557 Kreisbewohner sollen daher nun nachgeimpft werden. Rechtsanwalt Klatt bekräftigte erneut die Aussage seiner Mandantin, dass es keine weiteren Fälle gebe. „Das war ein einmaliger Vorfall, bei dem ihr etwas runtergefallen war.“

    Die Staatsanwaltschaft Oldenburg teilte am Donnerstag zudem mit, es bestehe ein Anfangsverdacht, wonach der Impfausweis und ein Ersatzdokument der Beschuldigten manipuliert sein könnte. Der Rechtsanwalt der Beschuldigten wies auch diesen Vorwurf zurück. Seine Mandantin sei nach eigener Aussage gegen Covid-19 geimpft.

    Die Frau hatte nach der Tat eingeräumt, den Verlust des Impfstoffes aus Furcht ihren Job zu verlieren, vertuschen zu wollen. In einer gemeinsamen Mitteilung des Landkreises und der Polizei nach Bekanntwerden des Falles war bislang davon die Rede, die Spritzen seien nur mit Kochsalzlösungen aufgezogen worden. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg bestätigte am Donnerstag aber, dass die Frau bei einer Vernehmung Angaben, wie von ihrem Anwalt geschildert, gemacht habe. Sie gab demnach an, Impfstoffreste aus zwei Ampullen auf sechs Spritzen aufgeteilt zu haben. Warum die Angaben der Frau zuvor nicht mitgeteilt wurden, blieb zunächst offen.

    Nach Impfungen mit Kochsalzlösungen im April im Kreis Friesland könnten nach Behörden-Angaben bis zu 8557 Menschen betroffen sein.
    Nach Impfungen mit Kochsalzlösungen im April im Kreis Friesland könnten nach Behörden-Angaben bis zu 8557 Menschen betroffen sein. © dpa | Mohssen Assanimoghaddam

    Tausende Menschen müssen in Friesland nun nachgeimpft werden

    Dass nun Tausende Menschen möglicherweise nicht geimpftt sind, stellt die Behörden vor eine Mammutaufgabe: Die potenziell nicht richtig Geimpften müssen nun alle ausfindig gemacht und informiert werden. Außerdem sollen schnellstmöglich Nachimpfungen durchgeführt werden. Am Mittwoch erklärte das niedersächsische Gesundheitsamt, bereits mehr als 2000 Menschen hätten sich bereits dafür angemeldet.

    Nach dem Bekanntwerden des ursprünglichen Vorfalls im April waren etwa 200 Menschen zu einem Antikörpertest und einer eventuellen Nachimpfung eingeladen worden, weil sich nicht mehr nachvollziehen ließ, an wen die sechs Spritzen im Betrieb genau verabreicht worden waren. Kochsalzlösung wird regulär zur Verdünnung der Impfflüssigkeit eingesetzt und ist für den Körper unschädlich.

    „Nachholimpfungen“ in Friesland: RKI und Stiko geben Zustimmung

    „Nach aktuellen polizeilichen Erkenntnissen besteht die Gefahr, dass die Verursacherin auch in weiteren Fällen anstelle des Impfstoffs nur eine Kochsalzlösung in den Spritzen aufgezogen hat“, teilten die Behörden sowie der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes als Betreiber zuvor mit. Angesichts der „unklaren Situation“ sei es wichtig, dass allen möglicherweise Betroffenen nun zeitnah „Nachholimpfungen“ angeboten würden. Die Zahl der potenziell unfreiwillig Nicht-Geimpften wurde dabei mit 8557 angegeben.

    Weitere Einzelheiten zu den Ermittlungen teilten sie zunächst nicht mit. Das Vorgehen mit Blick auf die Nachholimpfungen wurde demnach mit dem Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Ständigen Impfkommission abgestimmt und entschieden. Diese seien auch außerhalb der üblichen Impfintervalle unbedenklich.

    Alle betroffenen Bürger würden direkt angeschrieben und erhielten schnell Impftermine, hieß es. Ein Bürgertelefon sei eingerichtet worden. Antikörpertests zur Überprüfung des Impfstatus seien nach der langen Zeit nicht aussagekräftig genug. (bml/afp)