Berlin. Die Delta-Variante des Coronavirus verbreitet sich schneller als erwartet. Sandra Ciesek erklärt, was das für den Sommer bedeutet.

  • Seit Wochen gehen die Corona-Zahlen in Deutschland zurück
  • Virologin Sandra Ciesek zeigt sich dennoch alarmiert über die Verbreitung der Delta-Variante in Deutschland
  • Sie mahnt zur Vorsicht - insbesondere bei Reisen

Niedrige Inzidenzen, viele Impfangebote: Die letzten Wochen legten die Vermutung nahe, dass der Sommer 2021 endgültig die Wende in der Corona-Pandemie bringen könnte. Doch seit sich die Delta-Variante des Sars-Cov-2-Erregers nun auch in Europa ausbreitet, sind die Aussichten nicht mehr so rosig. Aus Sicht von Experten haben sich viele zu früh gefreut – und vor allem die Folgen der Mutation unterschätzt, so auch die Einschätzung von Virologin Sandra Ciesek.

Im NDR-Podcast "Coronavirus-Update", in dem Ciesek alle zwei Wochen im Wechsel mit ihrem Kollegen von der Charité Berlin, Christian Drosten, über aktuelle Fragen in der Pandemie spricht, machte die Frankfurter Wissenschaftlerin eine düstere Prognose. "Viele haben befürchtet, dass Delta im Herbst hier dominant wird. Ich denke, wir werden es Anfang Juli schon sehen", erklärte Ciesek.

Ciesek: Delta verzeiht noch weniger als andere Corona-Varianten

Der Grund: Die zuerst in Indien entdeckte Virusvariante ist nicht nur sehr viel ansteckender als der Corona-Wildtyp, sondern überträgt sich auch noch schneller als die bisher dominierende Alpha-Mutation. Die Virologin warnte deshalb mit Blick auf die Situation in Deutschland: "Delta verzeiht noch weniger als die anderen Varianten, wenn man nicht schnell genug handelt."

Es müsse jetzt darum gehen, schnellstmöglich lokale Ausbrüche einzudämmen, damit eine flächige Ausbreitung der Variante weiter unterbunden wird. "Das bedeutet auch, dass man bei einem Delta-Fall in einer Schulklasse nicht noch eine halbe Woche überlegt, was jetzt zu tun ist", so Ciesek.

Delta breitet sich aus – Inzidenz könnte auch in Deutschland bald wieder steigen

Dass Delta schon bald den größten Anteil an den Neuinfektionen ausmachen wird, lässt sich wohl kaum noch verhindern. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzte den Anteil der Delta-Variante in Deutschland bereits zu Beginn dieser Woche auf 50 Prozent. Steigende Inzidenzwerte lassen sich laut Ciesek auch im Sommer – wenn die Corona-Infektionen wegen saisonaler Effekte zurückgehen – nur durch konsequentes Handeln verhindern.

Man könne ja jetzt beobachten, dass in Großbritannien trotz Sommer die Inzidenz binnen kürzester Zeit wieder über 150 gestiegen sei. Mit 22.868 neuen Corona-Fällen verzeichnete Großbritannien zum Wochenbeginn erstmals wieder so viele Neuinfektionen wie seit Ende Januar nicht mehr. Die Ursache für die neue Welle: Delta verbreitet sich auf der Insel wie ein Lauffeuer.

Eine ähnliche Entwicklung könnte auch dem europäischen Kontinent drohen – in Portugal verschlechtert sich die Pandemie-Lage schon seit Tagen. Gerade nach der Rückkehr aus dem Urlaub müsse man sich nun besonders vorsichtig verhalten, so Ciesek. Lesen Sie dazu: Delta-Variante: In welche Urlaubsländer kann man reisen?

Delta-Variante: Virologin Ciesek mahnt Vorsicht bei Reisen an

Schon im letzten Jahr habe man gesehen, dass aufgrund von Reisen an vielen Orten Infektionen eingeschleppt wurden, so die Direktorin der Medizinischen Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Deshalb sei es umso wichtiger, dass Quarantäne- und Testregeln eingehalten werden würden. "Wenn man nicht schnell handelt und alle im Umfeld eines Delta-Falls testet oder in Isolation schickt, kann sich das Virus sehr schnell verbreiten", warnte Ciesek im Podcast.

Laut jüngstem RKI-Lagebericht machen in diesem Sommer Einreisende aus dem Ausland bislang aber nur einen recht kleinen Anteil an allen erfassten neuen Corona-Ansteckungen aus. Im letzten Jahr stieg diese Größe aber deutlich ab August an.

Delta-Variante: Quarantäne auch für Geimpfte und Genesene

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    Virologin ärgert sich: "Wir machen ähnliche Fehler wie letztes Jahr"

    Doch nicht nur auf Reisen droht die Ansteckungsgefahr: "Auch innerhalb von Deutschland steigt die Wahrscheinlichkeit, sich mit der Delta-Variante zu infizieren", so Ciesek. Immerhin: Durch den Fortschritt beim Impfen und die Verfügbarkeits von Tests sei man eigentlich gerüstet für Delta in Deutschland.

    Für Sandra Ciesek ist der unbeschwerte Sommer durch die Verbreitung der Delta-Variante trotzdem wieder in die Ferne gerückt. Das läge aber auch am zu langsamen Reagieren: "Ich sehe, dass wir ähnliche Fehler machen wie letztes Jahr. Und wir haben doch relativ wenig dazugelernt." Bei ihr überwiege daher die Sorge, dass man schneller als erwartet wieder einen Anstieg der Fallzahlen sehen werde.

    Ob vor diesem Hintergrund bestimmte Gruppen eine Auffrischungsimpfungen erhalten müssten, müsse rasch geklärt werden, sagte Ciesek. Ebenso sollte man möglichst nicht den empfohlenen Impfabstand zwischen erster und zweiter Dosis der Corona-Impfung verringern – um keinen Wirkverlust zu riskieren.

    Allerdings müssten erstmal genug Menschen hierzulande ein Impfangebot erhalten. Es reiche nicht, dass gefährdete Bevölkerungsgruppen nun größtenteils immunisiert seien, so Ciesek. Auch interessant: So gut schützen die Corona-Impfungen gegen die Delta-Variante

    Corona-Pandemie: Situation in Afrika sollte auch Europa Sorgen machen

    Anlässlich der Gefahr, die die Delta-Variante nun für die Pandemie-Lage in Europa darstellt, erinnerte Ciesek im "Coronavirus-Update" daran, dass es besonders wichtig sei, dass westliche Staaten den afrikanischen Ländern helfen würden. Bisher haben 14 afrikanische Länder Delta-Fälle gemeldet, der jüngste Anstieg der Corona-Neuinfektionen ist wahrscheinlich der schlimmste, den es auf dem Kontinent je gab.

    Da neue Virusmutationen vor allem bei hohen Übertragungsraten entstünden, sei es auch im Interesse Europas, den afrikanischen Ländern mit medizinischer Ausrüstung und Impfstoffen zu helfen. "Wir sitzen ja alle irgendwie in einem Boot. Uns muss einfach klar sein, dass niemand sicher ist, so lange nicht alle sicher sind", brachte es die Virologin auf den Punkt.

    Corona-Podcast von Drosten und Ciesek geht in Sommerpause

    Vor dem Sommer überwiegt bei Sandra Ciesek auch deshalb die Sorge: "Wir sind noch nicht am Ende der Pandemie, so sehr wir uns das alle wünschen." Das Thema könne noch nicht abgeschlossen werden.

    Einen Abschluss findet aber erst einmal der Podcast: Bis zum 7. September gehen Ciesek und Christian Drosten mit ihrer NDR-Sendung in die Sommerpause. In der Zwischenzeit soll es auf dem Kanal wöchentlich Kurzfolgen mit anderen Experten und Expertinnen geben.