Moskau. Trotz hoher Infektionszahlen und einer rasanten Ausbreitung der Delta-Variante: Die Behörden in Russland greifen nur halbherzig durch.

In Sankt Petersburg sterben über 100 Covid-Patienten täglich. Aber angesichts des anstehenden EM-Viertelfinales drückt sich die Stadtverwaltung vor Verboten. Auch anderswo in Russland sind die Maßnahmen eher halbherzig, obwohl die Infektionszahlen steigen, sich die neue Delta-Mutation rasant ausbreitet und das ganze Land ab Dienstag als „Virusvariantengebiet“ gilt.

Am Wochenende drängten sich wieder Zehntausende auf dem Petersburger Schlossplatz und an den Uferpromenaden der Newa, die Stadt feierte das traditionelle Schulabschlussfest „Purpurrote Segel“. Der Großteil des meist jugendlichen Publikums trug keine Masken.

EM-Viertelfinalspiel am Freitag

Als ob das nicht schon genug wäre, findet am Freitag in der Stadt eines der EM-Viertelfinalspiele statt – bis zu 35.000 Zuschauer hat die Uefa im Stadion zugelassen. Auch danach könnte es wieder eine lange Feiernacht geben.

In Wahrheit hat Sankt Petersburg wenig Grund zu feiern. Von den am Sonntag in Russland gemeldeten 21.650 neuen Corona-Fällen infizierten sich 1335 in der Metropole, von 611 Todesopfern starben gar 110 dort – ein neuer Rekord. Zum Vergleich: Im zweieinhalb Mal so großen Moskau gab es 124 Tote.

Dort, in der Hauptstadt, spricht Bürgermeister Sergei Sobjanin von einer „äußerst schwierigen Lage“. Bereits vor einer Woche waren schon fast 90 Prozent der Corona-Infektionen auf die Delta-Variante zurückzuführen.

30 Prozent der ungeimpften Mitarbeiter im Homeoffice

Seit Sonntag müssen die Arbeitgeber in Moskau nun 30 Prozent der ungeimpften Mitarbeiter ins Homeoffice schicken. Auch in anderen Regionen sind mittlerweile Impfungen für 60 Prozent der Angestellten in der Dienstleistungsbranche und im öffentlichen Dienst Pflicht.

In der Hauptstadt dürfen Gaststätten zudem nur noch Kunden einlassen, die beweisen können, dass sie geimpft, immun oder negativ getestet sind.

Beschränkungen in ostsibirischer Republik Burjatien

Auch in anderen Teilen des Landes werden die Corona-Maßnahmen verstärkt. Die ostsibirische Republik Burjatien rang sich gar zum Lockdown durch und wird am Wochenende die meisten Betriebe schließen. Allerdings wirkt der Kampf gegen Covid bisher halbherzig.

So nahm Russland unlängst wieder den Flugverkehr in die Türkei auf, das Lieblingsurlaubsland der Russen. Und auch wenn sich vergangene Woche laut Bürgermeister Sobjanin in Moskau 86.000 Menschen täglich impfen ließen, gelten die Russen noch immer als Impfmuffel.

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    62 Prozent der Bürger gegen Impfung

    Laut dem Meinungsforschungszen­trum Lewada wollen sich 62 Prozent der Bürger gar nicht impfen lassen. 55 Prozent von ihnen haben keine Angst, sich mit Corona zu infizieren.

    „Der Russe glaubt nicht an Medizin, Statistik, einfache Logik oder an ehrliche Behörden“, schreibt der Politologe Wladimir Pastuchow. Erst habe die Staatsmacht populistisch alle Covid-19-Gefahren verniedlicht. Jetzt aber sei sie gezwungen, repressiv gegen jene Bevölkerungsteile vorzugehen, die das Virus weniger fürchten als die Spritze.

    Kneipen schließen – ab zwei Uhr morgens

    Aber wieder fehlt die Konsequenz. Auch der Sankt Petersburger Gouverneur Alexander Beglow kündigte an, bis zum 15. August müssten 65 Prozent der städtischen Beamten in der Stadt geimpft sein. Aber zuerst will man offenbar die EM-Party zu Ende feiern.

    Vergnügungsparks und Spaßbäder hat man zwar auch hier geschlossen. Und auch der Eintritt in die Kneipen und Bars wurde gesperrt, aber nur von zwei Uhr nachts bis sechs Uhr morgens. Und in den Petersburger Fanmeilen, etwa auf dem Konjuschennaja-Platz, dürfen sich weiter bis zu 3000 Fußballanhänger versammeln.