Berlin. Annalena Baerbock (Grüne) hat ihre Chance aufs Kanzleramt verbockt. Jetzt muss sie als Vorsitzende die Partei einen – ein Kommentar.

  • Sie sollte die Grünen als Spitzenkandidatin ins Kanzleramt führen: Annalena Baerbock
  • Doch in den Umfragen liegt sie aktuell zurück, wegen wegen „vergessener“ finanziellen Zuwendungen und falscher Angaben in ihrem Lebenslauf hat Baerbock an Glaubwürdigkeit eingebüßt
  • Der Sieg bei der Bundestagswahl scheint verloren – ein Kommentar

Wie grün wird Deutschland nach dem 26. September regiert? Dominant, etwas – oder gar nicht? Einen ersten Teil der Antwort auf diese Frage liefert der Grünen-Bundesparteitag, der dieses Wochenende digital über die Bühne geht.

Die 820 Delegierten werden der grünen Kanzlerkandidatin die Leitplanken an den Weg zur Macht anschrauben. Wird es sehr eng für Annalena Baerbock? Oder lässt man ihr Platz zum Manövrieren und Beschleunigen? Es liegen 3280 Änderungsanträge zum Programmentwurf der Parteispitze vor. Lesen Sie auch: Grüne: Baerbock präzisiert ihren Lebenslauf

Das zu bewältigen, ist schon in normalen Zeiten ein heikles Unterfangen. Aber die Zeiten für die Grünen sind nicht normal.

Jörg Quoos, Chef der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chef der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Grüne im Wahlkampf: Vor wenigen Wochen noch die Kanzlerin-Partei

Die Partei pendelt zwischen Auf und Ab wie die Schiffsschaukel auf dem Jahrmarkt. Vor wenigen Wochen noch die Kanzlerin-Partei mit über 25 Prozent in der Sonntagsfrage. Die Union? Abgeschlagen mit einem Kandidaten, an den nicht einmal die CDU richtig glaubt. So schien es. Lesen Sie auch: "War falsch" – Baerbock benutzt N-Wort und entschuldigt sich

Doch dieser grüne Traum ist vorerst ausgeträumt. Armin Laschet ist auf dem besten Weg zur Kanzlerschaft, und die Grünen sind geschrumpft. Die 5,9 Prozent bei der Sachsen-Anhalt-Wahl waren näher an der parlamentarischen Todeszone als am Kanzleramt.

Blitzabsturz sprichwörtlich selbst verbockt

Der Blitzabsturz ist hausgemacht, die Kandidatin hat es sprichwörtlich selbst verbockt. An mangelnder freundlicher Berichterstattung hat es sicher nicht gelegen.

Der frisierte Lebenslauf und die „vergessenen“ finanziellen Zuwendungen haben Annalena Baerbock das Wichtigste gekostet, das sie im Wettstreit mit den alten Hasen Scholz und Laschet in die Waagschale werfen konnte: ihre Glaubwürdigkeit. Und nichts ist schwerer wiederzuerlangen.

Vita unspektakulär, akademisch so lala, aber engagiert

Man darf eben keine Nebeneinkünfte vergessen, wenn man an alles und jeden die Moral-Latte so haushoch anlegt. Und ein aufgehübschter Lebenslauf ist der letzte Beweis dafür, dass man sich selbst vielleicht nicht kanzlerreif findet.

Das politisch Tragische ist: Annalena Baerbock hätte wahrscheinlich keinen einzigen ihrer potenziellen Wähler verprellt, wenn sie ihre Vita dargestellt hätte, so wie sie ist: unspektakulär, akademisch so lala, politisch und gesellschaftlich voll engagiert, dazu noch Mutter von zwei Kindern. Das war’s dann auch.

Wer mit 40 Jahren Grünen-Chefin ist, in den Umfragen vorne liegt und den Mumm hat, nach der Kanzlerschaft zu greifen, braucht keine geschönte Vita, um Eindruck zu schinden.

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    Partei hat ein Selbstdarstellungsproblem

    Wie wird Annalena Baerbock das jetzt den eigenen Leuten erklären? Die Solidarität mit dem unterlegenen Robert Habeck hat immerhin gehalten. Der grüne Philosoph, der „nichts mehr wollte, als dieser Republik als Kanzler zu dienen“, macht sich gerade tapfer für die Parteifreundin stark. Wie schwer es ihm fällt, verrät nur sein Mienenspiel.

    Aber selbst wenn Baerbock die Demutsgeste gelingt und die Basis ihr verzeiht, bleibt das Thema Authentizität. Nicht nur Baerbock, auch die Partei hat ein Selbstdarstellungsproblem. Mittig, jung, gegen Klimawandel kämpfend und gleichzeitig wirtschaftsfreundlich. Dieses Bild der Grünen kontrastiert hart zu dem, was die Parteibasis gerade abliefert. Lesen Sie hier: Göring-Eckardt warnt beim Klimaschutz vor Überforderung

    Baerbock:Für die Kanzlerschaft reicht es nicht mehr

    Wer sich durch den Berg an Änderungsanträgen pflügt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Geht es nach grünen Fundis, darf nicht mal das Wort „Deutschland“ über dem Wahlprogramm stehen. Begründung: Klingt zu sehr nach AfD …

    Nur wenn Annalena Baerbock zu den eigenen Fehlern die richtigen Worte findet und die große Mehrheit der Partei hinter sich auf einen moderaten Kurs bringt, hat sie die Chance, den Negativtrend noch zu drehen.

    Für die Kanzlerschaft wird das nicht mehr reichen. Aber Vizekanzlerin ist ja auch nicht schlecht im Lebenslauf.