Berlin. Nach der Impfung mit Astrazeneca oder Johnson & Johnson treten selten Thrombosen auf. Deutsche Forscher können das nun wohl erklären.

  • Wer eine Impfung mit Astrazeneca oder Johnson & Johnson erhält, kann in seltenen Fällen eine Hirnvenenthrombose erleiden
  • Deutsche Forscher haben nun den Grund für diese seltene Nebenwirkung gefunden
  • Die Impfstoffe könnten nun verändert werden

Haben deutsche Wissenschaftler das Thrombose-Rätsel der Impfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson gelöst? Ein Forscherteam der Goethe-Universität in Frankfurt und der Universität Ulm glaubt, die Ursache der Blutgerinnsel, die im Zusammenhang mit den Vakzinen aufgetreten sind, gefunden zu haben.

Mit dieser Erkenntnis könnten die Vektor-Impfstoffe sogar so optimiert werden, dass die sehr seltenen Nebenwirkungen komplett vermieden werden könnten, so die Forscher. Das geht zumindest aus der Vorabfassung (Preprint) ihres Forschungsartikels hervor.

Astrazeneca: Werden die Spike-Proteine an die falsche Stelle transportiert?

Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt das Problem des Astrazeneca-Impfstoffs wohl in der Weiterverarbeitung des enthaltenen Erbguts des Coronavirus. Damit der Körper eine Immunantwort gegen das Coronavirus entwickeln kann, werden bei dieser Impfung die Erbgut-Informationen der Oberflächenproteine des Sars-Cov-2-Erregers, auch Spike-Proteine genannt, über das Genom eines Transportvirus in die Zellen geschleust. Der Körper lernt so den Bauplan für das Spike-Protein und kann einen Immunschutz gegen eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus entwickeln.

  • Bei den Impfstoffen von Astrazeneca und Johnson & Johnson wird ein Adenovirus als Transportmittel für die Proteine eingesetzt.
  • Dieser sogenannte Vektor, ein einfaches Erkältungsvirus für Schimpansen, ist für Menschen harmlos und kann sich nicht weiter vervielfältigen. Er kann besonders leicht in die menschlichen Zellen eindringen.
  • In die DNA des umgebauten Adenovirus wird ein kleiner Teils des Erbguts des Coronavirus, in Form von RNA, integriert und dann mit der Impfung in die Körperzellen transportiert.
  • Dieser Teil des Erbguts des Krankheitserregers löst nach der Verabreichung einen Prozess aus, an dessen Ende die Zelle Spike-Proteine des Coronavirus selbst herstellen kann.
Ein medizinischer Mitarbeiter hält ein Fläschchen mit dem Astrazeneca-Wirkstoff in seiner Hand.
Ein medizinischer Mitarbeiter hält ein Fläschchen mit dem Astrazeneca-Wirkstoff in seiner Hand. © dpa

Astrazeneca-Impfung: Problem bei RNA-Transkription im Zellkern?

Die deutschen Forscher vermuten, das aber eben hier die Ursache der Thrombosen liegt. Der verwendete Adenovirus entlädt die gespeicherte RNA erst in die Zellflüssigkeit (Zytosol), von dort aus wandert sie direkt in den Zellkern. Dort findet die Abschrift des genetischen Codes, also des Bauplans der Oberfläche des Coronavirus statt. "Genau hier liegt das Problem: Das Stück virale RNA ist nicht dafür optimiert, im Kern transkribiert zu werden", schreiben die Wissenschaftler in ihrem Preprint.

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    Bei diesem sogenannten "Spleißen" oder "Splicing" werden nämlich die Protein-Bestandteile im Nukleus so aneinandergereiht, dass Abbilder des Spike-Proteins entstehen. Das Ergebnis ist die Ribonukleinsäure (RNA), die genetische Informationen für den Aufbau des Oberflächenproteins des Coronavirus enthält.

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      Wie die Wissenschaftler in Experimenten beweisen konnten, kommt es bei dieser Weiterverarbeitung der Protein-Bausteine, die die Vakzine von Astrazeneca und Johnson & Johnson liefern, allerdings zu unkalkulierten Spleiß-Reaktionen. Während also eigentlich aus der Vorstufe der Messenger-Ribonukleinsäure (prä-mRNA) die reife mRNA – quasi der Bauplan – im Zellkern produziert werden soll, entstehen auch frei lösliche des Varianten des Spike-Proteins.

      Willkürliches Spleißen – Ursache für Entzündungsreaktionen?

      Normalerweise erfolgt das Schneiden und Zusammensetzen dieses Prozesses nämlich an genau festgelegten Punkten. Doch scheinbar fehlt diese Information bei der manipulierten DNA des Vektors des Corona-Impfstoffs. Dadurch kann das Spleißen willkürlich ablaufen – und ein Spike-Protein beispielsweise zu kurz werden.

      So kann einer Spike-Protein-Variante zum Beispiel die Fähigkeit fehlen, an die Zellwand andocken zu können, da sie keinen Membrananker hat. Das Protein wird dann in den Körper ausgeschieden. Genau diese löslichen Varianten begünstigen laut den Forschern die Entstehung der Blutgerinnsel nach der Impfung.

      Nebenwirkung der Impfung analog zu Symptomen einer Covid-19-Erkrankung

      Stimmt die Theorie des Teams rund um Molekularbiologe Rolf Marschalek von der Goethe-Universität, führen diese frei löslichen Spike-Proteine in etwa einem von 100.000 Menschen zu Blutgerinnseln. Die schweren Nebenwirkungen, beispielsweise das Auftreten einer Hirnvenenthrombose, folgen daraus, dass die Proteine an bestimmte andere Zellen in den Blutgefäßen binden können.

      Die Forscher sprechen von einer "Vaccine-Induced Covid-19 Mimicry" – also einer durch die Impfung verursachten Nachahmung der Effekte einer Covid-19-Erkrankung. Das durch die Impfung mit den Vektor-Impfstoffen ausgelöste Syndrom weist nämlich deutliche Ähnlichkeit zu den thromboembolischen Effekten einer Corona-Infektion auf.

      Corona-Impfung mit Vektor-Vakzin: Das passiert im Körper

      Im Körper passiert nach der Impfung mit den Vektor-Impfstoffen nämlich Folgendes: Es entstehen sowohl membranverankerte als auch lösliche Spike-Protein-Varianten.Etwa vier Tage bis zwei Wochen nach dem Impfen beginnt das Immunsystem mit dem Aufbau der Antikörpern gegen die Oberflächenproteine – diese erkennen beide Varianten der Spike-Proteine.

      Allerdings verteilen sich die frei löslichen Proteine im ganzen Körper, vor allem aber an den Stellen, wo das sogenannte ACE2-Oberflächenprotein freigesetzt wird. Die Protein-Varianten, die sich hier festgesetzt haben, werden von den frisch produzierten Antikörpern angegriffen – es kommt zu einer Entzündungsreaktion. In Kombination mit dem sehr besonderen Blutfluss in der Sinusvene des Gehirns könne es gerade hier so zu den sehr seltenen, aber gefährlichen Thrombosen kommen.

      Die Theorie des Forscherteams kann auch die Frage beantworten, warum es nach Impfungen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson etwas seltener zu Hirnvenenthrombosen kommt als bei Immunisierungen mit Vaxzevria, dem Astrazeneca-Präparat. Ersteres enthält einen genetischen Code, der seltener lösliche Spike-Proteine entstehen lässt.

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      Marschalek und seine Co-Autoren können aber nicht nur erklären, weshalb die Impfung mit den Vakzinen von Astrazeneca oder Johnson & Johnson Thrombosen bei einer geringen Zahl von Menschen begünstigt. Anscheinend lassen sich die Impfstoffe auch so anpassen, dass die Nebenwirkung ausgeschlossen werden kann.

      "Mit den Daten können wir Unternehmen sagen, wie sie diese Sequenzen mutieren können, indem sie das Spike-Protein so codieren, dass unbeabsichtigte Spleißreaktionen vermieden werden", sagte Marschalek der internationalen Wirtschaftszeitung "Financial Times". Mit Johnson & Johnson stehe sein Team bereits in Kontakt, so der Wissenschaftler.

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        Corona-Impfstoffe: Biontech und Moderna nutzen anderes Transportsystem

        Die von Biontech und Moderna entwickelten mRNA-Impfstoffe verwenden ein anderes Abgabesystem für die Spike-Proteine: Sie enthalten keine DNA-Teile, sondern direkt die mRNA-Moleküle, die bei der Vektor-Technologie ein Teil der Prozessierung im Inneren der Zelle sind. Deshalb dürfte es bisher auch keine Fälle geben, die einen ähnlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Thrombosen und der Impfung mit dem Biontech- oder dem Moderna-Vakzin aufzeigen könnten.

        Wegen seltenen Fällen von schweren Thrombosen nach Impfungen wird das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca in einigen europäischen Ländern derzeit nicht genutzt, andere haben Altersgrenzen gesetzt. In Deutschland wird der Astrazeneca-Impfstoff aktuell für Menschen ab 60 Jahren empfohlen, Jüngeren kann er auf deren Wunsch hin und nach eingehender Beratung verabreicht werden. Lesen Sie auch: Astrazeneca und Sinusvenenthrombose: Das sind die Symptome

        Inwiefern die Theorie der deutschen Wissenschaftler aus Frankfurt und Ulm stimmt, müssen unabhängige Gutachter aus dem Fachgebiet der Molekularbiologie noch prüfen. Der Preprint, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, wurde zwar schon als wissenschaftlicher Beitrag der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Er muss aber noch in einem sogenannten Peer-Review-Verfahren begutachtet werden.