Jerusalem. Israel macht bei den Corona-Impfungen Tempo. Seit Impfbeginn vor drei Wochen hätten etwa 20 Prozent der Bürger das Vakzin erhalten.

Noch nie haben so viele Menschen bei einem Nadelstich zugesehen. Kaugummikauend und betont vergnügt nahm Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor Live-TV-Kameras Platz und hielt den rechten Oberarm hin, um die erste Teilimpfung gegen das Coronavirus zu erhalten. „Auf, auf, geht alle impfen!“, rief er danach in die Kameras. Das war vor drei Wochen.

Was darauf folgte, war ein wahrer Impfrausch. Kein Land der Welt ist in Sachen Corona-Impfung so schnell unterwegs. Fast zwei Millionen Israelis haben die erste von zwei Impfungen erhalten, das sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung.

Während die EU-Staaten gerade die ersten Meter ihrer Impfkampagnen geschafft haben, spricht Israel schon vom Zieleinlauf: Bis März soll das Land mit rund neun Millionen Einwohnern durchgeimpft sein. 16 Millionen Impfdosen seien bestellt, heißt es.

Israel: Netanjahu hat es auf den Impf-Weltrekord angelegt

Nicht ganz zufällig finden in Israel im März auch Neuwahlen statt. Premierminister Netanjahu zittert um seine Wiederwahl. Er hat es ganz gezielt auf einen Impf-Weltrekord angelegt, um im Wahlkampf damit auftrumpfen zu können. Der Impf-Mission hat er den Namen „Operation Wiederbelebung“ gegeben, als wäre Israel in einer Schlacht und Netanjahu der oberste Feldherr.

Lesen Sie hier:Corona: Israel durch Impfungen auf Weg zur Herdenimmunität

Dass Israel Impf-Weltmeister ist, ist aber nur zum Teil Netanjahus Verdienst. Das Land bietet beste Voraussetzungen für eine rasche Durchimpfung. Es ist gerade einmal so groß wie Hessen und stark urbanisiert: 92 Prozent der Israelis leben in Städten. Auf Hauptplätzen wurden große Impfzelte aufgestellt. Da fällt die Verteilung des Biontech-/Pfizer-Impfstoffs mit einer Lagertemperatur von minus 70 Grad viel leichter, als das im stärker zersiedelten Deutschland der Fall wäre.

Gesundheitsministerium entscheidet zentral

Das Gesundheitsministerium in Jerusalem entscheidet zentral, es gibt keine Landesregierungen, die bei der Impfstrategie mitreden und sie umsetzen. Zudem existiert eine gut ausgebaute Primärversorgung. Alle Israelis sind bei einer von vier Krankenkassen versichert und können mit einem digitalen Zugang vieles erledigen – auch die Anmeldung zur Impfung.

Zudem hat der Staat andere Möglichkeiten, den Ansturm zu bewältigen: Als den Impfstationen das Personal ausging, borgten sie sich kurzerhand 700 Ärzte und Sanitäter vom Militär aus. Nicht zuletzt ist die Bevölkerung deutlich jünger als etwa die deutsche. Es dauert also weniger lange, bis die Hochrisikogruppe der Älteren durchgeimpft ist.

Ärzte und Sanitäter vom Militär helfen in den Impfzentren.
Ärzte und Sanitäter vom Militär helfen in den Impfzentren. © AFP | JACK GUEZ

Israel setzte auf mehrere Impfstoffanbieter

Israel hat zudem auf mehrere Impfstoffanbieter gesetzt, um sicherzugehen, nach der ersten Marktzulassung vorn mit dabei zu sein. In den ersten drei Wochen wurde das Vakzin von Biontech/Pfizer verabreicht, nun kommen auch die ersten Chargen von Moderna an. Zugleich entwickelt Israels Verteidigungsministerium einen hauseigenen Impfstoff, der ab Sommer verfügbar sein soll.

Lesen Sie dazu: Biontech und Moderna: So unterscheiden sich die Impfstoffe

Die Deals mit den Pharmakonzernen sorgen in Israel aber für Kritik. Als Pfizer im Herbst die Jubelmeldung ausschickte, dass das Vakzin zu mindestens 90 Prozent effektiv sei, hatte Israel noch keinen Vertrag mit dem Konzern. Die Regierung wurde nervös. Man schloss einen eiligen, teuren Deal mit Pfizer ab:

Unbestätigten Meldungen zufolge hat Israel pro Impfung 56 Dollar hingeblättert, mehr als doppelt so viel wie die EU-Staaten. Zudem hat sich Pfizer einige Klauseln ausbedungen, die für Israel heikel sein könnten. Den Konzern treffen keine Sanktionen, wenn er aus bestimmten Gründen eine Lieferzusage nicht einhält. Israel muss trotzdem den vollen Preis zahlen.

Auch interessant:Wer trägt die Schuld am schlechten Impf-Management?

Impfstationen verabreichen Vakzin an Passanten

Für das hohe Impftempo nimmt Netanjahu einiges in Kauf. Er macht weiter Druck: Bis zu 170.000 Impfungen pro Tag soll das Land in Zukunft schaffen. Experten befürchten, dass dabei Fehler passieren. Vor allem in den kleineren Städten können die Impfstationen dem Tempo nicht standhalten.

Einmal aufgetaut, müssen die Impfdosen binnen vier Tagen verbraucht werden, sonst landen sie im Müll. So kommt es, dass einige Impfstationen abends vor der Sperrstunde sogar Impfdosen an Passanten verabreichen – um zu verhindern, dass der teure Impfstoff weggeworfen werden muss.

Die vom Gesundheitsministerium vorgegebene Priorisierung – Ältere und Gesundheitspersonal zuerst – wird dabei vernachlässigt. Die verscherbelten Impfdosen fehlen dann anderswo. „Ich fürchte, dass einige Hochrisikopatienten deswegen leer ausgehen”, sagt die Gesundheitsexpertin Ronit Calderon-Margalit.

Lesen Sie auch:Corona-Impfungen sind gestartet: Das müssen Sie wissen

Impfskepsis besonders unter den Palästinensern in Ost-Jerusalem

Sorge bereitet den Behörden die Impfskepsis unter den israelischen Arabern und besonders unter den Palästinensern in Ost-Jerusalem. Hier ist nur etwa ein Viertel der Über-60-Jährigen geimpft. Unter den gleichaltrigen jüdischen Bewohnern der Stadt sind bereits drei Viertel teilimmunisiert.

Der geringe Andrang in den Impfzentren Ostjerusalems sprach sich in der Stadt blitzschnell herum. Bald bildeten sich auch hier lange Warteschlangen: Jüdische Bewohner aus der ganzen Stadt reisten an, um sich den heißbegehrten Einstich zu holen.

Nur 30 Kilometer von Jerusalem entfernt, in der Palästinenser-Hauptstadt Ramallah, kann von Impfrausch keine Rede sein. Hier wird noch gar nicht geimpft, die ersten Lieferungen werden erst für März erwartet. Und das, obwohl die dritte Welle der Epidemie in der ganzen Region grassiert.

Es lauern noch andere Gefahren. Israel steckt in einem Wettlauf mit der Zeit: Die britischen und südafrikanischen Mutationen breiten sich auch hier aus und sorgen für einen schwereren Pandemieverlauf als die früheren Varianten. Die Frage ist nun, ob das Impftempo mit den Mutationen mithalten kann.

Mehr dazu:Mutiertes Coronavirus: Das weiß man über die neue Variante