Berlin. In Deutschland wird seit vergangenem Sonntag gegen das Coronavirus geimpft. Doch gibt es überhaupt genügend Impfdosen für Impfwillige?

Europa impft: In Deutschland und vielen anderen EU-Staaten haben seit dem Wochendende die Impfkampagnen gegen das Corona-Virus begonnen. Sehr alte Menschen sind hierzulande die ersten, die gegen das Virus immunisiert werden, weil sie am anfälligsten sind. Doch geschützt werden wollen auch viele andere – mehr, als mit den derzeitigen Kapazitäten geschützt werden können. Noch ist der Impfstoff ein rares Gut. Jetzt ist deshalb eine Debatte entbrannt, wie er schneller produziert werden könnte.

Angestoßen hat die Diskussion FDP-Chef Christian Lindner, der am Sonntagabend forderte, Deutschland müsse rechtlich, wirtschaftlich, politisch und technologisch alles tun, damit schneller geimpft werden könne – das sei eine „Frage von Leben und Tod“, auch für die Wirtschaft. Konkret regte Lindner an, darüber nachzudenken, ob ein knapper Impfstoff wie der der Mainzer Firma Biontech nicht von anderen Herstellern in Lizenz produziert werden könnte.

Corona-Impfstoff: Sollte Impfstoff von anderen Unternehmen nachproduziert werden?

Auch die Linke sieht die Bundesregierung in der Pflicht, für eine schnellere Produktion des Impfstoffs zu sorgen. Linken-Gesundheitspolitiker Achim Kessler sagte dem „Spiegel“, der Gesundheitsminister könne Unternehmen zwingen, anderen Unternehmen eine Lizenz zum Nachproduzieren zu gewähren. Das müsse die Bundesregierung jetzt schnell tun. „Wenn die Bundesregierung jetzt nicht alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpft, gefährdet sie zahllose Menschenleben“, so Kessler. Lesen Sie hier: Corona-Impfungen sind gestartet: Das müssen Sie jetzt wissen

Auch diese Forderung zielt auf das Biontech, dessen gemeinsam mit Pfizer entwickelter Impfstoff bislang der einzige ist, der eine Zulassung in Deutschland hat. 11 bis 13 Millionen Dosen des Mainzer Vakzins sollen im ersten Quartal 2021 verfügbar sein. Bei zwei Dosen, die pro Person verimpft werden, können mit dieser Menge fünf bis sechs Millionen Menschen immunisiert werden.

Reichen die ersten Impfdosen nicht einmal für die Risikogruppen?

Angesichts immer noch hoher Infektionszahlen und neu auftretender Virusmutationen ist das nicht genug, findet SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Die Impfdosen, die in den ersten drei Monaten zur Verfügung stünden, reichten nicht einmal für die erste Risikogruppe, sagte er dieser Redaktion. Das sei „ein sehr großes Problem“. Mehr dazu: Corona-Impfung: Wer sie zuerst erhält

Auch er appelliert deshalb an die Bundesregierung, Biontech beim Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten zu unterstützen. Eine Lizenzproduktion wäre „eine Möglichkeit, um den Wettlauf zu gewinnen. Eine „Lizenzenteignung“ lehnt Lauterbach aber ab: „Das würde zukünftige Impfstoffentwicklungen dramatisch belasten.“

Auch beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) reagiert man zurückhaltend auf die diskutierten Vorschläge. Überall in Deutschland würden derzeit Produktionskapazitäten für den Corona-Impfstoff hochgefahren, so ein Sprecher am Montag, so zum Beispiel in Mainz, Idar-Oberstein, Dessau und Brehna. Schon im Januar werde das zu einer spürbaren Ausweitung der Impfaktivitäten führen. Anlass für eine Lizenz-Diskussion sieht Verbandspräsident Han Steutel sieht deshalb nicht.

Gesundheitsminister Spahn gegen Weitergabe der Lizenz

Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies Forderungen nach einer Weitergabe der Lizenz am Montag zurück. „Eine Produktion für einen Impfstoff ist hoch anspruchsvoll und hochkomplex, die kann man nicht mal eben per Lizenz bei einem anderen Unternehmen machen“, sagte Spahn. Gerade auch für das Vertrauen in den Impfstoff sei es wichtig, dass alle Qualitätsanforderungen eingehalten würden. Lesen Sie auch: Corona-Impfung: Privilegien für bereits Immunisierte?

Spahn erwartet, dass in den ersten Monaten des neuen Jahres durch die Zulassung weiterer Präparate und erweiterte Produktionskapazitäten deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Unter anderem verwies er auf im ZDF-„Morgenmagazin“ auf eine Produktionsanlage der Schweizer Pharmafirma Novartis in Marburg, die Biontech übernommen hat. Ziel sei es, noch im Februar/März dort auch Produktion möglich zu machen. „Und das würde die Menge enorm erhöhen», sagte der Gesundheitsminister.

Moderna-Impfstoff soll Anfang Januar zugelassen werden

Nach Angaben von Biontech sind in Marburg einige Umstellungen nötig, bevor es auch dort mit der Produktion des Corona-Impfstoffs losgehen kann. Sobald die Anlage voll einsatzfähig ist, könnten dort laut Unternehmen bis zu 60 Millionen Dosen im Monat hergestellt werden. Schon in der ersten Hälfte des neuen Jahres plant Biontech nach einer Mitteilung, bis zu 250 Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs herstellen zu können.

Bis dahin soll es auch weitere verfügbare Vakzine geben: Im Gesundheitsministerium erwartet man „in den ersten Januartagen“ mit der Zulassung des Impfstoffs von US-Hersteller Moderna, wie Spahn im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk deutlich machte. Zwei bis drei weitere Impfstoff-Kandidaten seien auf dem Weg in die Zulassung. Der CDU-Politiker bekräftigte erneut das Ziel, bis zum Sommer jedem Bürger ein Impfangebot machen zu können. Auch interessant: Corona: Zwei Drittel der Deutschen wollen sich impfen lassen

Möglicherweise eine Impfdosis mehr pro Ampulle

Für die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna sind laut Gesundheitsministerium insgesamt 136,3 Millionen Dosen sicher, die nahezu alle 2021 geliefert werden könnten. Mit je zwei nötigen Dosen ließen sich so rechnerisch 68,2 Millionen Bürger impfen - bei 83 Millionen Einwohnern in Deutschland.

Möglicherweise reichen zudem die produzierten Mengen ein bisschen weiter als gedacht: Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums bestätigte am Montag einen Bericht von „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“, nachdem aus einer Ampulle bei sorgfältigem Vorgehen sechs statt der vorgesehenen fünf Impfdosen entnommen werden können.