Berlin. Eine Gruppe von Wissenschaftlern fordert eine schnelle Eindämmung der Corona-Infektionszahlen – und setzt dabei auf drastische Mittel.

  • Eine Gruppe von Forschern und Forscherinnen aus Europa hat einen gemeinsamen Drei-Punkte-Plan zur Eindämmung des Coronavirus vorgelegt
  • Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern drastische Maßnahmen
  • Diese drei Stufen schlagen sie vor

Eine Gruppe renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa hat eine gemeinsame europäische Strategie zur Eindämmung des Coronavirus gefordert. Eines der obersten Ziele: Die Infektionszahlen drastisch absenken.

Der Aufruf mit der Überschrift „Covid-19 eindämmen“ erschien am Freitagabend in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“. Zu den Verfassern zählen unter anderem die deutschen Virologinnen Melanie Brinkmann und Sandra Ciesek. Initiiert hat den Appell die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, die mit Hilfe mathematischer Modelle die wahrscheinliche Entwicklung der Pandemie berechnet.

Anti-Corona-Plan: Wissenschaftler sehen drei Punkte vor

In dem Aufruf heißt es: „Bislang haben die Regierungen in Europa keine gemeinsame Vision für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie entwickelt. Es liegt überwältigende wissenschaftliche Evidenz dafür vor, dass nicht nur für die öffentliche Gesundheit, sondern auch für die Gesellschaften und Volkswirtschaften niedrige Covid-19-Fallzahlen von großem Nutzen sind.“

Angesichts offener Grenzen in Europa könne jedoch kein Land allein die Infektionszahlen niedrig halten. Daher müsste gemeinsam gehandelt werden: „Wir fordern daher eine starke, koordinierte europäische Antwort mit klar definierten mittel- und langfristigen Zielen.“ Auf diesem Weg könne eine dritte Infektionswelle vermieden werden, bis durch Impfungen Herdenimmunität hergestellt sei.

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Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schlagen einen Drei-Punkte-Aktionsplan vor:

1. Rasch niedrige Fallzahlen erreichen

Als Ziel werden maximal zehn neue Infektionsfälle täglich pro eine Million Menschen genannt. Dafür müssten „tiefgreifende Interventionen“ sofort und so lange in allen europäischen Ländern umgesetzt werden, bis dieses Ziel erreicht sei. Im Papier wird davon ausgegangen, dass dies „spätestens im Frühjahr“ durch solche Maßnahmen auch möglich wäre.

Übersetzt heißt das: Der harte Lockdown müsste in Deutschland über den 10. Januar aufrechterhalten werden. Die Bundesregierung hat ihrerseits eine Zielmarke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen ausgegeben. Nur dann seien die Infektionsketten nachverfolgbar. Momentan liegt die Zahl der Neuinfektionen bei täglich um die 30.000 bundesweit.

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2. Fallzahlen niedrig halten

Nach Erreichen der Zielmarke sind Lockerungen laut Aktionsplan möglich, aber nur flankiert mit Maßnahmen wie dem Tragen von Maske, einer moderaten Kontaktreduzierung und konsequenter Kontaktverfolgung. Zur Überwachung des Virus sollen europaweit mindestens 300 Tests pro eine Million Einwohner durchgeführt werden. So könnte ein Anstieg der Fallzahlen rechtzeitig bemerkt werden. Bei lokalen Ausbrüchen sei schnelles Handeln wie Reisebeschränkungen, gezielte Tests und „möglicherweise regionale Absperrungen“ notwendig.

3. Eine gemeinsame Langfrist-Vision

Hier schlagen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine Doppelstrategie vor. Einerseits sollen europäische Ziele formuliert, andererseits regionale und nationale Aktionspläne entwickelt werden. Das findet in vielen europäischen Ländern allerdings schon längst statt.

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Im Aufruf wird auch die Notwendigkeit betont, für das Ziel niedriger Fallzahlen in der Bevölkerung zu werben. Als Vorteile nennen die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen eine bessere Planbarkeit der politischen Maßnahmen, eine effektivere Kontrolle der Ausbreitung und weniger Tote. Länder wie China und Australien hätten außerdem gezeigt, dass von harten Maßnahmen mit schneller starker Absenkung der Fallzahlen auch die Volkswirtschaften mehr profitieren würden als von einer Strategie der mäßigen, aber immer wiederkehrenden Einschränkungen.

Die Strategie einer Durchseuchung der Gesellschaft mit dem Ziel der Herdenimmunität lehnen die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen explizit ab: „Bei Covid-Erkankten gibt es eine hohe Morbidität und Mortalität, die sich auch in der aktuellen Übersterblichkeit widerspiegelt.“ Zudem sei bislang noch nicht bekannt, wie lange eine durch Erkrankung erworbene Immunität anhält.

Das Papier wurde schon von mehr als 300 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unterzeichnet und wird auch vom Charité-Virologen Christian Drosten und dem Robert Koch-Institut unterstützt.