Washington. Bei der US-Wahl am 3. November werden Probleme rund um die Briefwahl erwartet. Präsident Donald Trump erhebt massive Betrugsvorwürfe.

Novella Washington ist mit ihren Töchtern Melissa und Nia schon morgens um kurz nach acht ins Amway-Center von Orlando gegangen, um, wie sie sagt, der „vornehmsten Aufgabe als Bürgerin nachzukommen”.

Die 51-jährige Lehrerin und Pastorin will mit der vorgezogenen Stimmabgabe in der zum Wahllokal umfunktionierten Spielstätte des örtlichen NBA-Basketballklubs Orlando Magic sicherstellen, „dass meine Stimme in Zeiten von Corona und präsidialen Attacken gegen die Briefwahl auf jeden Fall gezählt wird”. Frau Washington ist nicht allein.

Briefwahl in den USA: 60 Millionen Amerikaner wählten bereits

Bis zu diesem Dienstag, acht Tage vor dem eigentlichen Urnengang am 3. November, werden nach Kalkulation der Universität von Florida bereits über 60 Millionen Amerikaner per Brief oder persönlich vom „early voting” Gebrauch gemacht haben; deutlich mehr als 2016.

Forscher rechnen angesichts der starken Mobilisierung in beiden Lagern – dem von Präsident Donald Trump und dem von Herausforderer Joe Biden – mit einer Rekord-Beteiligung von „150 Millionen plus x”. Vor vier Jahren wählten insgesamt 137 Millionen Amerikaner. Das entsprach einer Wahlbeteiligung von rund 60 Prozent.

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    Corona-Risiko in überfüllten Wahllokalen

    Die Motivation, diesmal so früh wie möglich zu wählen, ist klar: Vor allem demokratische Wähler wollen so den Besuch in überfüllten Wahllokalen am 3. November vermeiden – und damit ein potenzielles Corona-Ansteckungsrisiko.

    Dazu kommt, dass Präsident Trump seit Monaten die Briefwahl ohne stichhaltige Beleg unter Manipulationsverdacht stellt. Außerdem verstärkt er die bisher unbegründete Befürchtung, dass die US-Post nicht in der Lage sein wird, die erwartete Flut von zirka 80 Millionen Briefwahl-Umschlägen rechtzeitig zu verarbeiten. Zum Vergleich: 2016 wurden 33 Millionen Briefwähler gezählt.

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    Bei seinen Attacken, die von Gouverneuren und Wahlleitern in den Bundesstaaten, auch republikanischen, zurückgewiesen werden, macht sich Trump den föderalen Flickenteppich zunutze.

    So dürfen in wahlentscheidenden Bundesstaaten wie Pennsylvania und Wisconsin Briefwahl-Umschläge erst am 3. November geöffnet werden. Eine Verzögerung bei der Auszählung ist darum wahrscheinlich. Zumal in Pennsylvania nach richterlichem Urteil auch fristgerecht abgestempelte Umschläge berücksichtigt werden müssen, die drei Tage nach der Präsidentschaftswahl eingehen.

    Eine Wahlhelferin trägt einen Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe, während sie Postwahlscheine am Bergen Community College in Paramus bearbeitet. Wegen der Coronavirus-Pandemie wird bei der Wahl in den USA erwartet, dass mehr Amerikaner als sonst von der Möglichkeit einer frühen Stimmabgabe oder der Briefwahl Gebrauch machen.
    Eine Wahlhelferin trägt einen Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe, während sie Postwahlscheine am Bergen Community College in Paramus bearbeitet. Wegen der Coronavirus-Pandemie wird bei der Wahl in den USA erwartet, dass mehr Amerikaner als sonst von der Möglichkeit einer frühen Stimmabgabe oder der Briefwahl Gebrauch machen. © dpa | Seth Wenig

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    Bundesstaaten haben bis 8. Dezember Zeit für „wasserdichte“ Ergebnisse

    In Florida dagegen können die Wahlkommissionen bereits jetzt das Briefwahlaufkommen sortieren und auf Authentizität prüfen. Darum wird erwartet, dass der strategisch wichtige „Sunshine State” bereits in der Nacht zum 4. November ein vorläufiges Endergebnis bekanntgeben kann.

    Der Prozess in anderen Teilen des Landes kann hingegen nach Einschätzung der Wahl-Experten des Brennan-Centers „mehrere Tage in Anspruch nehmen”. Was für sich genommen kein Problem ist.

    Alle Bundesstaaten haben bis zum 8. Dezember Zeit, um ihre Einzel-Ergebnisse juristisch „wasserdicht” zu machen. Erst dann werden die 538 Wahlfrauen und -männer benannt, die am 14. Dezember im „electoral college” auf Basis der „popular vote”, also der Wähler-Stimmen, tatsächlich den Präsidenten bestimmen. 270 Stimmen sind nötig zum Sieg. Das Ergebnis wird offiziell am 6. Januar vor beiden Parlamentskammern des Kongresses bekanntgegeben.

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    Trump erklärt ohne Belege: Briefwahl trage zu „massivem Betrug“ bei

    An diesem System nahm niemand prinzipiell Anstoß – bis Trump kam. Mehrfach hat der Präsident erklärt, der hohe Anteil von Briefwählern werde zu „massivem Betrug” führen. Sollte er verlieren, so Trump, dann nur deshalb.

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    Alle Wahlrechts-Experten und -Praktiker haben dem vehement widersprochen. Sie werfen Trump vor, durch seine Tiraden die Wahlbeteiligung drücken zu wollen – es sind vorwiegend Demokraten, die per Brief wählen – und Vorarbeiten für eine juristische Anfechtung der Ergebnisse zu leisten. Besonders absurd: Trumps republikanische Helfer in den wichtigen Bundesstaaten rufen ausdrücklich zur Briefwahl auf. Begründung: „Absolut sicher.”

    Wähler Phil Martinez wirft seinen Stimmzettel in eine offizielle Wahlurne im Bundesstaat Utah ein.
    Wähler Phil Martinez wirft seinen Stimmzettel in eine offizielle Wahlurne im Bundesstaat Utah ein. © dpa | Rick Bowmer

    Das Kalkül des Präsidenten

    Das Kalkül des Präsidenten sieht so aus: Weil voraussichtlich am 3. November entschieden mehr republikanische denn demokratische Wähler an die Urnen gehen und diese Stimmen fast überall bei der Auszählung priorisiert werden, könnte sich am Wahlabend in entscheidenden Bundesstaaten vorschnell von den Fernsehsendern und ihren Wahlforschern ein Sieg Trumps abbilden lassen.

    In diesem Szenario könnte der Amtsinhaber versucht sein, sich als Gewinner auszurufen, um Fakten zu schaffen. Wissend, dass eine „blaue Welle” (Blau ist die Farbe der Demokraten) durch die Auszählung der Briefwahlumschläge in den Tagen danach ein völlig anderes Resultat ergeben könnte.

    Käme es so, sagen Analysten in Washington, und wäre Joe Bidens Sieg knapp, würde Trump die Ergebnisse juristisch anfechten lassen. Die Folge wäre eine Hängepartie, die am Ende wohl vor dem Obersten Gerichtshof landen würde.

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