Berlin. Wer aus einem Corona-Risikogebiet kommt, soll sich künftig digital melden. Das Ende des Irrsinns der Aussteigerkarten aus Papier naht.

Horst Seehofer (CSU) weiß, was er den Einreisenden seit Beginn der Pandemie mit den „Aussteigerkarten“ zumutet. Jetzt sollen sie durch ein Webportal ersetzt werden. Damit „beenden wir endlich die Zettelwirtschaft im Reiseverkehr“, verspricht der Innenminister. Es wäre das Ende eines Irrsinns.

Eigentlich hätte www.einreiseanmeldung.de am Freitag an den Start gehen sollen. Das System ist betriebsbereit, die Politik war es nicht. Am Mittwoch beschlossen die Ministerpräsidenten, die geplante strengere Quarantäneverordnung auf den 8. November zu verschieben – auch die digitale Einreiseanmeldung.

Corona-Risikogebiete: Aussteigerkarten werden oft nicht überprüft

Wer aus einem Risikogebiet kommend etwa in Frankfurt am Main landet, muss im Flugzeug eine „Aussteigerkarte“ ausfüllen: Name, Adresse, Ziel, Flugnummer, Sitzplatz, Telefonnummer. Die Flugbegleiter teilen die Karten aus und sammeln sie hinterher wieder ein. Niemand überprüft, ob die Identität der Passagiere und die Angaben korrekt oder ob die Papiere leserlich ausgefüllt sind.

Ist ein Passagier infiziert, sollen die Gesundheitsämter mittels der Karten alle Kontaktpersonen auf dem Flug ausmachen. „Für das Unterbrechen der Infektionsketten ist so ein Schritt unverzichtbar“, verkündete Seehofer am 27. Februar. Es war eine der ersten Maßnahmen des Coronavirus-Krisenstabs.

Betroffen waren damals zunächst Flugpassagiere aus China, Südkorea, Japan, dem Iran und Italien. Aussteigekarten sollten zudem im grenzüberschreitenden Zug-, Bus- und Schiffsverkehr ausgefüllt werden. Die Zahl der damals in Deutschland an Covid-19 infizierten Menschen: 48.

Aussteigerkarten: Großer Aufwand, kleiner Nutzwert

Schon in den ersten Wochen wurden allein am Frankfurter Flughafen 280.000 Karten gesammelt, dem Gesundheitsamt überstellt, nach Datum und Flugnummer sortiert. 18 Kisten stapeln sich dort, als sich die „Neue Züricher Zeitung“ Mitte März in Frankfurt nach dem Erfolg der Maßnahme erkundigt. Ergebnis: Niemand hatte angerufen und nach einer Karte gefragt. Der Krisenstab hatte Papiermüll produziert.

Trotz der Blamage ließen Innen- und im Gesundheitsministerium vom Plan nicht ab. Nun wurden die Karten eingesammelt, zu einem Hochleistungsscanzentrum der deutschen Post gebracht, eingescannt und auf einem Server gespeichert. Der Aufwand stieg, der Nutzwert nicht unbedingt.

Angaben von Reisenden können digital besser verarbeitet werden

Es dauert Tage, bis jemand Symptome verspürt, sich auf Covid-19 testen lässt und das Gesundheitsamt bei einem positiven Befund einschaltet. Es ist mühsam, alle anderen Passagiere zu verfolgen. Mal ist jemand wieder weiter gereist, mal fehlt die Flugnummer, mal ist eine Angabe unleserlich, mal ist ein Zahldreher in der Telefonnummer, mal stimmen Namen oder Adressen nicht. Die Aussteigerkarte sei „im Grunde genommen ein Placebo“, verrät ein Spitzenbeamter der Bundesregierung hinter vorgehaltener Hand.

Daraufhin entwickelte das Innenministerium binnen acht Wochen ein digitales Anmeldesystem. Künftig sind alle Einreisenden aus Risikogebieten verpflichtet, die Applikation per Handy, Tablet oder Desktop über einem Webbrowser zu benutzen. Dort werden alle Daten abgefragt und auf ihre Plausibilität – etwa eine Postleitzahl – überprüft. Erst wenn alle Daten eingegeben sind, bekommt man zur Bestätigung einen Code. Und der ist im Ernstfall der Beleg dafür, dass man sich gesetzestreu verhalten hat und kein Bußgeld riskiert.

Digitaler wird es praktikabler

Die Daten sind nun lesbar, vollständig und liegen in Echtzeit vor. Sie werden in einem Rechenzentrum der Bundesdruckerei gespeichert. Das hat den Vorteil, dass alle Kommunen über die Einwohnerämter Zugang haben – und nicht zuletzt so die über 370 Gesundheitsämter angebunden und miteinander vernetzt sind.

Die Ämter sollen „über eine sichere Verbindung und mit Hilfe einer modernen Web-Oberfläche“ darauf zugreifen, um die Quarantäneüberwachung einzuleiten, erklärte das Innenministerium auf Anfrage unserer Redaktion. Die erhobenen Daten würden nur für den unabdingbar notwendigen Zeitraum zur Quarantäneüberwachung erhoben „und danach automatisch gelöscht“.

Die Daten würden „ausschließlich den jeweils zuständigen Gesundheitsämtern“ zur Nachverfolgung der Quarantäneanordnung zur Verfügung gestellt, beteuert das Ministerium. Das ist nur die halbe Wahrheit. Wie bei den Karten für Restaurantgäste darf die Polizei – nur in bestimmten Fällen – auf sie zurückgreifen.