Berlin. Polizeigewalt wird auch in Deutschland weiter diskutiert. Diese nicht-weißen Menschen starben in Polizeigewahrsam oder durch die Waffe.

Nach dem gewaltsamen Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch Beamte in Minneapolis ist das Thema Polizeigewalt auch in Deutschland wieder in den Fokus gerückt. Das Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt“ der Ruhr-Universität Bochum hat im September 2019 erstmals einen Zwischenbericht zur Gewalt durch deutsche Polizeibeamte vorgelegt.

Demnach wurden in den Jahren 2009 bis 2018 jährlich zwischen 2000 und 2500 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten eingeleitet. Allerdings gehen die Forscher davon aus, dass das Dunkelfeld – also die Fälle von Polizeigewalt, die nicht zur Anzeige gebracht werden – sechs Mal so hoch ist. Das wären mindestens 12.000 Fälle von illegaler Gewalt durch Polizeibeamte im Jahr.

Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, aber auch der UN-Menschenrechtsrat kritisieren zudem die niedrige Aufklärungsquote bei Polizeigewalt in Deutschland. Sie führen dies unter anderem auf das Fehlen einer unabhängigen Ermittlungsstelle zurück. Denn hierzulande sind polizeiinterne Ermittler für die Aufarbeitung zuständig.

Polizeigewalt muss sich nach Verhältnismäßigkeitsprinzip und Willkürverbot richten

Auch die Abgrenzung von übertriebener zu notwendiger Gewaltanwendung ist nicht immer eindeutig. So haben sich Polizeibeamte an das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot zu halten, doch in der Praxis kommt es immer wieder zur Überschreitung von Grenzen – ob gewollt oder nicht. Und in seltenen Fällen führt diese Gewalt auch zum Tod.

Fall George Floyd- Eine Million Dollar Kaution für Ex-Polizist

weitere Videos

    Stirbt ein Mensch im Gewahrsam, spricht man vom Gewahrsamstod oder in konkreteren Fällen auch vom Lagebedingten Erstickungstod. Nach einem solchen Fall wird grundsätzlich eine Ermittlung durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet, um unter anderem zu klären, ob die Gewahrsamnahme rechtmäßig war.

    Die folgenden Todesfälle aus den vergangenen 21 Jahren – auch durch den Einsatz der Dienstwaffe – sind teils noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Menschenrechtsorganisationen thematisieren anhand dieser Opfer, die alle ausländischer Herkunft waren, immer wieder die Fragwürdigkeit mancher Polizeimethoden und mögliche rassistische Tendenzen innerhalb der Polizei.

    Oury Jalloh: Verbrannt in der Polizeizelle

    Oury Jalloh war Sierra Leoner und lebte in Dessau in Sachsen-Anhalt. Er starb am 7. Januar 2005 bei einem Brand in seiner Zelle der Polizeistation in Dessau-Roßlau. Untersuchungen ergaben, dass Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt worden war. Außerdem gilt die Darstellung der Polizei, nach der Jalloh seine Matratze selbst angezündet haben soll, als unmöglich.

    Ermittlungsakten der Dessauer Staatsanwaltschaft zufolge ist eine Beteiligung Dritter am Tode Jallohs wahrscheinlicher als die Geschichte, nach der er sich selbst angezündet haben soll. Auch ein Brandgutachten der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh kam zum Schluss, dass die Verbrennung ohne den Einsatz von Brandbeschleuniger nicht möglich gewesen wäre.

    Dennoch wurde der Fall eingestellt. Ein angeklagter Polizist wurde freigesprochen, der Dienstgruppenleiter im Revisionsverfahren zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Angehörigen und die Gedenkinitiative kämpfen weiterhin für die Aufklärung des Falles und die Strafverfolgung der Verantwortlichen.

    Laye-Alama Condé starb nach der erzwungenen Einnahme von Brechmitteln

    Der Sierra Leoner Laye-Alama Condé starb ebenfalls am 7. Januar 2005. Der 35-jährige Condé war am 27. Dezember 2004 in Bremen festgenommen worden, weil er im Verdacht stand, mit Kokain gehandelt zu haben. Nach einer Schluckbewegung Condés fesselten die Polizisten ihn an Händen und Füßen und ließen ihm durch eine Magensonde Brechmittel verabreichen, damit er Kokainkügelchen erbricht.

    Condé wehrte sich gegen die Methode. Nach mehrmaligem Erbrechen war er nicht mehr ansprechbar. Der anwesende Arzt und die Polizisten gingen offenbar davon aus, Condé würde eine Bewusstlosigkeit simulieren. Nach einem Notarzteinsatz wurde Condé weiter zum Erbrechen erzwungen, obwohl seine Herz- und Atemfrequenz niedrig waren. Nach rund zwei Stunden wurde der bewusstlose Condé ins Krankenhaus gebracht.

    Er fiel ins Koma und starb am 5. Januar. Das Verfahren gegen den Arzt, der die Maßnahme durchgeführt hat, wurde unter Auflagen eingestellt. Das Land Bremen stoppte nach dem Todesfall die Vergabe von Brechmitteln unter Zwang.

    Achidi John: Bereits das Vorermittlungsverfahren wurde eingestellt

    Fünf Mal wurde der Nigerianer Achidi John, der in Wahrheit Michael Paul Nwabuisi heißt, von der Hamburger Polizei festgenommen: wegen mutmaßlichen Drogenhandels. Jedes Mal war die Beweislage dünn, er kam frei. Zivilfahnder nahmen den 19-Jährigen am Morgen des 8. Dezember 2001 im Stadtteil St. Georg erneut fest, und diesmal waren sie entschlossen, ihrem Verdacht auf den Grund zu gehen.

    Sie fuhren ihn sogleich in die Rechtsmedizin des Universitätskrankenhauses Eppendorf. Weil er sich wehrte, wurde er dort fixiert, durch einen Schlauch in der Nase floss ihm eine Ärztin das Brechmittel Ipecacuanha ein. Achidi John fiel zu Boden, Atmung und Puls setzten aus. Auf der Intensivstation wurden ihm 41 Kugeln Crack und Kokain aus dem Magen-Darm-Trakt entfernt. Nach einem mehrtägigen Koma starb er.

    Bei der Obduktion fanden sich in seinem Darm weitere Kugeln Rauschgift. Sie ergab, dass die Kombination von einem Herzfehler, der Einnahme von Kokain sowie dem Stress der Brechmittelvergabe zum Tod führten. Die Staatsanwaltschaft stellte 2002 ein Vorermittlungsverfahren ein, das Oberlandesgericht lehnte ein Jahr später ein Klageerzwingungsverfahren von Johns Vater ab.

    Derek Chauvin- Dieser Polizist kniete auf George Floyd

    weitere Videos

      Christy Schwundeck: Im Jobcenter erschossen

      Christy Schwundeck war pleite, das Hartz-IV-Geld war nicht auf dem Konto. Als sie am 19. Mai 2011 zum Jobcenter in Frankfurt am Main fuhr, hatte die 39 Jahre alte Frau aus Nigeria offenbar einen festen Vorsatz getroffen: ohne Geld will sie nicht gehen. So nahm die Tragödie ihren Lauf.

      Der Sachbearbeiter rief den stellvertretenden Teamleiter und den hausinternen Sicherheitsdienst und schließlich um 8.50 Uhr die Polizei, als sich Christy Schwundeck immer noch nicht vom Platz bewegt hatte. Die zwei herbeigeeilten Polizisten forderten sie auf, ihren Ausweis zu zeigen.

      Weil sie nicht reagierte, griff ein Beamter nach ihrer Tasche, da stach die Nigerianerin mit einem Steakmesser zu und verletzte ihn am Unterarm. Seine Kollegin zückte die Waffen, verließ rückwärts gehend den Raum, blieb im Flur stehen und rief: „Lass das Messer fallen, oder ich schieße!“

      Schwundeck machte eine kurze Bewegung, wozu und in wessen Richtung, ist hinterher umstritten. Die 28-jährige Beamtin fühlte sich jedenfalls angegriffen und erschoss die Nigerianerin.

      Matiullah J.: Seine Leiche wurde nie obduziert

      Am 13. April 2018 wurde der 19 Jahre alte afghanische Flüchtling Matiullah J. von einem Polizisten in Fulda erschossen. Fest steht, dass er früh am Morgen vor einer Bäckerei randaliert und einen Zuliefer angegriffen hat. Als die Polizei anrückte, wurden die Beamten mit Steinen beworfen. Die Polizisten gaben zwölf Schüsse ab, vier trafen den Flüchtling.

      Im Raum steht die Frage der Verhältnismäßigkeit, warum es Polizisten unmöglich war, einen Jugendlichen festzunehmen. Auch wird gefragt, warum der Leichnam nach weniger als einer Woche nach Afghanistan überführt wurde und eine Obduktion ausblieb. Der Schütze kehrte bereits eine Woche nach Matiullahs Tod wieder in den Polizeidienst zurück, im Februar 2019 wurde ein Verfahren gegen ihn eingestellt.

      Krawalle in Mexiko nach Tod von Mann in Polizeigewahrsam

      weitere Videos

        Hussam Fadl starb durch vier Schüsse aus der Dienstwaffe

        Der Iraker Hussam Fadl wurde am 27. September 2016 vor einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Moabit erschossen. Am Abend war die Polizei erschienen, um einen Mann festzunehmen, der die sechsjährige Tochter von Hussam Fadl sexuell missbraucht haben sollte.

        Der Verdächtige saß bereits gefesselt im Polizeifahrzeug, als Familienvater Fadl aufgebracht auf den Wagen zulief. Die Polizisten feuerten vier Schüsse ab, Fald starb kurze Zeit später im Krankenhaus. Wieder geht es um die Verhältnismäßigkeit. Umstritten ist schon, ob Fadl ein Messer in der Hand hielt.

        Aamir Ageeb erstickte nach massiver Gewalteinwirkung

        Der Fall vom Mai 1999 erinnert an den Tod von George Floyd. Beide erstickten. Der 31-jährige Sudanese Aamir Ageeb sollte am 28. Mai 1999, nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, von Beamten der heutigen Bundespolizei in seine Heimat zurückgebracht werden.

        Weil er sich im Flugzeug wehrte, setzten ihm die Polizisten einen Motorradhelm auf. Obendrein fesselten sie seine Arme an den Sitzlehnen und die Beine am Sitz. Als Aamir Ageeb schrie, drückten die Polizisten minutenlang seinen Oberkörper nach unten und seinen Kopf nach vorne. „Erstickungstod durch massive Einwirkung von Gewalt“ lautete später der Befund.

        Der Fall hatte allerdings Konsequenzen: Die Beamten wurden angeklagt, kamen aber mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung davon. Die Ausbildung der Polizisten und die Bedingungen bei Abschiebungen wurden überprüft, und in der Folge setzten die Piloten durch, dass sie die Kommandogewalt in einem Flugzeug haben. Regelmäßig brachen Piloten danach Abschiebungen ab. (reb/mbr)