Berlin. Für die Energiewende sind Tausende Kilometer neue Trassen nötig. Doch Konflikte bremsen den Ausbau – ist die Energiewende in Gefahr?

Vor über zehn Jahren ging die Planung los. Die neue Höchstspannungsleitung zwischen Wahle östlich von Hannover und dem hessischen Ort Mecklar sollte Strom von Nord nach Süd leiten. Fertig ist sie immer noch nicht. Die Karte vom Netzbetreiber Tennet verzeichnet drei Bauabschnitte in gelber Farbe: Die sind genehmigt oder im Bau. Ein weiteres Stück ist in Braun dargestellt. Da läuft das Planungsverfahren noch. Neue Stromtrassen in Deutschland zu bauen ist eine langwierige Sache.

Dabei sind neue Leitungen eine Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Der Strom der Windkraftwerke in Norddeutschland muss in die Industriegebiete des Südens. Dass die Zeit drängt, weiß man seit mehr als zehn Jahren. Stehen die Masten oder liegen die Kabel erst, halten sie für Generationen. Bis dahin dauert es allerdings eine gefühlte Ewigkeit. Wie ist heute der Stand?

Wie an vielen anderen Orten gab es zwischen Wahle und Mecklar viel Protest. Bürgerinitiativen forderten, die Leitung unter die Erde zu legen, damit das Landschaftsbild nicht verschandelt werde. An zwei Abschnitten kamen Planer und Politik diesem Wunsch nach – bei Salzgitter und Göttingen.

Nun soll das ganze Projekt mit gut 220 Kilometer Länge 2024 in Betrieb gehen, sagt Tennet, 15 Jahre nach dem Start. Wenn nichts mehr dazwischen kommt.

Energiewende: Bis 2031 sollen die neuen Stromautobahnen fertig sein

1800 Kilometer neue Stromtrassen wurden 2009 im Gesetz zum Ausbau von Energieleitungen, das auch die Verbindung zwischen Wahle und Mecklar enthält, in ganz Deutschland geplant. Die Bilanz nach zehn Jahren: Bis Anfang 2019 waren laut Bundesnetzagentur 800 Kilometer in Betrieb – weniger als die Hälfte.

Das kann man für einen Erfolg oder Misserfolg halten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), zuständig für diesen Teil der Energiewende, hat sich für die erste Version entschieden. „Im Jahr 2019 hat es beim Ausbau der Stromnetze wichtige Fortschritte gegeben“, erklärte der Minister kürzlich. So fließe seit Ende Oktober Strom durch eine neue Leitung an der Elbe zwischen Schleswig-Holstein und Niedersachsen.

Trotzdem erkannte auch die Bundesregierung, dass es mit dieser Behäbigkeit nicht weitergehen konnte. Zumal die Zahl der Windparks besonders in Norddeutschland sowie in der Nord- und Ostsee steigt, viele Rotoren aber immer wieder abgeschaltet werden müssen, weil die Energie nicht abtransportiert werden kann – mangels Leitungen. So wurden im Bundesbedarfsplangesetz zusätzliche Vorhaben festgelegt und beschleunigte Planungsverfahren beschlossen.

Neben rund 40 weiteren Projekten gehören dazu die „Stromautobahnen“. Das sind vier neue Höchstspannungsleitungen, die mehr oder weniger von der Nordseeküste bis nach Bayern und Baden-Württemberg reichen sollen: Hier geht es um 5900 Kilometer Aus- und Neubau von Stromtrassen. „Davon wurden bisher knapp 300 Kilometer realisiert“, heißt es bei der Bundesnetzagentur. Nach der aktuellen Planung der Regierung soll alles bis 2031 fertig sein.

Proteste von Anwohnern führen zu Verzögerungen

Die Frage, ob der Zeitplan realistisch erscheint, ist schwer zu beantworten. Proteste von Anwohnern und Klagen von Umweltverbänden können immer wieder zu Verzögerungen führen. In dieser Hinsicht geholfen habe in den vergangenen Jahren der Bürgerdialog Stromnetz, sagt Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer des Ökoverbands Deutsche Umwelthilfe: „Bei der Akzeptanz gab es Fortschritte.“

Der Verband hatte vom Bundeswirtschaftsministerium den Auftrag erhalten, mit Informations- und Beteiligungsveranstaltungen die Energiewende zu erklären, kritische Argumente aufzunehmen, sie in die Planung einzuspeisen und die Stromleitungsprojekte so einigermaßen zügig voranzubringen. In manchen Fällen hat das funktioniert.

Ob es so weitergeht, muss sich zeigen. In den kommenden Jahren wird nicht mehr die Umwelthilfe, sondern Wibera, eine Tochter der Unternehmensberatung PWC, das Dialog-Verfahren betreuen.

Zur Beschleunigung beitragen könnte die eine oder andere Vereinfachung im Planungsverfahren. So liegen wichtige überregionale Verbindungen mittlerweile nicht mehr in der Hand einzelner Bundesländer, sondern in der Gesamtverantwortung der Bundesnetzagentur. Und „wenn bestehende Leitungen minimal um- oder ausgebaut werden sollen“, sei mitunter „kein komplett neues Planfeststellungsverfahren mehr nötig“, erklärt Nadine Bethge von der Umwelthilfe. Geht es nur darum, zusätzliche Kabel an vorhandene Masten zu hängen, fallen bestimmte Verfahrensschritte weg.

Der Druck beim Trassenbau steigt

Trotzdem bleibt es kompliziert – denn selbst das Angebot, Erdkabel zu verlegen, statt Hochspannungsmasten zu bauen, entschärft nicht jeden Konflikt. Beim Projekt Südostlink beispielsweise, das von Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt bis Landshut in Bayern reichen soll, sprechen sich manche Landwirte explizit gegen die Drähte unter der Erde aus und fordern den Ausbau von Überlandleitungen. Ein Argument: Die oberirdischen Zugänge zu den Kabeltunneln würden die Arbeit mit Landmaschinen auf den Äckern erschweren.

Je näher das Jahr 2030 rückt, desto mehr dürfte der Druck beim Trassenbau steigen. In zehn Jahren soll Deutschland zu 65 Prozent mit Ökostrom versorgt werden – so lautet der Beschluss der Bundesregierung. Ohne die geplanten Kabel, von denen bisher nur ein kleiner Teil in Betrieb ist, wird das nicht funktionieren.

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