Berlin. Sahra Wagenknecht wird nicht mehr als Fraktionsvorsitzende der Linken kandidieren. Die 49-Jährige nannte dafür gesundheitliche Gründe.

Einen „bestimmten Grad an Dauerstress“ wolle sie sich nicht mehr zumuten, sagt Sahra Wagenknecht. Die Gründe seien schlicht, „dass meine Gesundheit mir Grenzen gesetzt hat“. Sie habe gespürt: „Wenn man den Warnschuss nicht ernst nimmt, geht das nicht gut aus.“

Sahra Wagenknecht steht in einem limettenfarbenen Kostüm auf der Fraktionsebene des Bundestages vor der roten Wand der Linksfraktion, neben ihr der Co-Vorsitzende Dietmar Bartsch. Sie spricht zum ersten Mal über ihren Rückzug von der Fraktionsspitze, den sie am Montagnachmittag den 69 Linke-Abgeordneten in einer Mail mitgeteilt hat.

Es ist für ihre Verhältnisse ein emotionaler Auftritt. Sie wirkt an diesem Dienstagnachmittag wie immer ein bisschen schüchtern und kühl, aber auch erleichtert. Sie sagt: „Ich bin auch ganz froh, dass der Tag gestern jetzt vorbei ist.“ Die 49-Jährige war zwei Monate krank.

Rückzug ist für Linke alles andere als optimal

Was genau sie hatte, ist nicht bekannt. Auch wenn sie bei den Wahlen zur Fraktionsspitze nicht mehr antritt, sie versichert: „Ich bleibe ein politischer Mensch.“ Sie bleibt erst mal im Bundestag und will in Zukunft wieder Bücher schreiben. Wagenknecht verspricht auch, in den Wahlkämpfen mitzumischen.

Die Linke ist nervös – im September und Oktober stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Im Osten steht die Partei durch das Erstarken der AfD bei der Bundestagswahl massiv unter Druck. Deshalb ist der Rückzug Wagenknechts in diesem für die Linke so wichtigen Wahljahr alles andere als optimal.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht

Sie gilt als stramme Sozialistin, ist die Fraktionschefin der Linken im Bundestag und Gründerin der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Das ist Sahra Wagenknecht.
Sie gilt als stramme Sozialistin, ist die Fraktionschefin der Linken im Bundestag und Gründerin der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Das ist Sahra Wagenknecht. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
Gemeinsam mit Dietmar Bartsch hat Wagenknecht den Fraktionsvorsitz der Linken inne. Für eine Aktion pro Bootsflüchtlingshilfe legten die beiden Politiker im Oktober 2015 in Berlin Rettungswesten an.
Gemeinsam mit Dietmar Bartsch hat Wagenknecht den Fraktionsvorsitz der Linken inne. Für eine Aktion pro Bootsflüchtlingshilfe legten die beiden Politiker im Oktober 2015 in Berlin Rettungswesten an. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
Schon seit den Zeiten, als die Partei noch PDS hieß, arbeiten sie zusammen. Hier ein Foto aus dem Oktober 2002 mit Petra Pau (M.), damals stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende.
Schon seit den Zeiten, als die Partei noch PDS hieß, arbeiten sie zusammen. Hier ein Foto aus dem Oktober 2002 mit Petra Pau (M.), damals stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende. © picture alliance/AP | Jens Meyer
Wagenknecht beim Bundesparteitag in Leipzig im Juni 2018 mit der restlichen aktuellen Linken-Spitze (v.l.): die Parteichefs Bernd Riexinger (r.) und Katja Kipping sowie Dietmar Bartsch.
Wagenknecht beim Bundesparteitag in Leipzig im Juni 2018 mit der restlichen aktuellen Linken-Spitze (v.l.): die Parteichefs Bernd Riexinger (r.) und Katja Kipping sowie Dietmar Bartsch. © imago | Sammy Minkoff
Geboren wurde Wagenknecht als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter am 16. Juli 1969 in Jena.
Geboren wurde Wagenknecht als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter am 16. Juli 1969 in Jena. © REUTERS | REUTERS / ALEX DOMANSKI
Ab den frühen 1990er Jahren hatte Wagenknecht maßgebliche Funktionen in verschiedenen Vorstandsgremien der PDS inne.
Ab den frühen 1990er Jahren hatte Wagenknecht maßgebliche Funktionen in verschiedenen Vorstandsgremien der PDS inne. © imago/Detlev Konnerth | imago stock&people
Die 29-jährige Reformkommunistin beim Verteilen von Flugblättern in Dortmund im September 1998.
Die 29-jährige Reformkommunistin beim Verteilen von Flugblättern in Dortmund im September 1998. © REUTERS | REUTERS / Str Old
Wagenknecht im Januar 2000 in Berlin beim traditionellen Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Wagenknecht im Januar 2000 in Berlin beim traditionellen Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. © picture-alliance / Berliner_Zeit | dpa Picture-Alliance / Herschelmann Kay
Diese Aufnahme zeigt die damalige Chefin der „Kommunistischen Plattform“ der PDS beim Bundesparteitag im Oktober 2002 in Gera.
Diese Aufnahme zeigt die damalige Chefin der „Kommunistischen Plattform“ der PDS beim Bundesparteitag im Oktober 2002 in Gera. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
In der Flüchtlingsdebatte bezieht Sahra Wagenknecht klar Stellung. Mit ihrem Vorschlag, Arbeitsmigration einzuschränken, stieß sie in ihrer Partei auf heftigen Gegenwind.
In der Flüchtlingsdebatte bezieht Sahra Wagenknecht klar Stellung. Mit ihrem Vorschlag, Arbeitsmigration einzuschränken, stieß sie in ihrer Partei auf heftigen Gegenwind. © imago/Eibner | imago stock&people
Auch bei Demonstrationen gegen einen militärischen Einsatz westlicher Truppen in Syrien ist Sahra Wagenknecht häufig zu sehen, hier bei einer Demo 2015 in Berlin. Seit 2013 trägt Wagenknecht einen Doktortitel. Sie promovierte im Fach Volkswirtschaftslehre. Titel der in englischer Sprache verfassten Dissertation: „Die Grenzen der Auswahl. Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“.
Auch bei Demonstrationen gegen einen militärischen Einsatz westlicher Truppen in Syrien ist Sahra Wagenknecht häufig zu sehen, hier bei einer Demo 2015 in Berlin. Seit 2013 trägt Wagenknecht einen Doktortitel. Sie promovierte im Fach Volkswirtschaftslehre. Titel der in englischer Sprache verfassten Dissertation: „Die Grenzen der Auswahl. Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“. © imago/IPON | imago stock&people
Sie hat viel von ihrer Schärfe früherer Jahre abgelegt, tritt aber immer noch für eine Überwindung des Kapitalismus in Deutschland ein.
Sie hat viel von ihrer Schärfe früherer Jahre abgelegt, tritt aber immer noch für eine Überwindung des Kapitalismus in Deutschland ein. © REUTERS /
Im Bundestag ruft sie regelmäßig gereizte Reaktionen der anderen Parteien hervor.
Im Bundestag ruft sie regelmäßig gereizte Reaktionen der anderen Parteien hervor. © dpa | Britta Pedersen
Unvergessen: Beim Linke-Bundesparteitag im Mai 2016 in Magdeburg gab es einen Tortenangriff auf die Politikerin.
Unvergessen: Beim Linke-Bundesparteitag im Mai 2016 in Magdeburg gab es einen Tortenangriff auf die Politikerin. © imago/Christian Schroedter | imago stock&people
Als kontrollierte und ehrgeizige Rednerin kann die Frau von Oskar Lafontaine Zuhörer für sich einnehmen.
Als kontrollierte und ehrgeizige Rednerin kann die Frau von Oskar Lafontaine Zuhörer für sich einnehmen. © REUTERS | REUTERS / HANNIBAL HANSCHKE
Seit Ende 2014 ist sie mit dem früheren Ministerpräsidenten des Saarlandes, Ex-SPD-Kanzlerkandidaten und späteren Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken in zweiter Ehe verheiratet.
Seit Ende 2014 ist sie mit dem früheren Ministerpräsidenten des Saarlandes, Ex-SPD-Kanzlerkandidaten und späteren Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken in zweiter Ehe verheiratet. © imago/Becker&Bredel | imago stock&people
Am 4. September stellte die Linksfraktionschefin die neue politische Sammlungsbewegung „Aufstehen“ vor. Mit der von ihr gegründeten parteiübergreifenden Initiative wollen Wagenknecht und Lafontaine linke Wähler erreichen, die sich von den klassischen Parteien abgewendet haben.
Am 4. September stellte die Linksfraktionschefin die neue politische Sammlungsbewegung „Aufstehen“ vor. Mit der von ihr gegründeten parteiübergreifenden Initiative wollen Wagenknecht und Lafontaine linke Wähler erreichen, die sich von den klassischen Parteien abgewendet haben. © dpa | Bernd von Jutrczenka
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Wagenknecht ist die linke Galionsfigur der Partei, die populärste Politikerin, auch weil sie so streitbar und so umstrittenen ist. Viele Abgeordnete kritisierten sie wegen der Gründung der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Gerüchte über Mobbing in der Fraktion weist sie am Dienstag nicht zurück.

Dietmar Bartsch könnte Fraktion alleine führen

Sie sagt nur: „Welchen Begriff man dafür findet, das kann jeder für sich entscheiden.“ Die Kritiker sind jetzt froh, dass Wagenknecht in den Wahlkämpfen auftreten will. Sie wissen: Bei der Linken schafft es sonst kaum jemand, die Marktplätze zu füllen. Der Rückzug am Montag fiel auf einen Jahrestag:

Genau vor 20 Jahren war ihr heutiger Mann Oskar Lafontaine als SPD-Chef und Bundesfinanzminister zurückgetreten. Laut Wagenknecht war das so nicht geplant: „Das mit dem Datum ist ein wirklich ziemlich blöder Zufall, der mir leider zu spät aufgefallen ist.“ An der Fraktionsspitze wird sich womöglich gar nicht so viel ändern.

Gut vorstellbar ist, dass Dietmar Bartsch die Fraktion alleine führt, wie Gregor Gysi bis 2015. Anders als bei den Grünen ist bei der Linken die Doppelspitze kein Muss. Bartsch lässt sich aber nicht in die Karten schauen. Er sagt nur etwas zur politischen Ausrichtung: „Es wird keine Neuausrichtung der Fraktion geben.“ Und auch Wagenknecht will sich nichts verbauen. Auf die Frage, ob sie in Zukunft ein Spitzenamt in der Politik ausschließe, sagt sie: „Man kann in seinem Leben nie Dinge ausschließen.“ Und: „Biografien haben oft viele, viele Wendepunkte.“

• Hintergrund: Wagenkecht: Rückzug aus der eigenen „Aufstehen“-Bewegung