Berlin. Die Autorin Kirsten Reinhardt hat mit einer Geschichte über Dackel im Salzmantel Proteste bei Eltern ausgelöst. Warum die Aufregung?

Haben deutsche Lehrer und Eltern keinen Sinn für schwarzen Humor? Zumindest bei einer Lesung in einem Buchladen bei Berlin wurde es den zwei Pädagoginnen, die mit ihrer vierten Klasse angereist waren, zu viel. Kirsten Reinhardt, Kinderbuch-Erfolgsautorin und zweifache Mutter, las an diesem Tag von Dackeln im Salzmantel, welche die Tante bevorzugt und die sie nach ihrem freitäglichen Mokka im Eiscafé jagen geht.

Die alte Dame schickt ihren Neffen Fennymore dann raus, er solle Ausschau nach einem guten Dackel-Exemplar für den Sonntagsbraten halten. Zu viel für die zwei Lehrerinnen an diesem Tag. Kirsten Reinhardts Lesung wurde für die Klasse abgebrochen.

Bei Literaturfestival Auftritt verweigert

Die Autorin blieb mit einem Schulterzucken zurück. „Es war in diesem Moment nicht mehr möglich, ihnen das Genre zu vermitteln“, sagt Kirsten Reinhardt unserer Redaktion. „Kinder haben schon sehr früh einen sehr differenzierten Humor und wir können ihnen das literarische Genre zumuten, genau wie eben auch schwarzen Humor“, sagt die frühere Journalistin aus der Lüneburger Heide.

Sie gebe viele Lesungen vor Schulklassen, das Manuskript zu ihrem Debüt „Fennymores Reise oder Wie man Dackel im Salzmantel macht“ wurde mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis für das beste Manuskript ausgezeichnet. Beim dazugehörigen Literaturfestival blieb ihr aber der Auftritt verweigert.

Der Festivalleitung sagte das fertige Buch nicht zu. Reinhardt kann das bis heute nicht nachvollziehen. „Einmal hat auch eine Lektorin zu mir gesagt: Die deutsche Mutter ist konservativ“, erinnert sie sich. „Dabei denke ich, dass wir Kindern viel mehr zumuten können und sie auch einen Anspruch darauf haben, auf mehreren Ebenen unterhalten zu werden.“

Kinderpsychiater verteidigt fantastische Ebene

Was dürfen Kinderbücher? Der Bäcker schiebt Max und Moritz in den Ofen. Aus: Eine Bubengeschichte in sieben Streichen, Heinrich Christian Wilhelm Busch.
Was dürfen Kinderbücher? Der Bäcker schiebt Max und Moritz in den Ofen. Aus: Eine Bubengeschichte in sieben Streichen, Heinrich Christian Wilhelm Busch. © picture alliance / imageBROKER | bilwissedition

Die Frage, was Kinder- und Jugendliteratur darf und wie alte Bücher aktualisiert werden müssen, bewegte in den letzten Jahren die Buchbranche. „Max & Moritz“, „Hänsel & Gretel“ – die Kinderbuchklassiker gerieten in den Ruf, zu brutal zu sein.

In den USA erregte das Buch „Ein Geburtstagskuchen für George Washington“ so großes Aufsehen, dass der Verlag es aus dem Programm nahm. Der Vorwurf: Die Geschichte von Hercules, der als Sklave in der Küche der Washingtons arbeitete, verharmlose die Sklaverei.

Auch der mittlerweile verstorbene Bestseller-Autor Otfried Preußler geriet 2008 zum Start der Kinoverfilmung seines Werks „Krabat“ in eine Kontroverse. Als er in einem Interview mit dem „Focus“ seinen fes­ten Glauben an Übersinnliches und Magisches erklärte, erntete er umgehend Kritik, weil er nach der Meinung vieler Eltern dem Okkultismus nahestehe.

Dabei sei die fantastische Ebene, auch die für Erwachsene vielleicht grotesken Elemente, genau das, was Kinder brauchen würden, sagt Michael Winterhoff, Bonner Kinderpsychiater und Bestseller-Autor. „Bücher sind gut, wenn sie Magie ansprechen, und pädagogisch wertvoll, je weniger sie konkret sind.“

Licht und Schatten spiegeln sich im Kinderbuch

So könne zum Beispiel ein Lasten-Tier als Symbolcharakter für Einsamkeit herhalten und eben auch der Dackel-Braten der Tante für etwas von Erwachsenen Vorgegebenes, was das Kind eigentlich gar nicht will. „Kinder müssen anhand von fantastischen Handlungen ihre eigenen Bilder entwickeln, denn nur so lernen sie und ziehen für sich einen Schluss daraus.“ Moralische Handlungsanweisungen auf der ersten Ebene würden dagegen nicht zum Denken anregen, erklärt Winterhoff.

Die Erfahrung, dass Kinder schwarzen Humor und nicht in die Realität übertragbare Bilder wie „Dackelbraten“ verstehen, hat derweil auch die Autorin Kirsten Reinhardt gemacht. „Wenn ich Fennymore lese, kommen die Kinder dann oft mit Fragen rund um das Dackel-Rezept auf mich zu. Sie fragen: Hat die Tante, die Dackel denn auch ausgenommen, die Gedärme herausgemacht? Und dann sage ich: Das glaube ich schon, das würde die Tante doch machen.“

Letztendlich gehe es in ihrem Buch um Freundschaft und Mut. Aber eben auch um das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, nicht gut genug zu sein. Licht und Schatten, sie müssen auch in der Kinderliteratur nah beieinanderliegen können.