Berlin. Regisseurinnen und Schauspielerinnen fordern Hälfte aller Rollen, aller Jobs, aller Gelder. Nur das ist Gleichberechtigung, sagen sie.

Es brodelt, es grollt, jetzt ist die Zeit. Immer wieder wird dieser Satz gesagt. Ob nun von Schauspielerin Jasmin Tabatabai, der Produzentin Janine Jackowski („Toni Erdmann“) oder von Regisseurin Barbara Rohm, die zu den Gründungsmitglieder der Initiative Pro Quote Film gehört. Einer Organisation, die sich seit 2014 für die Gleichberechtigung im Filmgeschäft einsetzt, und der mehr als 500 Frauen angehören. Ihre Botschaft: „Wir haben uns entschlossen, die Filmbranche zu verändern“, sagt Rohm.

Das Treffen im Berliner Kino International ist denkwürdig und trifft den Zeitgeist. Es geht um Gleichberechtigung und der Ablehnung von ungleicher Bezahlung, Bevorzugung von Drehbüchern mit männlichen Hauptrollen und eines Systems, das Sexismus und Übergriffe verschwiegen hat, wie es SPD-Familienministerin Katarina Barley anprangerte.

Die Branche soll ein Kulturwandel durchfahren

Im großen Kinosaal sitzen mehr als hundert Frauen, dazwischen vielleicht fünf Männer. Drehbuchautorinnen, Regisseurinnen, Schauspielerinnen, Szenenbildnerinnen, Kamerafrauen, Kostümbildnerinnen. Sie alle fordern die 50-Prozent-Quote: Dass die Hälfte aller Rollen, aller Jobs, aller Gelder, die im Filmgeschäft verteilt, und die Hälfte der Jurys und Gremien, weiblich besetzt werden.

All das vor dem Hintergrund einer seit Monaten dauernden Debatte um Sexismus und sexuelle Übergriffe, die spätestens mit den Vorwürfen in der „Zeit“ gegen den Produzenten Dieter Wedel im deutschen Filmgeschäft angekommen ist. Nichts Geringeres als einen Kulturwandel soll die Branche durchfahren. „Die aktuelle #MeToo-Kampagne macht sichtbar, dass die unausgewogenen Geschlechterverhältnisse vor und hinter der Kamera die Branche vergiften und auch den Missbrauch von Macht befördern“, sagt Pro Quote Film-Gründerin Barbara Rohm: „Männlich dominierte Leitungsteams befördern eben auch stille Übereineinkünfte.“ So hänge alles zusammen.

Sexismus-Debatte: Das sagen die deutschen Promis über ihre Branche

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    Nur 22 Prozent der Regieführenden waren Frauen

    Ein paar Zahlen aus Studien: Weibliche Produzentinnen müssen mit 50 Prozent geringeren Budgets auskommen. Nur die Hälfte aller Filmhochschulabsolventinnen arbeitet in ihrem erlernten Beruf. Schauspielerinnen verschwinden ab Mitte 30 von der Leinwand. Auf eine Frauenrolle kommen anfangs zwei Männerrollen, in höherem Alter sinkt das Frau-Mann-Verhältnis auf eins zu vier. Jasmin Tabatabai bezeichnet das als „staatlich geförderte Diskriminierung“, denn in Deutschland werde kaum ein Film ohne staatliche Fördermittel produziert.

    Zudem bekommen Frauen weniger Geld als Männer. Bei den Editorinnen zum Beispiel seien das 22 bis 30 Prozent weniger Gehalt. Schaut man sich die Verteilung in puncto Regie bei TV- und Kinoproduktionen an, dann waren 2016 nur 22 Prozent der Regieführenden weiblich, bei ARD-Produktionen knapp 19 Prozent und beim ZDF nur 14 Prozent.

    Von der Berlinale müsse ein deutliches Signal ausgehen

    Zudem wünschen sich die Filmfrauen eine Beratungs- und Servicestelle, die die Gleichstellung für Frauen und Männer im Filmgeschäft verankert. Eine Institution, die auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig unterstützt: „#MeToo macht deutlich, wie schwer es ist, das Schweigen zu brechen, wenn es keine allgemein bekannten und leicht zugänglichen Beschwerde- und Hilfeangebote gibt und Frauen mächtigen Agenten, Regisseuren oder Produzenten gegenüberstehen“, sagte er unserer Redaktion. In besonderem Maße gelte dies auch für minderjährige Darsteller, deren Eltern, Grenzüberschreitungen häufig nicht ausreichend wahrnähmen, da ihr Ehrgeiz den Blick auf das Wohl des Kindes verstellen könne.

    Laut Rörig braucht die Gesellschaft mutige Menschen, die Übergriffe anzeigen und gegen Diskriminierung und Sexismus vorgehen. „Wo sind die anderen männlichen Stimmen, die sich öffentlich hinter die #MeToo-Debatte stellen und eine Debatte befördern, die alle Geschlechter gleichermaßen austragen?“ Bereits vor zwei Wochen habe er Berlinale-Chef Dieter Kosslick gefragt, wie er plane, sich zu verhalten. Denn: „Die Berlinale ist ein kulturelles Großereignis mit einer enormen gesellschaftlichen Ausstrahlung.“ Von der Berlinale müsse auch für Deutschland ein „deutliches Signal ausgehen“, dass sexuelle Übergriffe nirgends mehr geduldet werden.

    #MeToo auf der Berlinale

    Auf Nachfrage unserer Redaktion antwortete Dieter Kosslick am Mittwoch, dass es Veranstaltungen zum Thema geben werde, denn auch die Berlinale möchte zu einer Veränderung der Branche beitragen. „Wir selbst organisieren Veranstaltungen zur Diversity, also Vielfalt. Da erweitern wir das Thema: Es geht nicht nur um Übergriffigkeit und Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, sondern generell um Diskriminierung und Missbrauch.“

    Zumindest ein Wunsch von Jasmin Tabatabai, die auf „eine paritätische Berlinale-Jury“ hofft, erfüllt sich laut Berlinale-Sprecherin Frauke Greiner schon jetzt: „Tom Tykwer hat den Vorsitz und mit ihm sind noch zwei weitere Männer und drei Frauen in der internationalen Jury nominiert.“