Essen. Johnny Rotten war Urvater des Punks. Vier Jahrzehnte nach Ende der Sex Pistols erklärt er den Deutschen seine Heimat: Großbritannien.

Die wirr abstehenden Haare sind immer noch gefärbt. Aber sonst sieht Johnny Rotten ziemlich angepasst aus, für seine Verhältnisse zumindest: Das Hemd ist bis zum Hals zugeknöpft, das Sakko spannt etwas über dem Bauch. So kehrt Punklegende Johnny Rotten ins Fernsehen zurück. Kein Vergleich zu seinen wilden Jahren, als er mit seinen verrückt glänzenden Augen, seinen fauligen Zähnen und seiner Lederjacke zur Ikone der Unangepassten wurde.

Die Zeiten haben sich geändert. Johnny Rotten wirkt nicht mehr ganz so freakig wie früher. In den 70ern prägte er als Sänger der Sex Pistols die Punk-Bewegung. Rotten sprang wie irre über die Bühne und pöbelte gegen alle, die seiner Meinung nach das Establishment repräsentierten.

Moderator von „Summer of Fish ’n’ Chips“

Mittlerweile ist er 61 – und erklärt den deutschen Fernsehzuschauern nun das Land, in dem er vor vier Jahrzehnten groß rauskam: Bis zum 20. August präsentiert er bei Arte den „Summer of Fish ’n’ Chips“ – an sechs Wochenenden zeigt der deutsch-französische Sender Filme, Konzerte und Dokumentationen, die erklären sollen, wieso ausgerechnet Großbritannien die Welt mit so vielen Musikern, Bands und Jugendbewegungen bereichert hat.

Rotten führt mit kurzen, bereits aufgezeichneten Moderationen durch die Reihe. Ausgerechnet Rotten, der einst zu „Anarchy in the UK“ (Anarchie im Vereinigten Königreich) aufrief. Anruf in Kalifornien, wo Rotten zusammen mit seiner deutschen Frau Nora lebt: Er sitze gerade nur mit einer Schlabber-Unterhose bekleidet auf der Terrasse, erzählt er und spricht dann eine Stunde lang über sein wildes Leben. „Wenn Sie mich sehen würden, könnten Sie bis zu meinen Eiern blicken“, sagt der ewige Punk.

Kaum jemand kennt die britische Popkultur so gut wie er. „Die Briten haben einen Sinn für Individualität“, so erklärt Rotten die starken popkulturellen Einflüsse seines Landes. Individualität ist für Rotten, der eigentlich John Lydon heißt, ein Leitmotiv seines Lebens. Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren sagte einst über ihn: „Er konnte überhaupt nicht singen, aber er besaß genug Aggression, um Sänger der Band zu werden.“

Vermeintliche Feindbilder

Inzwischen ist Rottens Wut auf das System abgekühlt. „Ich habe einige meiner Ansichten korrigiert“, gibt er zu. Etwa über Elizabeth II: In seinem Song „God Save the Queen“ von 1977 bezeichnete er das englische Königshaus noch als „faschistisches System“ und die Königin als „unmenschlich“. Heute nimmt er sie in Schutz: „Die Queen lebt in einem goldenen Käfig, dafür kann sie nichts. Ich würde das Geld zwar lieber für wichtigere Dinge ausgeben, aber ich mag diesen Pomp auch.“

Überhaupt gibt sich Rotten zahm, wenn er auf vermeintliche Feindbilder angesprochen wird. Über Donald Trump etwa spricht Rotten überraschend differenziert. Er sei zwar kein Fan des US-Präsidenten. Für einen Rassisten, als der Trump oft dargestellt werde, halte er den Mann aber nicht.

Anarchische Gesinnung

Ein Punker ist er immer noch, beteuert er. Mit seiner Band Public Image Ltd. (PiL) geht er ab und zu auf Tour. Der Unterschied zu früher bestehe darin, dass er darauf verzichte, seine anarchische Gesinnung immerzu nach außen zu tragen. „Ich muss mir heute keine Lederjacken mehr anziehen, um mich als Punker zu fühlen.“

Interviews mit ihm sind eine Herausforderung. Rotten beherrscht die Kunst, ausführlich zu erzählen, auf Fragen aber trotzdem nicht zu antworten. Der Mann wirkt auf sympathische Weise ein bisschen gaga. Dass er fast 40 Jahre nach Auflösung der Sex Pistols überhaupt Interviews geben soll, hätte er sich in seiner wilden Zeit nicht träumen lassen. „Die Band gehört heute zur Geschichte der Pop-Kultur Großbritanniens“, findet er. „Das ist einfach nur verrückt.“