Berlin. Vor 200 Jahren erfand Karl Drais eine Laufmaschine und veränderte die Welt. Heute soll das Fahrrad Mobilitätsprobleme in Städten lösen.

Von der Laufmaschine über das Hochrad, vom Rennrad aus Carbon bis zum Lastenrad mit Elektrohilfsmotor – das Fahrrad hat sich seit seiner Erfindung vor 200 Jahren zum meistverbreiteten Verkehrsmittel der Welt entwickelt. Eine Erfolgsgeschichte, die auch Fahrverbote, Wirtschaftskrisen und Massenmotorisierung nicht aufhalten konnten. Zwischen zwölf bis 14 Milliarden Stück sind in zwei Jahrhunderten gebaut worden. Allein in Deutschland, schätzt der Zweiradindustrie-Verband, sind derzeit 73 Millionen unterwegs. 2015 machte die Branche einen Umsatz von 16 Milliarden Euro.

„Die gesellschaftliche, kulturelle Veränderung, die das Fahrrad ermöglichte, ist beeindruckend“, schreibt Hans-Erhard Lessing. Der Physiker, Technikhistoriker und Buchautor gilt als einer der führenden Radexperten. Für ihn markiert das Urfahrrad aus Holz den Anfang der individuellen Mobilität.

Drais ist schneller als die Postkutsche

Seine These zu dessen Erfindung ist weitverbreitet, wenn auch nicht unumstritten: Demnach waren die napoleonischen Kriege seit 1812 und der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien dafür maßgeblich. Ernteausfälle sowie von der Vulkanasche verursachte Klimaschwankungen hatten nach 1815 den Preis für Futtermittel nach oben getrieben. Viele Menschen mussten in der Not ihre Transporttiere schlachten. Zwei wesentliche Gründe, warum sich ein deutscher Tüftler auf die Suche nach einer Alternative machte, so Lessing.

In der Folge entwickelt der Forstbeamte Karl Drais (1785–1851) ein Gefährt, das die Fortbewegung des Menschen erleichtern und beschleunigen soll. Er nennt es „Vélocipède“ – Schnellfuß. Am 12. Juni 1817 fährt Drais erstmals mit seinem lenkbaren Laufrad in der Nähe von Mannheim eine Strecke von 13 Kilometern. Dafür braucht er etwa 60 Minuten. Auf einer späteren Fahrt nach Baden-Baden ist er schneller als die Postkutsche.

Grundkonstruktion ist bis heute geblieben

Gerollt wird auf zwei 27-Zoll-Rädern aus Holz. Drais setzt auf Muskelkraft. Sein Rad hat einen Gepäckträger, Bremse und einen in der Höhe verstellbaren Sattel. Mit einem Gewicht von 22 Kilogramm erweist es sich in seinen Abmessungen als erstaunlich stabil: „Die Grundkonstruktion ist bis heute gleich geblieben“, sagt Thomas Geisler vom Pressedienst Fahrrad.

Nach einer raschen Verbreitung des Laufrades und seiner Nachbauten auch im Ausland gibt es erste Rückschläge, vor allem in Deutschland. „Das Vélocipède wurde sehr bald kritisch gesehen und mit Verboten belegt, weil es zu Unfällen kam“, sagt Geisler. Erst nach einer kurzen Hochphase der Hochräder, nach Erfindung von Rollenkette, Gangschaltung, Luftreifen sowie durch Produktionsfortschritte während der Industrialisierung nimmt die Verbreitung des Niederrades wieder Fahrt auf.

Das Rad galt als Arme-Leute-Gefährt

„Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Fahrradindustrie in Deutschland eine erste Boom-Phase“, sagt Florian Niklaus vom Hersteller Winora. Es sei eine neuartige Mobilitätslösung für die Masse entstanden. Die Zahl der produzierten Räder stieg von 5000 auf 350.000 pro Jahr.

Weitere Rückschläge gibt es zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, in der Wirtschaftskrise zu Beginn der 20er- und zu Beginn der 30er-Jahre sowie im Zweiten Weltkrieg. Letzterer wirkt nachhaltig: Mit dem Krieg beginnt die Motorisierung der Massen. Sie drängt das Rad für Jahrzehnte in den Hintergrund. „Das Auto stieg zum beherrschenden Thema auf, das Rad galt als Arme-Leute-Gefährt“, sagt Geisler.

Mit Öko-Bewegung kommt Branche wieder in Schwung

Der Bedeutungsverlust hält an bis in die 80er-Jahre. Erst mit dem Herausbilden einer alternativ-ökologischen Bewegung in Zeiten der Ölkrise und der zunehmenden Geländefähigkeit des Fahrrads, kommt die Branche in Deutschland wieder auf die Beine. Die Strömungen vereinen sich im Trend zum Trekkingrad, einer Mischung aus Straßen- und Geländegerät. Der Aufschwung wird messbar: Ab 2000 verkaufen die Hersteller wieder etwa vier Millionen Räder pro Jahr.

Der jüngste, in Fachkreisen aber als bedeutend eingeschätzte Effekt für die Entwicklung liegt zwölf Jahre zurück: die Erfindung des Lithium-Ionen-Akkus und damit der Durchbruch des Fahrrads mit elektrischer Unterstützung, an dem seit den 80ern geforscht wird.

E-Bikes spricht neue Zielgruppe an

Mit dem sogenannten E-Bike wächst noch einmal die Zielgruppe. Es spricht ältere Menschen, Berufspendler und sogar Transporteure von Wirtschaftsgütern an. „Spätestens 2018“, glaubt der Verein ExtraEnergie, der die Elektromobilität seit den Anfängen begleitet, soll der Markt weiter wachsen. Dann könnten große Fortschritte in der Batterietechnologie die Reichweiten der E-Räder bedeutend steigern. Das Marktpotenzial in Deutschland könne künftig bei jährlich fünf Millionen verkaufter Geräte liegen.

200 Jahre nach Drais’ Erfindung, wird dem Fahrrad also wieder eine goldene Zukunft nachgesagt. Die Hälfte aller Fahrten in der Stadt, so der Allgemeine Deutsche Fahrradclub, seien kürzer als fünf Kilometer. Radfahren sei da häufig die schnellste, günstigste und umweltfreundlichste Form der Bewegung. Und auch das Bundesverkehrsministerium sieht Steigerungsmöglichkeiten.

Potenzial für ruhigere und saubere Städte

Laut einer Studie könnte sich der Anteil des Fahrrads an der gesamten Verkehrsleistung bis 2030 auf etwa zehn Prozent verdoppeln. „Entscheidend ist, in den Städten gute Bedingungen für das Radfahren zu schaffen“, sagt Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetages. Was sie meint, sind die Öffnung von Einbahnstraßen, Fahrradachsen in den Innenstädten oder bequeme und diebstahlsichere Radparkhäuser.

Das Wuppertal-Institut, das Ressourcen-, Klima- und Energieherausforderungen der Zukunft erforscht, betont das Potenzial des Rades für ruhige und saubere Städte. Frederic Rudolf, Projektleiter im Geschäftsfeld Mobilität sagt: „Im internationalen Vergleich ist Deutschland sicher ein Fahrradland. Wir haben aber noch viel Luft nach oben.“ (mit dpa)