Berlin. Zu hohe Cholesterin-Werte machen sich lange nicht bemerkbar. Doch sie sind lebensbedrohlich. Rund 160.000 Deutsche leiden darunter.

Als sich zum ersten Mal diese Enge auf die Brust von Alexander J. legt, ist er 34 Jahre alt. Er hat gerade eingekauft, im Supermarkt gegenüber, als ihm die Kraft ausgeht. Die zwei Einkaufstüten bringt er nur in Etappen zurück zu seiner Wohnung. „An einen Herzinfarkt habe ich damals keinen Gedanken verschwendet“, sagt der heute 47-Jährige. Doch das EKG vom nächsten Tag ist eindeutig: akuter Infarkt. Noch in der Nacht legt man ihm zwei Stents, um die durch Ablagerungen verengten Herzkranzgefäße offen zu halten.

Ein Herzinfarkt in diesem Alter ist ungewöhnlich. Trotzdem steht er auf Platz eins der Ursachen für einen plötzlichen Tod in jungen Jahren. Eine der häufigsten Ursachen für einen frühen Herzinfarkt ist die sogenannte Familiäre Hypercholesterinämie (FH). Auch Alexander J. ist einer von etwa 160.000 bis 200.000 Menschen in Deutschland, die an der genetisch vererbbaren und lebensbedrohlichen Stoffwechselkrankheit leiden. Die Krankheit ist nur eine von unzähligen Spielarten genetischer Anlagen, die einen senkenden oder steigernden Einfluss auf den Cholesterinspiegel im Blut haben. Auch die Deutsche Herzstiftung hat dem Cholesterin in diesem Jahr im Rahmen der Herzwochen einen Themenschwerpunkt gewidmet.

Mehr als zehn Jahre vergingen bis zur Diagnose

Eigentlich hat Cholesterin wichtige Aufgaben im Körper. „Einerseits ist es ein wichtiger Bestandteil der Membranen, also der äußeren Umhüllung von Zellen“, erklärt Professor Ulrich Laufs vom Uniklinikum des Saarlandes Homburg/Saar, „außerdem ist es unverzichtbar für viele Stoffwechselprozesse im Körper, etwa die Bildung von Hormonen.“ Der Körper bildet Cholesterin zu 80 Prozent selbst, hauptsächlich in der Leber. Den Rest steuert der Mensch über die Nahrung bei.

Gefährlich wird es erst dann, wenn Blut und Gefäßwände zu viel Cholesterin enthalten. „Das führt zu ernsthaften Gesundheitsschäden und vorzeitiger Sterblichkeit durch Gefäßverkalkung, also Arteriosklerose und ihren Folgen“, erklärt Laufs: Herzinfarkte, Schlaganfälle, Durchblutungsstörungen. Geht es um das Risiko eines Herzinfarktes, ist besonders das sogenannte LDL-Cholesterin interessant (Low Density Lipoprotein). Es macht drei Viertel des gesamten Cholesterinwertes aus.

Cholesterin lagert sich in Herzkranzgefäßen ab

„Es gilt: Je höher das LDL-Cholesterin, desto höher das Risiko eines Herzinfarktes“, erklärt Professor Heribert Schunkert, Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums München (DHM). Bei Menschen mit Familiärer Hypercholesterinämie etwa ist dieser LDL-Wert massiv erhöht. Alexander J. wusste nichts von den lebensgefährlichen Veränderungen, die sich in seinem Körper vollzogen, von dem Cholesterin, das sich in seinen Herzkranzgefäßen ablagerte und sie irgendwann verstopfte.

Selbst nach seinem Herzinfarkt dauerte es mehr als zehn Jahre, bis Ärzte bei ihm eine Familiäre Hypercholesterinämie diagnostizierten. Dabei wies einiges auf die Stoffwechselerkrankung hin: Der extrem erhöhte Cholesterinspiegel, der Vater, der einen ersten Infarkt mit 36 Jahren hatte, mit 42 einen Schlaganfall, später erneut einen Infarkt. Ein genetischer Test vor zwei Jahren im Deutschen Herzzentrum München brachte dann Gewissheit.

Hoher Cholesterinspiegel ist ein stiller Begleiter

Die Patientengeschichte von Alexander J. ist eine typische für Familiäre Hypercholesterinämie. „An dieser Stelle gibt es bei uns in Deutschland ein großes Defizit“, sagt Heribert Schunkert, der Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung ist. Nur ein bis zwei Prozent der Betroffenen wüssten von ihrer Erkrankung, „die anderen fallen erst auf, wenn etwas passiert“. Mit entsprechenden Folgen. Alexander J. entwickelte in der Zeit nach dem Infarkt Angstzustände und Depressionen. „Immer wenn irgendwo etwas gezwickt oder geschmerzt hat, kam die Angst“, erzählt er. Seit seinem Infarkt wurden ihm mehrfach neue Stents gesetzt.

Ein hoher Cholesterinspiegel ist lange Zeit ein stiller Begleiter. Nur in extremen Fällen können sich sogenannte Xanthome bilden, Fettablagerungen, die als gelbe Knoten an den Sehnen der Füße und Handgelenke oder in Form gelber Flecken im Auge rund um die Iris auftreten können. Fachgesellschaften diskutieren aus diesem Grund derzeit die Einführung eines Screenings, bei dem Kinder ab elf Jahren untersucht werden sollen. Auf diese Weise könnten auch Rückschlüsse auf die Eltern gezogen werden, die man anders vielleicht nicht mehr erreichen könnte.

Standardmäßige Cholesterinbestimmung

Auch die Patientenorganisation Cholesterin & Co. fordert eine standardmäßige Cholesterinbestimmung für Kinder – um Leben zu retten, wie es Gründerin Michaela Wolf formuliert. Heribert Schunkert empfiehlt schon heute jedem, das Blut beim Hausarzt auf erhöhtes LDL-Cholesterin untersuchen zu lassen. „Denn das Gute und zugleich Tragische ist, dass wir erhöhtes Cholesterin eigentlich gut behandeln können und bislang die Chance verpasst haben.“

Ab wann das LDL-Cholesterin zu hoch ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. „Es werden drei Gruppen unterschieden“, erklärt Schunkert. In der ersten sind gesunde Menschen – Normalgewichtige, die sich ausgewogen ernähren, nicht rauchen, Alkohol in Maßen trinken und sich regelmäßig bewegen. Bei ihnen sei ein LDL-Cholesterin von bis zu 160 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) Blut tolerierbar. Bei Menschen mit erhöhtem Risiko – weil sie hohen Blutdruck haben, rauchen, Diabetiker sind oder genetisch bedingt einen hohen Cholesterinspiegel haben – sollte der Wert nicht über 100 bis 115 mg/dl liegen.

Ablagerungen stagnieren bei niedrigem Wert

„Wer schon mal einen Herzinfarkt hatte, für den gilt ein Wert von unter 70 Milligramm“, erklärt der Kardiologe. Es habe sich gezeigt, dass bei einem so niedrigen Wert die Ablagerungen mit der Zeit nicht nur stagnierten, sondern auch wieder weniger wurden.

Alexander J. hatte in der Zeit seines Herzinfarktes einen LDL-Wert von über 200. „Heute liegt er im Schnitt bei 70“, sagt er. Der 47-Jährige wird derzeit mit sogenannten PCSK-Hemmern, einer neuen Gruppe Medikamente, behandelt. Das körpereigene Enzym PCSK9 vermindert den Abbau des LDL-Cholesterins. „Das LDL-Cholesterin kann durch die neuen Medikamente um 50 bis 60 Prozent gesenkt werden“, sagt Ulrich Laufs von der Uniklinik Homburg/Saar. Doch noch sei die Wirkung auf das Infarktrisiko trotz positiver Hinweise nicht wissenschaftlich erwiesen.

Standardbehandlung mit Statinen hat sich bewährt

Zuvor war Alexander J. mit Statinen behandelt worden, die sich in den letzten Jahren als Standardbehandlung bewährt haben. Sie hemmen die körpereigene Bildung von Cholesterin in der Leber, sie können über Jahrzehnte eingenommen werden. Doch die Einnahme kann mit Nebenwirkungen wie Muskelbeschwerden verbunden sein.

„Ich habe mich manchmal gefühlt wie nach einem Zehnkampf“, beschreibt es Alexander J. Durch die Behandlung mit dem Enzym-Hemmer ist sein LDL-Wert an manchen Tagen kaum mehr nachzuweisen. Die Angst ist dadurch ein bisschen weniger geworden. Auch ein Gentest bei seinem Sohn hat Entwarnung gebracht: keine Familiäre Hypercholesterinämie.

Deutsche Herzstiftung informiert

Die Herzwochen der Deutschen Herzstiftung widmen sich in diesem Jahr mit dem Motto „Herz unter Stress“ den wichtigsten Risikofaktoren für schwerwiegende Herzkrankheiten: Bluthochdruck, Diabetes, Cholesterin. Auch die Auswirkungen von Stress auf das Herz werden thematisiert. Zu diesen Themen bietet die Herzstiftung auch vier neue Ratgeberhefte an, in denen Experten über aktuelle Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten und Vorsorge informieren. Die Hefte können kostenfrei bestellt werden: Deutsche Herzstiftung, Bockenheimer Landstr. 94-96, 60323 Frankfurt/Main, Tel.: 069/955 128 400, E-Mail: bestellung@herzstiftung.de

Die Herzstiftung hat auf ihrer Internetseite (www.herzstiftung.de) auch außerhalb der Herzwochen wichtige Informationen rund um das Herz zusammengestellt.