Berlin. Zwei Raser töteten in Berlin durch ihr illegales Rennen einen unbeteiligten Autofahrer. Die Richter fällen einen drastischen Schuldspruch.

Unser Leser Torsten Römer aus Salzgitter fragt:

Hohe Strafe? Gern! Aber wieso war das Mord?

Die Antwort recherchierten Michael Mielke und Andre Dolle

Als die Strafe verkündet wird, wirkt der Angeklagte Hamdi H. wie erstarrt. Alle anderen im überfüllten Saal 700 des Moabiter Kriminalgerichts setzen sich, um die Urteilsbegründung zu hören. Aber der 27-Jährige bleibt stehen, noch zwanzig Minuten lang, fassungslos, entsetzt, ungläubig. Lebenslang lautet das Urteil gegen ihn und den 24-jährigen Marvin N.

Lebenslang wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln – gemeint sind damit der Audi S 6 von Hamdi H. und der Mercedes AMG von Marvin N., mit denen sie am 1. Februar 2016 um 0.45 Uhr in der Berliner Innenstadt ein illegales Autorennen veranstalteten, dabei mit Geschwindigkeiten von mehr als 160 Stundenkilometern Kreuzungen bei „Rot“ überquerten und schließlich einen schweren Unfall herbeiführten, der für den 69 Jahren alten Fahrer eines Jeeps den Tod bedeutete.

Der Prozess hatte schon zu Beginn für großes Interesse gesorgt. Noch nie in der bundesdeutschen Justizgeschichte wurde für Autofahrer, die einen anderen Verkehrsteilnehmer töteten, die Höchststrafe beantragt. So war das Gedränge im Landgericht Berlin schon eine Stunde vor der Urteilsbegründung groß. Zwölf Kamerateams und weitaus mehr Fotografen hatten sich vor dem Saal postiert. Auch viele Zuschauer waren da. Unter ihnen die Angehörige eines der Angeklagten, die bei der Urteilsverkündung zu weinen begann.

„Die Angeklagten denken jetzt vielleicht: Was wollen die Richter, sind die vollkommen irre?“, sagte der Schwurgerichtsvorsitzende Ralph Ehestädt, als er die lebenslänglichen Freiheitsstrafen verkündet hatte. Beide Angeklagten blickten kurz zu ihm. Es soll „hier kein Exempel statuiert werden“, fügte Ehestädt hinzu – und überhörte den Zwischenruf von Hamdi H., dass genau das ja jetzt hier passiere.

„Die Kammer geht davon aus, dass beide keine Tötungsabsicht hatten“, sagte der Richter. „Wir reden hier von einem bedingten Tötungsvorsatz“, und auch der könne zu einer Verurteilung wegen Mordes führen. Die Raser hätten den Tod des Jeep-Fahrers billigend in Kauf genommen. Und dieser bedingte Vorsatz reicht nach der Rechtslage aus, um Angeklagte wegen Mordes zu verurteilen. Die Absicht einer Tötung wird dabei nicht vorausgesetzt. Das Urteil der Berliner Richter ist demnach zwar hart, rechtlich aber voll gedeckt.

Wer als Mörder verurteilt wird, erhält lebenslange Haft. Frühestens nach 15 Jahren ist eine Entlassung auf Bewährung möglich.

Richter Ehestädt schilderte noch einmal, wie es zu dem Rennen kam: beide Angeklagten hätten zunächst an einer Kreuzung nebeneinander gestanden. Hamdi H. sei mit seinem Audi losgerast. Marvin N. habe zunächst „vernünftig reagiert“. Als ihm Hamdi H. an der nächsten Kreuzung jedoch noch einmal „zu einem Rennen animierte“, habe Marvin N. „den Entschluss gefasst, sich an dem todbringenden Rennen“ auf dem Kurfürstendamm und später auf dem Tauentzien zu beteiligen.

Knackpunkt des Prozesses, so Ehestädt, sei die Entscheidung, ob es sich um eine „bewusste Fahrlässigkeit“ oder den schon erwähnten „bedingten Tötungsvorsatz“ handele. Die Kammer sei fest überzeugt, dass sie vom Letzteren auszugehen habe.

Geprüft werden musste dabei auch „das Wissen und das Wollen“. Beide Angeklagten hätten gewusst, wie gefährlich es ist: „Sie waren nicht alkoholisiert, waren nicht übermüdet, sie waren voll einsatzfähig“, argumentierte Ehestädt. Und auch das Wollen müsse bejaht werden: „Es war ja kein nächtliches Rennen auf einer Landstraße in Mecklenburg-Vorpommern“. Beide Angeklagten hätten bei ihrer Raserei bewusst alle Bedenken in den Wind geschlagen. „Sie waren entweder mit dem Eintreten des möglichen Schadens einverstanden oder haben sich damit abgefunden, dass er eintreten könnte“. Das Risiko, dass auch die eigene Gesundheit und die eigenen Auto dabei gefährdet werden könnten, sei „ausgeblendet worden“.

Lesen Sie dazu auch den Leitartikel von Andre Dolle.