Berlin. Nach einem tödlichen Autorennen in Berlin schweigen die Angeklagten.

Der Angeklagte Marvin N. (Mitte) mit seinen Verteidigern.
Der Angeklagte Marvin N. (Mitte) mit seinen Verteidigern. © Paul Zinken/dpa

„Die Angeklagten werden beschuldigt, heimtückisch und aus niederen Beweggründen einen Menschen getötet zu haben.“ Dieser Satz steht am Anfang jeder Anklageschrift in einem Mordprozess. Bei Verhandlungen zu Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang ist er vor deutschen Gerichten noch nicht gefallen. Bis zum gestrigen Donnerstag. Da begann am Landgericht Moabit in Berlin der Prozess gegen zwei 27 und 24 Jahre alte Männer, die bundesweit als Kudamm-Raser bekannt geworden waren.

Wagen wurde durch Aufprall50 Meter weit geschleudert

Marvin N. (24) und Hamdi H. (27) sollen in der Nacht zum 1. Februar dieses Jahres auf dem Kurfürstendamm mit ihren hochtourigen Fahrzeugen ein illegales Rennen veranstaltet haben, bei dem ein unbeteiligter 69-Jähriger ums Leben kam. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall nach sechsmonatigen Ermittlungen klar: Sie klagte die beiden Männer des Mordes an. Eine von vielen Seiten als mutig bezeichnete Anklage, mit der Neuland in der deutschen Rechtsprechung betreten wurde. Verfahren wie dieses endeten in der Vergangenheit in den meisten Fällen mit einem Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung, selten wegen Totschlags. Entsprechend groß war das Medien- und Zuschauerinteresse beim Prozessauftakt. Marvin N. wird von zwei, Hamdi H. gar von drei Anwälten verteidigt. Komplettiert wird die Riege der Prozessbeteiligten von zwei Nebenklägern samt Anwälten, dem Sohn des Getöteten und einer jungen Frau, die bei dem Rennen im Auto von Marvin N. saß. Für den Prozess sind elf Verhandlungstage angesetzt, mehr als 50 Zeugen und mehrere Sachverständige sollen gehört werden, bevor die Richter am 17. November ihr Urteil sprechen wollen.

In seiner Anklageschrift ließ der Vertreter der Staatsanwaltschaft das tödliche Geschehen am 1. Februar um kurz nach Mitternacht Revue passieren. Die beiden Angeklagten sollen sich auf dem Kurfürstendamm getroffen und ein illegales Rennen, in der Szene als „Stechen“ bezeichnet, vereinbart haben. Unmittelbar danach begann die wilde Raserei. Hamdi H. soll als erster Vollgas gegeben und gleich mehrere rote Ampeln überfahren haben.

Marvin N. wunderte sich nach Aussage seiner Beifahrerin zunächst noch über den Mitangeklagten und hielt noch vor zwei
roten Ampeln. Dann aber soll auch er Vollgas gegeben und Hamdi H. eingeholt haben. An einer Kreuzung überfuhren beide Angeklagte wieder eine rote Ampel. Der 69-Jährige, der bei Grün
von rechts in den Kreuzungsbereich einfuhr, wurde von Hamdi
H.s Wagen mit 160 Kilometern pro Stunde erfasst, sein Fahrzeug durch den Aufprall 50 Meter
weit geschleudert. Er hatte keine Chance und starb noch am Unfallort.

Für die beiden Angeklagten geht es um viel, wenn nicht sogar um alles. Für Mord sieht das Gesetz nur eine Strafe vor: Lebenslänglich. Ob das den beiden Männern auf der Anklagebank bewusst ist, ließ sich am Donnerstag schwer einschätzen. Marvin N. saß regungslos auf seinem Stuhl, der Verhandlung folgte er mal mit geschlossenen Augen, mal mit einem starren Blick nach vorn. Hamdi H. weinte nahezu die gesamte Zeit leise, fast lautlos vor sich hin. Beide Angeklagte äußerten sich zunächst nicht.

Dafür sprachen ihre Verteidiger und machten deutlich, dass sie den Mordvorwurf abstreiten. Die Staatsanwaltschaft habe aus einer Ordnungswidrigkeit einen Mord konstruiert, sagte ein Verteidiger. Ein anderer sprach von einem rechtlich zweifelhaften Vorgehen der Anklagebehörde. Für die Verteidiger ist den Angeklagten höchstens fahrlässige Tötung nachzuweisen. Der Prozess wird am 12. September fortgesetzt.