Essen. Bundestrainer Joachim Löw wird am Montag 60 Jahre alt. Durch den WM-K.o. 2018 fühlte er sich neu angestachelt. Eine Würdigung.

Neulich, beim Neujahrsempfang der Deutschen Fußball-Liga in Offenbach, stand der als Gast anwesende Bundestrainer in einer Ecke der zur Event-Location umfunktionierten alten Industriehalle und plauderte mit ein paar Journalisten, die er seit Jahren kennt und deren Arbeit er schätzt. Joachim Löw mag es, sich mal auszutauschen, gerne über aktuelle Ereignisse hinaus. Sogar mit Medienschaffenden. Obwohl er die, was durchaus verständlich gewesen wäre, längst schon geschlossen hätte zum Teufel wünschen können.

Denn was Joachim Löw alles hatte lesen und hören müssen nach dem blamablen Vorrunden-K.o. bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland, was er an Häme, Spott und vernichtenden Urteilen hatte ertragen müssen, begleitet von Beschimpfungen und Beleidigungen in den sozialen Medien, das hätten andere nicht ausgehalten. Es war eine öffentliche Demontage.

Löw war immer ein Mann mit Umgangsformen

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Aber Joachim Löw blieb Joachim Löw, trotz allem. Er war immer ein Mann mit Umgangsformen: Er grüßt höflich, er schaut Menschen an, er lächelt freundlich. Wer ihn nett um ein Autogramm oder ein Selfie bittet, den enttäuscht er nicht. Daran hat sich nichts geändert – Erfolg hin, Misserfolg her. Nach dem WM-Aus unterschied er zwischen denen, die ihm Böses wollten, und denen, die ihn fachlich hart kritisierten. Als Profi, der er immer war, wusste er, dass es ohnehin keinem Kommentator möglich war, über diese von ihm verantworteten Auftritte der Nationalmannschaft beschwichtigende oder beschönigende Worte zu verlieren. Ein Wirt, der seinem Gast ein leeres Glas hinstellt, kann keinen Applaus erwarten.

Am Montag wird Joachim Löw 60 Jahre alt, und es ist nicht nur ein Eindruck, dass er in mittlerweile 14 Jahren in diesem Amt, das ihn ständig mit Millionen Besserwissern konfrontiert, zunehmend innerlich gefestigt wirkt. Er hat gelernt, mit der Wucht der Reaktionen umzugehen, auch die Massen an Schulterklopfern nach dem WM-Triumph 2014 wusste er richtig einzuordnen. „Ich versuche, im Gleichgewicht zu bleiben“, hat er im Interview mit dieser Zeitung gesagt. „Dafür habe ich gewisse Mechanismen.“

Zum Abschalten gehört das Ignorieren des Handys

Sport macht ihn ausgeglichener – der Mann sieht auch mit 60 noch topfit aus. Aber Joachim Löw, der in Schönau im Schwarzwald geboren wurde, ist inzwischen auch dazu in der Lage, komplett vom Fußball abzuschalten. „Ich gehe zum Beispiel raus in die Natur, und das Handy bleibt dann konsequent aus“, erzählt er. „Bis vor ein paar Jahren konnte ich das nicht.“

Wer von dieser antrainierten Gelassenheit auf eine gewisse Egal-Haltung schließt, wer ihm das Aussitzen von Problemen vorwirft, nur weil er auch in größter Bedrängnis nicht dazu bereit war, seinen Stuhl zu räumen, der täuscht sich allerdings schwer in ihm. Denn der coole Jogi, der sich gern in modischem Schwarz kleidet, taillierte Hemden trägt und auch den gezielten Einsatz einer Sonnenbrille nicht verachtet, definiert sich sehr wohl über eine Charaktereigenschaft, die er bei oberflächlicher Betrachtung nicht direkt ausstrahlt: Der Mann hat Ehrgeiz.

Flucht kam für ihn nach dem WM-K.o. 2018 nicht infrage

Er hätte es leicht gehabt, nach der peinlichen Pleite von 2018 die Brocken hinzuwerfen, Gründe gab es genug. Den Weltmeistertitel von 2014 konnte ihm doch ohnehin niemand mehr nehmen, seinen hervorgehobenen Platz in der Fußball-Geschichte hatte er sicher. Wäre er gegangen, hätte das sogar als Größe interpretiert werden können.

Aber Flucht war für ihn kein Thema. Weil er sich so nicht verabschieden wollte. Er wollte die Reparaturarbeiten nach dem heftigen Crash selbst vornehmen, da war er sich auch schnell mit DFB-Direktor Oliver Bierhoff einig: „Wir beide waren total angefressen, aber wir haben uns gesagt: So gehen wir nicht! Wir beweisen es noch einmal.“ Dabei hatte er natürlich auch das Glück, dass die Machtstrukturen im DFB eine mögliche Entlassung verhinderten.

Ein Pendler zwischen Berlin und Freiburg

Weltmeister zu sein ist ihm also nicht genug. Natürlich würde er in diesem Jahr gerne auch noch Europameister werden, aber er ist Realist genug, um zu wissen, dass dies nicht der wahrscheinlichste aller Fälle sein wird. Es geht ihm um mehr. Er will den Ruf wiederherstellen: den der Nationalmannschaft, aber auch seinen eigenen, der nachhaltig gelitten hat. Deshalb der Neustart mit Spielern, die noch nach Titeln gieren, deshalb die schmerzhafte Trennung von weltmeisterlichen Wegbegleitern.

Joachim Löw war bei der berauschenden Heim-WM 2006 strategisch denkender Partner des emotionalen Bundestrainers Jürgen Klinsmann, er bekam direkt danach eine reibungslose Übernahme hin und ist seitdem selbst für die Nationalelf verantwortlich – eine Ewigkeit im Fußball. Den vor allem von Rückschlägen ausgelösten Stress hätte er nicht mehr nötig, er könnte es auch ruhig angehen lassen. Er hat ein Apartment in Berlin und ein Haus in Freiburg, er pendelt auch nach der 2016 bekannt gewordenen Trennung von seiner Frau Daniela zwischen Hauptstadtbrummen und Schwarzwaldbeschaulichkeit, und er genießt es, sich mit Freunden zu umgeben, die mit Fußball wenig zu tun haben. Aber er hat nie den Antrieb für den Job verloren, nie die Fokussierung verlernt.

Der Vertrag läuft bis 2022 – dann ist die WM in Katar

Sein Vertrag ist bis 2022 datiert, bis zum Jahr der WM in Katar also. Ob er ihn erfüllen wird, das wird sich aber schon in diesem Jahr entscheiden. Zwei Szenarien des vorzeitigen Abschieds sind denkbar: ein freiwilliger Ausstieg als Europameister, ein unfreiwilliger als Gescheiterter. Aber es gibt ja auch noch diese Kombination: gut gespielt, weit gekommen, trotzdem ausgeschieden. Es sollte keiner darauf wetten, dass Joachim Löw daraus nicht neue Motivation ziehen würde.