Essen. Sie gewann Titel in vier Jahrzehnten und will mit 38 Jahren einen Rekord aufstellen. “Ich bin sehr glücklich“, sagt Serena Williams.

Als Richard Williams zum Jahreswechsel 1999 mit blumigen Worten verkündete, seine Tochter Serena werde die Welt des Frauentennis „auf den Kopf stellen“ und einmal die „Beste überhaupt werden“, schenkten viele in der Szene dem Trainervater ein nachsichtiges Lächeln. Konnte die jüngere seiner selbsternannten „Cinderellas aus dem Ghetto“ etwa noch besser werden als Venus Williams, die Superathletin, die längst erfolgreiche Titeljägerin? Man hielt die markigen Worte des ehemaligen Parkplatz- und Nachtwächter für das übliche Marketinggetöse, für Sprücheklopferei. Doch am 28. Februar 1999 holte sich Serena auf einmal ihren ersten Titel, in Paris, gegen eine Topgegnerin, gegen Lokalmatadorin Amelie Mauresmo. Drei Wochen später dann der nächste Coup, ein Finalerfolg beim Millionenspiel in Indian Wells gegen Legende Steffi Graf. Später in jenem Jahr spielte sich Teenagerin Williams sogar noch auf einen Grand Slam-Thron, bei den US Open gewann sie gegen Martina Hingis, damals die Nummer eins in der WTA-Rangliste.

Williams gewinnt in Auckland ihren 74. Titel

Mauresmo, Graf, Hingis: Sie sind alle längst im Ruhestand, sie haben, wie Mauresmo und Hingis, schon längst zweite oder dritte Karriereanläufe hinter sich, versuchten sich als Trainerinnen, sind Mütter geworden. Oder sie sind, wie Graf, eine gefühlte Ewigkeit lang ewig weit vom Tennisgeschäft entfernt, als total ferne Beobachterin. Williams allerdings, sie ist immer noch da. Genau genommen: Sie ist über die letzten 21 Jahre immer wieder aufgetaucht, sie hat alle möglichen Rückschläge weggesteckt, gesundheitliche Probleme, Krisen in der Familie und im Privatleben. Auch sportliche Herausforderungen, wie das Auftauchen neuer, ehrgeiziger Nachwuchsspielerinnen, die ihr die Karriere schwer machten.

„Es ist eine verrückt lange Zeit, die ich nun schon unterwegs bin“, sagte Williams am Sonntag, dem 12. Januar 2020. An dem Tag, an dem sie ihren 74. Titel in Auckland (6:3, 6:4 gegen Landsfrau Jessica Pegula) gewann, einen alles andere als normalen Titel. Es war der erste Titel, seitdem sie als Mutter im Wanderzirkus unterwegs ist, nach zuvor fünf verlorenen Finals. Und es war der Titel, der ihre Unermüdlichkeit auf den weltweiten Centre Courts wie vorerst kein anderer dokumentierte, der erste Titel in den Zwanziger Jahren – nach Pokalsiegen in den Neunziger-Jahren des letzten Jahrhunderts und Erfolgen in den beiden ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts. „Ich bin sehr, sehr glücklich jetzt“, sagte Williams. Er sei nicht unbedingt auf den Titel selbst stolz, gab Williams-Trainer Patrick Mouratoglou zu Protokoll, sondern auf die Hartnäckigkeit, den unerschöpflichen Kampfeswillen, der sich in dem Sieg ausdrücke. „Sie ist einfach einzigartig, ein Phänomen“, so Mouratoglou.

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Dabei waren gerade die letzten beiden Jahre, die Jahre nach der Geburt von Tochter Olympia, geprägt von Turbulenzen und Enttäuschungen. Auf der Jagd nach dem 24. Grand Slam-Titel – und damit der Einstellung des Allzeit-Rekords der Australierin Margaret Court-Smith – scheiterte Williams in vier Grand Slam-Endspielen, jeweils zwei Mal in Wimbledon und bei den US Open. Unvergessen blieb der Black-Out beim New Yorker Finale der Saison 2018, die Skandalnacht im Arthur Ashe-Stadion, in der ein Punktabzug für die ausflippende Amerikanerin zum Sieg der jungen Japanerin Naomi Osaka führte. Ein Jahr später, im letzten Herbst, verlor Williams bitter klar gegen die 19-jährige Kanadierin Bianca Andreescu, wieder spielten ihr die Nerven einen Streich, allerdings bloß in der Rolle der gehemmten, zaudernden Favoritin. So wie auch in den Wimbledon-Finals gegen Angelique Kerber (2018) und Simona Halep (2019).

Serena Williams: "Mein Traum lebt"

Doch für Williams gilt nach wie vor das Motto: Weiter, immer weiter. Wieder stürzte sie sich, mit nunmehr 38 Jahren, in die Härten der Saisonvorbereitung. Zwischendrin wurde sie sogar beim Boxtraining mit Ex-Weltmeister Mike Tyson gesichtet. „Wenn du gegen Spielerinnen bestehen willst, die deine Töchter sein könnten, darfst du keine Kompromisse machen“, sagte Williams, als sie zu ihrem ersten Saisoneinsatz im neuseeländischen Auckland eintraf, mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrem Einstieg ins Profileben. Williams dominierte das Turnier, gegen die Jüngeren und ganz Jungen, die ihr auf der anderen Seite des Netzes gegenüberstanden, sie ist nun auch die Wettfavoritin für die Australian Open in Melbourne. Dort, am Yarra River, hatte sie vor drei Jahren auch ihren vorerst letzten Grand Slam-Titel gewonnen, sie war seinerzeit schon in der achten Woche schwanger gewesen. Wird Mama noch einmal die Beste, bei einem der kostbarsten Turniere der Welt, auf Grand Slam-Niveau? „Mein Traum lebt“, sagt Williams.