Essen. In Doha wurde Niklas Kaul jüngster Zehnkampf-Weltmeister. Er spricht über seine emotionalsten Momente und verrät, wie er noch besser werden will.

Niklas Kaul hat den großen Rummel hinter sich gelassen. Der jüngste Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte ist wieder zu Hause in seiner neuen Wohnung in Mainz und macht da weiter, wo er vor seiner Reise nach Doha zur WM aufgehört hat: Lehramtsstudium an der Uni, Training unter Anleitung seiner Eltern. Auch wenn für ihn eigentlich alles beim Alten ist, so hat der Titel doch zu kleinen Veränderungen geführt. Anstatt nämlich am Samstag bei der Sporthilfe-Gala zur Ehrung des Juniorsportlers des Jahres als Gast in Düsseldorf vorbeizuschauen, weilt der 21-Jährige in Estlands Hauptstadt Tallinn. Dort werden die besten Athleten Europas ausgezeichnet – Niklas Kaul ist nominiert als Aufsteiger des Jahres.

Herr Kaul, am Samstag wird in Düsseldorf der beste Nachwuchssportler des Landes geehrt. Sie selbst haben diesen Titel vor zwei Jahren gewonnen. Erinnern Sie sich noch daran?

Niklas Kaul: Auf jeden Fall. Dass Willi Holdorf sich bei der Preisvergabe als Zehnkampf-Olympiasieger von Tokio 1964 da hinstellt und eine Laudatio auf mich, den kleinen U20-Europameister hält, das war schon eine unglaubliche Ehre.

Klingt, als wären Sie aufgeregt gewesen.

Kaul: Oh ja, das war ich. Ich war eigentlich der Meinung: Ach, ich bin ja auch vor Interviews nicht aufgeregt, das wird schon alles easy sein, wenn ich dann auf die Bühne muss.

Es kam anders?

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Kaul: Und wie. Als ich auf die Bühne ging habe ich am ganzen Körper gezittert. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr daran, was Willi Holdorf Nettes gesagt hat. Auch wie ich die Fragen hinterher beantwortet habe, das war eine absolute Katastrophe. (lacht) Ich war einfach so voller Freude.

Hört sich fast so emotional wie die Siegerehrung in Doha an – als Sie die Goldmedaille als Weltmeister im Zehnkampf erhalten haben.

Kaul: (lacht) Ja, fast. Also ich bin wirklich kein emotionaler Mensch, aber in Doha… Puh.

Da waren Sie ein bisschen gerührt.

Kaul: Ein bisschen. Ein ganz kleines bisschen war ich gerührt, ja. (lacht) Ganz ehrlich: Die Siegerehrung hätte keine Sekunde länger dauern dürfen, ich hätte mich nicht mehr halten können.

Kein Grund, sich zu schämen.

Kaul: Nein, auf keinen Fall. Wenn man da nicht gerührt ist, wann denn bitte dann? In dem Moment habe ich zum ersten Mal begriffen, was passiert war. Dass ich tatsächlich Weltmeister geworden bin.

Anders als nach der Juniorsportler-Wahl haben Sie sich sehr gut im anschließenden Medienmarathon geschlagen. Welche Frage können Sie langsam nicht mehr hören?

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Kaul: Die wohl schwierigste Frage ist: Wie fühlt man sich als Weltmeister? Das ist ehrlich gesagt eine totale Scheißfrage. (lacht) Wie soll ich die beantworten? Mir geht es gerade gut, ich bin glücklich, habe keinen Hunger, keinen Durst. Im Ernst: Mir geht es eigentlich wie immer.

Na gut, dann fragen wir anders: Was hat sich verändert, seitdem Sie im zum ersten gesamtdeutschen Weltmeister im Zehnkampf geworden sind?

Kaul: Seitdem ich wieder zu Hause bin, hat sich eigentlich nicht viel geändert. Klar, der Medienrummel nach dem Titel war schon groß, aber das macht mir Spaß, das ist nichts, was mich belastet. Ich muss jetzt nur gucken, dass ich wieder zur Normalität zurückfinde, damit die Vorbereitung für die Olympiasaison nicht darunter leidet.

Gab es einen konkreten Moment, der Sie geerdet hat?

Kaul: Ich muss eigentlich nicht geerdet werden. Klar, von außen betrachtet stehe ich jetzt mehr im Fokus und ich werde auch mal auf den Titel angesprochen. Aber im normalen Umfeld ist alles wie immer: an der Uni, im Training. Ich bin ja auch kein anderer Mensch, nur weil ich zwei Wochen weg war und einen guten Zehnkampf gemacht habe.

Aber Sie genießen die Aufmerksamkeit?

Kaul: Ja, das macht mir alles Spaß. Der Empfang im Rathaus, bei dem ein Großteil meines Vereins dabei war, der war sehr schön. Natürlich war ich auch mit meinen Freunden raus zum Feiern. Es war großer Luxus für mich ein paar Tage nur das zu machen, worauf ich Lust hatte. Aber jetzt freue ich mich, wieder zu trainieren und in die Vorbereitung für die neue Saison zu starten.

Hatten Sie denn schon Zeit, alles einmal Revue passieren zu lassen?

Kaul: Ja, das schon. Ich bin mit meinen Eltern auch schon einmal den ganzen Wettkampf durchgegangen.

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Und was waren die Erkenntnisse?

Kaul: Dass es kein allzu schwerer Zehnkampf war. Dass der zweite Tag sehr, sehr gut war. Aber auch, dass ich mit dem ersten Tag nicht so zufrieden war. Ich bin nicht richtig in den Wettkampf reingekommen, die ersten Disziplinen liefen so an mir vorbei.

Sie hatten während der WM auch noch mit Magenproblemen zu kämpfen.

Kaul: Ja, das kannte ich aber schon. Im Trainingslager hatte ich das auch schon. Gerade wenn man Stress hat passiert das mal. Das war aber jetzt nichts Schlimmeres oder etwas, was mich irgendwie beeinträchtigt hätte.

Generell liegen Ihnen die Disziplinen am ersten Tag nicht so gut wie die technischen am zweiten Tag. Dort zogen Sie durch Ihre Punkte im Diskus, Stabhochsprung, Speer und 1500 Metern davon. Wie wollen Sie in den Disziplinen wie Sprint und Weitsprung – wo es auch viel auf Talent ankommt – besser werden?

Kaul: Talent kann man nicht lernen, das ist richtig. Aber es geht in den Disziplinen bei mir auch eher um Schadensbegrenzung. (lacht) Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber die 100 Meter werden nie die Disziplin werden, in der ich einen Vorsprung raushole, sondern da muss ich schauen, dass mir die anderen nicht zu weit wegziehen. Es ist nicht so leicht, das zu trainieren, auch weil es mir naturgemäß weniger Spaß macht als der Speerwurf, der mir deutlich besser liegt.

So ein Titelgewinn kann ja aber auch gerade für unliebsames Training ein Ansporn sein…

Kaul: Auf jeden Fall. Das ist auch der Plan: Die Motivation aus einer so guten Saison mitzunehmen. Gerade jetzt im Winter, wo viel Sprint trainiert wird, was ich eigentlich gar nicht gerne mache…

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Sie sind mit 21 Jahren jüngster Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte geworden. Dennoch gibt es Stimmen, die sagen: Andere – wie zum Beispiel Frank Busemann – haben in dem Alter noch mehr Punkte gemacht. Was erwidern Sie denen?

Kaul: Ja, das ist richtig, andere hatten in meinem Alter schon mehr Punkte. Aber die Nummer 17 der ewigen Bestenliste zu sein ist mit 21 Jahren jetzt auch nicht ganz so schlecht. (lacht) Für mich geht es jetzt um die Frage: Wie schaffe ich es, in dem Punktebereich stabil zu werden? Im Training setzen wir zum Beispiel mehr auf Stabilitäts- als auf extremes Krafttraining.

Ist das ein Grund, warum Sie kaum verletzungsanfällig sind?

Kaul: Das kann sein, ich weiß es aber natürlich nicht. Ich scheine grundsätzlich ein gutes Abwehrsystem zu haben – ich bin auch meist nicht mehr als ein paar Tage im Jahr krank. Generell will ich aber nicht überdrehen und hoffe durch die Kontinuität auch noch ein paar Punkte drauflegen zu können. Mir ist es wichtig, meinem eigenen Weg treu zu bleiben.

Wie sieht Ihr Weg aus?

Kaul: Mir ist klar, dass die Erwartungen steigen werden. Aber ich versuche, keinen Gedanken daran zu verschwenden. Ich will mich weiter auf mich konzentrieren. Meine Erwartung an mich ist es, weiter Spaß zu haben und zufrieden zu sein. Natürlich will ich auch weitere Topplatzierungen erzielen. Aber im Sport gibt es keine Garantien. Ich kann sagen, dass ich da noch Potenzial sehe, aber es kann immer etwas dazwischenkommen. Da reicht ein schlechter Tag. Und der wird kommen. Natürlich würde es mir nicht fehlen, wenn er nicht käme, aber ich muss trotzdem darauf vorbereitet sein.

Sie wirken für Ihre 21 Jahre unheimlich reif und reflektiert. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie Weltmeister werden zu können?

Kaul: Als ich gesehen habe, dass Kevin Mayer als Titelverteidiger und Weltrekordhalter verletzt aufgeben musste, habe ich schon registriert, dass da eine Chance ist. Aber man darf dann nicht den Fehler machen und denken: Jetzt hole ich mir die Medaille. Man muss auf sich konzentriert bleiben, darf nicht anfangen zu rechnen, dann versemmelt man nämlich den nächsten Sprung oder Wurf.

Woher haben Sie diese Klarheit?

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Kaul: Auch wenn ich erst 21 Jahre alt bin, habe ich schon viel Wettkampferfahrung. Im Jugendbereich habe ich schon ähnliche Situationen erlebt. Auch wenn das Drumherum in Doha natürlich größer war, hilft einem das mental, wenn man weiß, wie es sich in so einem Moment anfühlt.

Werden Sie eigentlich noch oft auf Ihren Titel als Juniorsportler angesprochen?

Kaul: Zugegeben, seit dem WM-Sieg nicht mehr ganz so häufig wie früher. (lacht)