Doha. Nie war ein Weltmeister im Zehnkampf jünger als der Mainzer Niklas Kaul. Der Goldgewinner von Katar bleibt trotz des großen Erfolgs bodenständig.

Langsam kletterte die Sonne über die hohen Türme von Dohas Stadtzentrum. Der Morgen graute, und Niklas Kaul lag im Pool seines Hotels. Er genoss den Moment. Er wusste: Er ist nun ein Anderer als noch am Morgen zuvor. Er ist jetzt der König der Athleten.

Niklas Kaul ist in der Nacht zu Freitag Unglaubliches gelungen. Am Tag der deutschen Einheit ist der 21 Jahre alte Mainzer bei der Leichtathletik-WM erster gesamtdeutscher Weltmeister im Zehnkampf geworden. Nur ein einziger Deutscher hatte es vor ihm geschafft, den Titel zu holen: 1987 gewann Torsten Voss aus Schwerin Gold – damals noch für die DDR. Kaul, der mit einer persönlichen Bestleistung von 8691 Punkten gewann, ist zudem der jüngste Zehnkämpfer, der jemals Weltmeister geworden ist.

Er will nichts verändern

Freitagmittag saß Niklas Kaul dann recht frisch („Wir haben nur ein Bier getrunken“) bei der Pressekonferenz. Er brauche noch „ein, zwei Tage, um zu verstehen“, dass er jetzt Weltmeister sei. Mit einer Medaille hatte er geliebäugelt, mit Gold jedoch nie gerechnet. Es mache ihm aber Spaß, „einen Teil der großen deutschen Zehnkampf-Geschichte weiterzuschreiben“. Er steht nun in einer Reihe mit Legenden wie Jürgen Hingsen, Willi Holdorf, Christian Schenk, Frank Busemann.

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Doch trotz der neuen Popularität sei er sich ganz sicher, dass sich nicht vieles ändern werde. Er wolle weiter seinen Alltag bestreiten, mit Training und Studium in Mainz, umgeben von seinen Eltern, die ihn auch trainieren, und seiner Freundin. „Ich sehe keinen Grund, das zu ändern. Es hat ja alles sehr gut funktioniert.“

Niklas Kaul weiß, was er will. Er formuliert seine Sätze mit einer unglaublichen Ruhe und Klarheit. Man kann ihn sich gut als Lehrer vorstellen – aber auch als Vorbild, als Gesicht der deutschen Leichtathletik. Er ist ganz bei sich. Nicht verkrampft oder aufgesetzt, ganz er selbst.

„Niklas ist sehr bodenständig, überhaupt nicht abgehoben, das schätze ich sehr an ihm“, sagt Kai Kazmirek, der WM-Dritte von 2017, der in Doha bei den Hürden patzte, den Zehnkampf aber dennoch bis zum Ende durchzog. Sorgen, dass dem 21-Jährigen der Erfolg zu Kopf steigen könnte, scheint man sich also nicht machen zu müssen.

Niklas Kaul liebt den Zehnkampf. Die deutsche Hymne zu hören, das sei für ihn die Erfüllung eines Kindheitstraums. „Alles was jetzt kommt, ist Bonus.“ Immer wieder betont er, dass der Spaß für ihn das Wichtigste sei. Für ihn, der als U23-Europameister zu seiner ersten WM bei den Erwachsenen kam und diese nun als Weltmeister verlässt, gehe es nicht um Aufmerksamkeit, sondern nur um den Sport.

Nach einer unglaublichen Energieleistung hatte Niklas Kaul sich in Doha nach Platz elf am ersten Tag bis ganz nach vorne gearbeitet, er schob sich noch vor den Zweitplatzierten Maicel Uibo (8604) aus Estland und den Kanadier Damian Warner (8529), der Bronze gewann. Ausschlaggebend war ein großes Drama: Topfavorit, Titelverteidiger und Weltrekordhalter Kevin Mayer musste vor dem Stabhochsprung verletzt aufgeben.

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Kaul witterte seine Chance. Nachdem er schon den Diskus so weit geworfen hatte wie nie zuvor, sprang er auch mit dem Stab so hoch wie noch nie. Den Speer feuerte er sogar so weit, wie es noch kein Athlet innerhalb eines Zehnkampfes getan hatte. Vor den 1500 Metern wusste er: „Diese Chance bekommst du vielleicht nur einmal im Leben. Deshalb musst du sie genau jetzt nutzen, egal, ob sie dich hinterher aus dem Stadion tragen.“ Er lief und lief und lief. Und es reichte. Das Glück löste langsam den Schmerz ab.

Von anderen Athleten lernen

Der frühere Weltrekordhalter Ashton Eaton, bei dessen Training Niklas Kaul Anfang 2016 in den USA dabei sein durfte und der in Doha zuschaute, erklärte: „Er hat die richtige Einstellung, sein Auftritt war fantastisch. Er kann eine Ära prägen.“ Niklas Kaul nutzte die Gelegenheit der Begegnung prompt für ein gemeinsames Foto.

Denn auch so ist Niklas Kaul. Er mag den Austausch, will von anderen lernen. Von Ashton Eaton, sagt er, habe er vor allem gelernt, „dass man mit Lockerheit am Ende auch die bestmögliche Leistung herausholen kann“. Auch als Niklas Kaul 2018 in Andalusien beim Club der Besten der Deutschen Sporthilfe als frisch gekürter Juniorsportler des Jahres dabei sein durfte, saugte er bei dieser Belohnungsreise für Medaillengewinner alles auf, was er von den anderen Athleten erfahren konnte. Dort hatte er einen Satz gesagt, der seine tiefe Überzeugung spiegelte: „Der Sport schafft Erlebnisse, die man für Geld nicht kaufen kann.“ Er hatte natürlich schon damals Erfolgsmomente gemeint, die er bereits genoss. Aber er konnte noch nicht ahnen, dass schon ein Jahr später ein Erlebnis folgen würde, das alle anderen bei weitem übertrifft.