London. Bis Donnerstag werden Trophäen und Erinnerungsstücke aus dem Leben von Boris Becker versteigert. Wir waren zu Gast beim Insolvenzverwalter.

Boris Becker fühlt sich wohl in seinem Wohnzimmer, das ist auch dieser Tage nicht zu übersehen. Am „Manic Monday“, dem verrückten Tag, an dem bei den All England Championships in Wimbledon alle 16 Achtelfinalpaarungen der Damen und Herren ausgetragen werden, sah man den 51-Jährigen wieder über die Anlage an der Church Road im Londoner Südwesten flanieren. Das einstige Tennis-Ass kommentiert in Wimbledon auch in diesem Jahr für das BBC-Fernsehen. Gleichzeitig werden einige von seinen Trophäen meistbietend zwangsversteigert

Becker trug Sonnenbrille und seinen marineblauen Lieblingsanzug, der so wunderbar mit seinem weißblonden Haar kontrastiert. Der Gang war flüssiger als zu Zeiten, in denen ihn die chronischen Hüft- und Sprunggelenksprobleme schlimmer humpeln ließen als einen ungeübten Wanderer nach einer Alpenquerung.

Schmerzen bereiten dem Mann, der sich 1985 als 17-Jähriger mit seinem ersten Wimbledon-Titel in die Herzen der Deutschen hechtete, derzeit andere Dinge. Während Becker als Kommentator für den britischen TV-Sender BBC den Wettstreit der aktuellen Tennisstars begleitet, wird in einer Aufsehen erregenden Auktion nichts weniger versteigert als: Beckers Leben. Im Zuge des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des sechsmaligen Grand-Slam-Champions bietet das Auktionshaus Wyles Hardy 82 Erinnerungsstücke aus Beckers Karriere zum Verkauf an.

Auktion schließt am Donnerstag

Mark Ford ist einer von drei Insolvenzverwaltern. Am Montag hat er diese Zeitung zu einem Termin in den Hauptsitz des Finanzdienstleisters Smith & Williamson ins Bankenviertel in der Londoner City geladen. Drei Tage sind es noch, bis die Auktion am Donnerstag schließt, und weil es Fords wichtigste Aufgabe ist, die Gläubiger mit der höchstmöglichen Summe zu entschädigen, ist ihm daran gelegen, die Aufmerksamkeit für die Versteigerung zu erhöhen. Auf einem mit feinem weißen Stoff überzogenen Tisch hat er einige der Trophäen drapiert.

Eine Nachbildung des Daviscups, den Becker 1988 an der Seite von Carl-Uwe Steeb, Patrik Kühnen und Eric Jelen durch ein 4:1 gegen Schweden gewann, steht dort; ebenso eine Kopie der Trophäe, die er 1989 für seinen einzigen US-Open-Triumph erhielt. Aber auch die Goldene Kamera oder das Bambi, das ihm 1985 als „Mann des Jahres“ verliehen wurde. Es sind Memorabilien, deren An-blick bei jedem Tennisfan Gänsehaut verursacht, und die einen emotionalen Wert haben, der den finanziellen um ein Vielfaches übersteigt. Ford weiß das, er ist selber Tennisfan. „Natürlich ist das hart für Herrn Becker, dass seine Erinnerungsstücke versteigert werden. Aber ich muss meinen Job machen und an die Gläubiger denken“, sagt er. Deshalb habe man aus dem Bestand all die Stücke ausgewählt, denen ein finanzieller Wert zugeschrieben werden kann. Becker selbst, der darauf pocht, dass einige Trophäen nicht mehr auffindbar seien, hatte kein Mitspracherecht bei der Auswahl.

Diadora-Schuhe würden 775 Pfund kosten

Ersteigert werden können die verschiedenen Teile ausschließlich online, was bedeutet, dass niemand zu einem bestimmten Termin anwesend sein und seine Hand zum Gebot heben muss, sondern die ganze Welt mitbieten kann. Zu jedem einzelnen Objekt gibt es auf der Internetseite wyleshardy.com eine Produktbeschreibung, das aktuell höchste Gebot wird ebenfalls angezeigt. So war am Montagmittag ein gläserner Pokal, den Becker 1994 als Finalverlierer bei den offenen australischen Hallenmeisterschaften erhielt, für 125 britische Pfund (knapp 140 Euro) zu haben. Getragene, von Becker signierte Diadora-Schuhe würden den Interessenten 775 Pfund kosten. Die US-Open-Trophäe, 35 Zentimeter hoch und aus Sterling-Silber gefertigt, wäre einem Bieter 15.750 Pfund wert.

Bis zur Deadline am Donnerstag können Interessierte immer wieder neu bieten, um aktuelle Gebote zu übertreffen, aber auch ein Maximalgebot festschreiben. An diesem Dienstag gibt es am Firmensitz von Wyles Hardy in Bovingdon, rund 40 Kilometer nordöstlich der Londoner Innenstadt auf einem Hinterhof in einem Industriegebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Reifenhändler und einem Großhandel für Baustoffe gelegen, einen Besichtigungstermin für potenzielle Käufer. Es ist die einzige Möglichkeit, die Erinnerungsstücke in Augenschein zu nehmen. „Die Trophäen liegen an einem sicheren Ort und sind komplett versichert“, sagt Auktionsleiter Terry Madden, ein untersetzter Mann mit verschmitztem Gesicht, der die ungewöhnliche Auktion mit einer Mischung aus Respekt und Vergnügen begleitet.

Größte Aufmerksamkeit gibt es in den USA

„Tatsächlich ist es für uns eine sehr unübliche Auktion. Es ist ja beileibe nicht alltäglich, dass ein Weltstar wie Boris Becker unter den Hammer kommt und normale Menschen die Chance haben, solche außergewöhnlichen Erinnerungsstücke zu ersteigern“, sagt Mark Ford. Bislang haben sich Interessenten aus mehr als 30 verschiedenen Ländern registriert. Die größte Aufmerksamkeit für die Auktion gibt es in den USA, wo die solventesten Trophäensammler leben, und natürlich in Großbritannien und Deutschland, der Wahl- und der Geburtsheimat Beckers.

Der Leimener, der seit Jahren seinen Hauptwohnsitz in London hat, will sich zu den Umständen des Insolvenzverfahrens nicht äußern. Er spricht nur über Tennis, und das am liebsten mit britischen Kollegen. Wie sehr ihn die Versteigerung wurmt, hatte er im vergangenen Jahr erklärt, nachdem er per Gerichtsbeschluss die damals bereits anberaumte Auktion hatte stoppen lassen. „Es geht nur darum, mir persönlich zu schaden, weil ich natürlich emotional an den Trophäen hänge. Wenn man den reinen Verkaufswert dieser Gegenstände aufrechnet, ist das ein Klacks dagegen“, sagte er.

Mark Ford versteht den Unmut, sagt aber: „Wir rechnen damit, dass wir mit der Auktion mindestens 250.000 Pfund erlösen.“ Erst am Montagmorgen habe er Becker eine E-Mail geschrieben, um ihn zu ermuntern, Freunde oder Geschäftspartner zur Teilnahme an der Auktion zu bewegen. Persönlich mitbieten darf der dreimalige Wimbledon-Champion natürlich nicht. In den vergangenen Monaten, sagt Ford, habe er mehrere Versuche unternommen, Teile des Erinnerungsschatzes an Becker Nahestehende zu veräußern, mit sehr mäßigem Erfolg allerdings. „Ich würde mich sehr freuen, wenn es einige Freunde gäbe, die Trophäen ersteigern und sie Herrn Becker zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen ist, zurückgeben würden“, sagt er.

Boris Becker hatte Schulden in Höhe von 61,5 Millionen Euro

Wann das sein wird, sei aktuell schwer abzusehen. In der Regel werden Privatinsolvenzen in Großbritannien innerhalb von zwölf Monaten abgewickelt. „Sie können aber auf unbestimmte Zeit verlängert werden, wenn der Schuldner nicht vollständig kooperiert oder das Verfahren anderweitig behindert“, sagt Ford. Auf Nachfrage, ob das im Fall Becker so sei, sagt er nur: „Das Verfahren läuft weiter.“

Tatsächlich ist das juristische Hin und Her so voller überraschender Volten, wie es Beckers Tennisspiel war. Nachdem ein Londoner Konkursgericht ihn im Juni 2017 wegen unbeglichener Schulden in Höhe von 61,5 Millionen Euro für zahlungsunfähig erklärt hatte, war ein skurriler Streit um das Verfahren ausgebrochen. Dieser gipfelte in der Posse um einen Diplomatenpass, den die Zentralafrikanische Republik dem früheren Weltranglistenersten hätte ausstellen sollen, was ihm diplomatische Immunität gewährleistet hätte. Erst im Dezember 2018 kündigten Beckers Rechtsbeistände an, er werde nicht länger einen Diplomatenstatus geltend machen, was den Weg für die Zwangsversteigerung frei machte.

Warum diese erst jetzt stattfindet, kann Mark Ford einleuchtend erklären. „Wir wollten die Rasentennissaison abwarten, weil wir dadurch das größtmögliche Interesse auf die Auktion lenken können“, sagt er. Einen weiteren Vermögenswert in Höhe von rund einer Million Pfund hofft er in Kürze kapitalisieren zu können, „und dann ist es möglich, dass das Verfahren innerhalb der nächsten sechs Monate abgeschlossen werden kann.“

Dann könnte Becker, der in seiner Karriere inklusive Werbeeinnahmen zwischen 100 und 150 Millionen Euro verdient haben dürfte, sich wieder vollumfänglich auf das konzentrieren, was er noch immer am besten beherrscht: Tennis. Als Head of Men’s Tennis ist er beim deutschen Verband engagiert, als Experte für die BBC und Eurosport eingespannt, auch ein neuer Trainerjob – bis Ende 2016 coachte er den Serben Novak Djokovic – ist irgendwann denkbar. Nur Trophäen wird er nicht mehr gewinnen. Boris Becker wird sich, wenn von Donnerstag an sein sportliches Leben in Paketen verschickt wird, mit den Erinnerungen in seinem Kopf begnügen müssen.