Baku. Der große Vergleich vor dem Großen Preis von Aserbaidschan: Warum läuft es so gut bei Mercedes, warum tut sich Ferrari so schwer?

Es gibt einen guten Brauch in der Mercedes-Rennfabrik zu Brackley: Kaum beginnt die neue Saison, wird alles von den Wänden geholt, was an die Triumphe des vergangenen Jahres erinnert. So haben sie es auch vor dieser Formel-1-Saison gemacht. Nach drei Siegen in den ersten drei Rennen füllt sich der Trophäenschrank schon wieder, bei Ferrari ging die Reinigungsaktion schneller, da war nicht viel Positives übrig. Wird am Sonntag in Aserbaidschan (14.10 Uhr/RTL/Sky) nicht gewonnen, drohen ernsthafte atmosphärische Störungen. Doch warum glänzt Silber, warum stottert Rot? Ein Vergleich.

Die Chefs

Toto Wolff hat die Konzernmentalität erfolgreich durch seine Start-Up-Philosophien ersetzt. Mercedes ist weit lässiger, als sich Ferrari gibt, aber auch weit konzentrierter. Wolff gibt den verständnisvollen Charmeur nur so lange, wie das angepeilte Ziel erreichbar ist. Geht etwas schief, schaltet er sofort in den Arbeitsmodus um. Ferraris Mattia Binotto versucht momentan, die Misserfolge wegzulächeln. Auch er steht für einen modernen Führungsstil, aber bei aller zur Schau gestellten Entspannung ist dem Techniker der Druck anzumerken. Er versucht, dem ganzen Team eine analytischere Vorgehensweise zu verpassen. Nun aber muss er nach dem innerhalb von ein paar Wochen erfolgten Stimmungswechsel unter Druck beweisen, wie effektiv und erfolgreich seine Arbeitsweise tatsächlich ist.

Die Fahrer

Mercedes hat offiziell keine Nummer Eins, bei Ferrari hat man sich zunächst auf Sebastian Vettel festgelegt. Während der Auftaktsieg von Valterri Bottas sogar beim Rivalen Lewis Hamilton Freude hervorrufen konnte, ist Charles Leclercs überraschende Form ein Angriff auf den Status des Heppenheimers. Auf wen soll man setzen? Das scheint vor allem beim Vierfachchampion Vettel für Unruhe zu sorgen. Er kommt mit dem Auto noch nicht richtig klar, und er sieht das Vertrauen des Teams schwinden. Toto Wolff, der solche Situationen seit dem Rosenkrieg zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg kennt, ahnt: „Ferrari öffnet eine Dose mit Würmern...“

Das Selbstvertrauen

Mercedes agiert aus einer über die Hybrid-Ära hinweg entwickelten Dominanz. Daraus entsteht Souveränität, wenn es – wie bei den Wintertestfahrten – mal nicht läuft. Im Bewusstsein, nicht mehr das stärkste Auto zu haben, konzentriert sich das Team darauf, sofort bereit zu sein, wenn der Gegner schwächelt. Ferrari ist durch den Machtwechsel von Maurizio Arrivabene zu Mattia Binotto zunächst mit neuer Euphorie gestartet, aber noch nicht gefestigt, neue Strukturen müssen erst greifen.

Die Firmen

Mercedes reitet seit drei Jahrzehnten erfolgreich seine Sportoffensive, die Vorstandschefs waren immer echte Renn-Fans. Wenn der scheidende Vorsitzende Dieter Zetsche, der in Shanghai den Sieg Hamiltons wie ein persönliches Abschiedsgeschenk empfunden hat, den Stab übergibt, wird die Rückendeckung nicht schwächer: Der neue Daimler-Boss Ola Källenius war in Zeiten der Partnerschaft mit McLaren für die Motoren verantwortlich, später wurde er Chef der Tuningsparte AMG. Ferrari hat mit dem Schweizer Louis Camilleri einen neuen Machthaber, der vom Hauptsponsor des Teams kommt und sehr Formel-1-affin ist. Darüber thront Fiat-Erbe John Elkann. Beide wissen, wie prestigeträchtig die Formel 1 ist.

Die Technik

Die Mercedes-Erfolge sind Siege der Zuverlässigkeit. Ferrari soll angeblich 40 PS mehr Power haben, aber der SF90 ist nicht richtig in Balance, zickt bei der Reifennutzung. Durch die aktuelle Lage sind die italienischen Techniker in einer Zwickmühle: Sie müssen noch mehr aus dem Auto herausholen, obwohl der Wagen vielleicht schon am Limit ist. Mercedes vertraut stoisch auf die Physik, experimentiert aber mit der Aerodynamik. Dass der Silberpfeil, auch wenn er angeblich unterlegen ist, immer noch zum Siegerpfeil taugt, ist für Technikchef James Allison eine „große Erleichterung“.