Berlin/München. An den deutschen Spielorten der Weltmeisterschaft herrscht grandiose Stimmung. Die Nationalspieler reden von Gänsehaut.

Der ältere Herr in der neunten Reihe ist schlau. Das schwarz-rot-goldene Fähnchen glänzt auf der Wange, das grüne Brasilien-T-Shirt spannt sich über die Brust. Aus dem Fan der Südamerikaner wird am Dienstagabend noch ein Deutschland-Anhänger. Natürlich, das Handball-Herz, es schlägt für Schwarz-rot-gold. Doch der Handball-Fan ist flexibel. Das wird in diesen WM-Tagen in der Mercedes-Benz Arena immer wieder deutlich.

Als die Brasilianer am Dienstagmittag gegen die Russen antreten, sind die Sympathien klar verteilt. Das Berliner Publikum schreit Brasilien zum Sieg (25:23), gönnt dem Team in der Fremde ein wenig Heimspiel-Atmosphäre. Nicht zum ersten Mal bei dieser WM. Berlin feiert Brasilien. Berlin feiert Korea. Berlin feiert Handball. „Das ist eine unfassbare Stimmung und eine riesen Handball-Party“, sagt DHB-Vizepräsident Bob Hanning. „Es macht unglaublich Freude, dabei zu sein.“

Olympiahalle zweimal ausverkauft

Auch in München – wo ohne deutsche Beteiligung gespielt wird – herrscht große Handball-Euphorie. Bereits zweimal war die Olympiahalle mit 12.000 Zuschauern ausverkauft. Dank einer ganzen kroatischen Fan-Kolonie, die die Erfolge ihrer Mannschaft lautstark feiert. Doch auch die Spanier und Dagur Sigurdssons Japaner tragen dazu bei, dass in der sonst eher handballfreien Stadt WM-Stimmung aufkommt.

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Von Björn Goldmann, Alexandra Gross und Inga Böddeling

Und auch in Berlin ist die Begeisterung abseits der Partien des deutschen Teams immer großartig. Nicht ein Spiel wurde von weniger als 10.000 Zuschauern verfolgt. Hier tummeln sich nicht nur Deutschland-Fans. Es sind die Handball-Begeisterten, die sich natürlich auch über einen Sieg der deutschen Mannschaft freuen. Aber genauso gern Serbien, Korea und Co. verfolgen.

Publikum stimmt Korea-Sprechchöre an

„Wir wollen alles aufsaugen“, sagen drei Fans aus Hildesheim. „Das sind ja auch keine unwichtigen Spiele.“ Es sind die Partien der deutschen Gruppengegner. Deshalb wird Brasilien angefeuert, weil es für das Weiterkommen in die Hauptrunde wichtig ist. Deshalb wird auch Korea angefeuert, wie am Montagabend gegen Frankreich. Als es dort nach 25 Minuten immer noch unentschieden steht (12:12), stimmt das Publikum gar Korea-Sprechchöre an. Die Spieler lassen sich nach Ablauf der ersten Halbzeit feiern, als würden sie das Feld schon als Weltmeister verlassen.

„Korea hat sich das echt verdient. Das ist eine fantastische Stimmung“, sagen Axel, Steffi und Thomas. Die drei gehören zu einer Gruppe Fans, die mit der Nationalmannschaft durch das Turnier reisen. Sie waren schon bei vielen Welt- und Europameisterschaften dabei, aber so etwas wie in Berlin haben sie selten erlebt. Denn normalerweise sind die Ränge bei Spielen, an denen nicht der Gastgeber beteiligt ist, leerer. „Wir wollten eigentlich in der Halbzeit gehen“, sagen sie. Aber diese lautstarke Unterstützung für die Koreaner hat sie vom Bleiben überzeugt.

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Fans bei Gala-Auftritt gegen Brasilien voll da

„Das war der stimmungsvollste Gänsehautmoment, den wir bisher bei dieser WM erlebt haben“, sagt auch Hallensprecher Kevin Gerwin. Doch der Enthusiasmus war nicht von Beginn an so riesig. Es schien, als mussten die Fans in Berlin erstmal warm werden – mit ihrem Team und diesem Turnier der Weltbesten. Beim Eröffnungsspiel gegen Korea schwiegen die Ränge teilweise, bei der Gala-Vorstellung gegen Brasilien waren sie plötzlich alle da und auch das Unentschieden gegen Russland war kein Grund, um die Euphorie einzustellen. Die deutschen Nationalspieler waren begeistert. Sie redeten von Gänsehaut, von Tränen in den Augen.

Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich diese Stimmung am kommenden Wochenende weiter nach Köln trägt. Wo sich die Fans daran erinnern könnten, wie das damals im Januar 2007 war. Als 19.000 Kehlen das deutsche Team um Bundestrainer Heiner Brand zum WM-Titel brüllten. Und ob nun Berlin oder Köln – dass die deutschen Handball-Fans flexibel sind, haben sie ja schon bewiesen.