Valencia. Ronaldo weint, seine Familie zürnt. Wegen des Platzverweises gegen den Fußball-Profi in der Champions League bebt ein Teil der Fußballwelt

Mit den Torrichtern ist es schon immer so eine Sache. In den Kommentatorenkabinen, an den Stammtischen, aber auch auf den Trainerbänken des Kontinents fragen sich alle seit Jahr und Tag ihrer Einführung 2012: Was machen die? „Diese Typen am Pfosten“ (Rudi Völler), ja „Pappnasen“ (Horst Heldt) stehen einen Meter daneben, so der klassische Vorwurf – und sehen doch nichts.

Insofern lagen die Dinge nun in Valencia etwas anders. Denn der deutsche Torrichter Marco Fritz hatte etwas gesehen. Das Problem indes: da war nichts.

Brych folgte beim Ronaldo-Rot dem Torrichter

Oder jedenfalls nichts, was einen Platzverweis gerechtfertigt hätte. Weil er bei seinem Vorgesetzten Felix Brych einen solchen aber ausgerechnet dem Weltfußballer Cristiano Ronaldo anhängte, wird Fritz jetzt wohl für alle Zeiten der berühmteste Torrichter der Fußballgeschichte bleiben: die Funktion dürfte ja abgeschafft werden, wenn dann auch die Uefa ab nächster Saison den Videobeweis einführt. Fürs erste musste sich der Schwabe wohl glücklich schätzen, dass Ronaldos’ Juventus Turin trotz Unterzahl einen 2:0-Sieg herausspielte und seine offenbar auf mehrmalige Nachfrage Brychs immer wieder betonte Handlungsempfehlung („Ja, Rot!“) insofern folgenlos blieb.

Tränen beim Weltfußballer Ronaldo

Auf Ronaldo selbst hingegen hatte sie eine Schockwirkung, wie man das selten gesehen hat. Tränen übermannten ihn, „ich habe nichts getan“, stammelte er beim Verlassen des Rasens in Valencia. Erster Champions-League-Auftritt für Turin nach dem Wechsel von Real Madrid, eine schwierige Partie, eine komplizierte Gruppe, der Wettbewerb, für den er besonders lebt und sogar seinen Schlaf stückelt, weil das leistungsfördernder sein soll. Rückkehr nach Spanien, bei allen Nachrichten von dort, ohne ihn laufe es in Madrid viel besser. Der Drang sich zu beweisen – und dann das?

Tätlichkeit oder Streicheleinheit von Ronaldo?

Die vermeintliche Tätlichkeit war ein herzhafter Streichler über den Kopf seines Gegenspielers Jeison Murillo. Man braucht auch beim 20. Zeitlupenstadium viel Phantasie, um daraus ein rotwürdiges „Haarziehen“ zu konstruieren, von dem nun in manchen Berichten die Rede ist. Die Geste war nicht halb so aggressiv wie etwa der Check mit dem Valencias Kapitän Dani Parejo den Portugiesen kurz zuvor am Lauf in den Strafraum gehindert hatte. Da hatte es Brych bei einer Ermahnung belassen. Nun hängt viel davon ab, was er zu Ronaldo in seinen Spielbericht schrieb. Die Uefa-Disziplinarkommission wird den Fall frühestens nächste Woche verhandeln – geht sie die Tätlichkeitstheorie mit, könnte Ronaldo drei Partien gesperrt werden und würde so das Wiedersehen mit seinem Ex-Klub Manchester United verpassen. Für die nächste Partie in zwei Wochen gegen Bern ist er sowieso außen vor.

Zwischen Schadenfreude und Verschwörungstheorien

Wer Ronaldo nicht leiden kann, darf sich also für ein paar Wochen an der eigenen Schadenfreude delektieren. Auf der anderen Seite wiederum florieren die Verschwörungstheorien. „Schande im Fußball, sie wollen meinen Bruder zerstören“, kommentierte Ronaldos Schwester Katia den Platzverweis, derweil böse Zungen auf die veränderten Zeiten seit Ronaldos Abgang aus Madrid hinweisen. Tatsächlich hat er sich schnell entgalaktisiert. Die Uefa-Experten verweigerten ihm trotz 15 Champions-League-Toren den Preis als bester Fußballer der vergangenen Saison, spanische Medien nehmen Feuer frei auf seine Freundin – angeblich undankbar gegenüber der Familie – und jetzt mischt plötzlich auch noch ein Torrichter mit. Wobei ein solcher übrigens auch im Viertelfinale der Vorsaison den Schiedsrichter Michael Oliver bei einem sehr umstrittenen Elfmeterpfiff in letzter Minute bestärkte. Für Real Madrid. Gegen Juventus Turin. Cristiano Ronaldo verwandelte den Strafstoß eiskalt.