Essen. Springreit-Bundestrainer Otto Becker nimmt im Skandal um Alkoholexzesse und sexuellen Missbrauch Stellung. Er plädiert für stärkere Kontrollen.

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung zieht weitere Konsequenzen aus dem Skandal, der sich zu einer ernsthaften Krise für den Reitsport entwickelt hat. Bei den Jugend-Meisterschaften, die am Wochenende in München stattfinden, werden erstmals Alkoholkontrollen durchgeführt. Das bestätigte Geschäftsführer Dennis Peiler: „Es wird stichprobenartig Tests geben.“ Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte von Alkohol-Exzessen von jungen Reitern und dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs berichtet. Seitdem ist der Verband um eine angemessene Reaktion bemüht. Otto Becker (59), Bundestrainer der Springreiter, befürwortet Konsequenzen. Und erklärt, warum die Situation auch kompliziert ist.

Herr Becker, wie geht der Verband Ihrer Meinung nach mit der Krisensituation um?

Otto Becker: Meiner Ansicht nach hat der Verband mit seiner Stellungnahme sehr gut reagiert und das Wesentliche auf den Punkt gebracht. Er hat ja auch schon viele Maßnahmen eingeleitet und weitere angekündigt. Dass Alkoholmissbrauch und sexualisierte Gewalt in keiner Weise zu tolerieren sind, ist auch deckungsgleich mit meiner Meinung.

War Ihnen bekannt, dass es Probleme mit dem Verhalten einiger junger Reiter gibt?

Becker: Dass es aktuell eine Gruppe gibt, die in Sachen Alkohol übertrieben hat, das war uns schon länger präsent. Deshalb hat es ja auch bereits Maßnahmen gegeben – zum Beispiel in Zusammenarbeit mit externen Fachleuten. Dabei wurden gemeinsam mit den Jungreitern Regeln zum Umgang mit Alkohol ausgearbeitet. Dass es nun aber auch um sexualisierte Gewalt gegen Frauen geht, das ist eine neue Dimension. Aber der Verband hat ja angekündigt, auch da, wo die Sachlage eindeutig ist, zu reagieren – und hat das ja auch schon getan.

Ist der Reitsport, deren Gemeinde als elitär und wohlhabend gilt, besonders anfällig für solche Fälle?

Becker: Das weiß ich nicht. Ich denke nicht, dass es etwas mit Geld zu tun hat. Zumal die große Mehrheit derer, die im Reitsport aktiv sind, für ihren Sport schon einiges zusammensparen muss. Tatsache ist, dass der Alltag von jungen Reitern aus Sport und Schule besteht. Die Arbeit mit einem Pferd ist eben etwas anderes. Man trägt die Verantwortung für ein Tier und muss dessen Wohlergehen quasi rund um die Uhr sicherstellen. Also findet die Freizeit bei den Turnieren am Wochenende statt. Während andere ausgehen, um zu feiern, machen die jungen Reiter das am Rande der Turniere.

Aber wie kommen sie da an offenbar sehr große Mengen Alkohol?

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Becker: Das sind ja öffentliche Turniere, auf denen Alkohol ausgeschenkt wird. Aber offenbar wird auch Alkohol selbst mitgebracht. Da haben dann die Eltern die Aufsichtspflicht, und wenn sie den Alkoholkonsum tolerieren, ist der Verband ein Stück weit machtlos. Manche glauben, man wolle sich in die Erziehung einmischen. Da ist der Einfluss dann begrenzt.

Wird so ein Verhalten der jungen Reiter auch dadurch begünstigt, dass sie nach einem erfolgreichen Turnier abends einen Höhenflug erleben und beim Feiern über die Stränge schlagen?

Becker: Ich denke, das lässt sich nicht verallgemeinern. Höhenflüge gibt es bei dem einen oder anderen sicherlich – wie in jedem anderen Sport. Aber im Reitsport muss man sich Tag für Tag neu beweisen. Bei der täglichen Arbeit mit den Pferden oder beim nächsten Turnier. Das erdet sehr schnell und holt einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Wie würden Sie als Cheftrainer der Senioren-Nationalmannschaft damit umgehen, wenn in ein paar Jahren einer dieser Reiter von der Leistung her in ihren A-Kader strebt, der jetzt unter Verdacht steht, im Alkoholrausch derartig auffällig geworden zu sein?

Becker: Ich finde, es ist wie im normalen Leben: Jeder hat eine zweite Chance verdient – sofern er die richtigen Schlüsse aus seinem Fehlverhalten zieht und sich an die Regeln hält. Einen solchen Fall können wir aber erst dann bewerten, wenn es soweit ist.

Sind Sie froh, dass Sie es bei Ihrer Arbeit vornehmlich mit Erwachsenen zu tun haben?

Becker: Ich habe auf jeden Fall in meinem zehnten Jahr als Bundestrainer noch nie solche Probleme in meinem Team gehabt. Man muss auch sehen: Die Arbeit der Jugendtrainer ist eine Herkules-Aufgabe. Bei großen Turnieren wie zum Beispiel Nationenpreisen oder Europameisterschaften sind sie mit bis zu 50 Personen unterwegs. Das ist fachlich und auch menschlich sehr anstrengend. Man muss Regeln aufstellen und durchsetzen. Das ist nicht immer so einfach. Auch da sind sie darauf angewiesen, dass die Eltern mitziehen. Wobei man sagen muss, dass die breite Masse der Eltern mit aufpasst.

Ludger Beerbaum hat die Idee aufgebracht, stärkere Kontrollen von jungen Reitern einzuführen, sie auch mit Sperren zu belegen, wenn sie alkoholisiert auffallen. Wie stehen Sie zu so einem Vorschlag?

Becker: Die Idee, besser zu kontrollieren, finde ich grundsätzlich gut, sofern die Rahmenbedingungen geschaffen sind. Es muss substanziell so sein, dass dem richtig nachgegangen werden kann. Ich plädiere dafür, dass Reiter, die alkoholisiert auf Turnieren erwischt werden, sofort nach Hause geschickt werden und am nächsten Tag nicht mehr starten dürfen. Dann müssen sie ihrem Trainer oder den Pferdebesitzern erst einmal erklären, wie es dazu kommen konnte. Erst recht, wenn sich das wiederholt.

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Dann wäre die Karriere betroffen.

Becker: Ja, das erhöht den Druck, es geht um den eigenen Ruf. Aber auch da müssen Verband, Veranstalter und Eltern gemeinsam arbeiten, Grenzen festlegen und Lösungen entwickeln. Zu Sanktionen kann es aber immer nur im Rahmen von geltenden Regelwerken und Gesetzen kommen.

Wie verhält es sich in den Fällen, in denen Sie direkt betroffen sind? Wie viel Einfluss können Sie bei der Nominierung von jungen Reitern für Turniere nehmen?

Becker: Das muss man differenzieren. Es gab ja das Beispiel des Reiters, der bereits für 18 Monate gesperrt wurde, wenngleich diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist. Bevor es diese Entscheidung gab, habe ich ihn für Turniere nominiert. Danach und erst recht als klar wurde, wie schwerwiegend die Vorwürfe sind, nicht mehr. Grundsätzlich ist es so, dass er nach wie vor bei nationalen Turnieren in Deutschland starten kann. Dafür braucht er keine Nominierung von mir. Dies ist auch bei internationalen Turnieren in Deutschland oder im Ausland der Fall. Wenn der Reiter also eine internationale Startgenehmigung oder eine offizielle Einladung des Turnierveranstalters vorliegen hat, dann können weder ich noch der Verband einen Start verhindern.

Denken Sie, dass dieser Skandal dem Reitsport in Deutschland langfristig schaden kann?

Becker: Gut ist die Sache sicherlich nicht, aber sie betrifft nach unserer Kenntnis Einzelfälle und nicht den gesamten Reitsport. Trotzdem ist es vielleicht gut so, dass das Thema öffentlich gemacht wurde, die Szene ist jetzt sensibilisiert. Ob die Sache aber langfristige Auswirkungen haben wird, kann ich nicht beurteilen.

Wie sieht es denn in Hinblick auf Sponsoren aus? Ist der Reitsport da gut genug aufgestellt?

Becker: Nein, da sehe ich generell ein Problem. Es fehlen derzeit die großen Sponsoren. Beim Blick im Ausland wird das deutlich, da dort zum Teil ganz andere Summen auf den Turnieren ausgeschüttet werden.

Aber erschwert so ein Skandal dann nicht die Situation?

Becker: Ich will es nicht hoffen. Meine Hoffnung ist es, dass die Sponsoren oder Mäzene anerkennen, dass der Verband gut reagiert hat und wie er in der Tiefe tätig wird.