Essen. Sebastian Vollmer hat mit den New England Patriots zweimal den Super Bowl gewonnen. Im Interview erklärt er: So wird die NFL-Saison

Er hielt Star-Quarterback Tom Brady bei den New England Patriots als 2,03 Meter große Zweikampf-Maschine von 2009 bis 2017 den Rücken frei, er gewann zweimal den Super Bowl (2015, 2017) – und auch nach seinem Karriereende fasziniert die American-Football-Liga NFL Sebastian Vollmer (34) so sehr, dass er seine Autobiografie geschrieben hat ("German Champion: Die Geschichte meiner NFL-Karriere", erscheint am Montag) und als TV-Experte arbeitet. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag beginnt die neue Saison mit dem Spiel Philadelphia Eagles gegen Atlanta Falcons (2.15 Uhr, live ProSieben) – und im Gespräch mit dieser Redaktion blickt Vollmer voraus: So wird die Saison.

Seine Rolle auf dem Platz: Sebastian Vollmer (r.) beschaffte Star-Quareterback Tom Brady (Mitte) als
Seine Rolle auf dem Platz: Sebastian Vollmer (r.) beschaffte Star-Quareterback Tom Brady (Mitte) als "Offensive Tackle" genug Platz, um seine gefürchteten Pässe zu werfen. © dpa

Was machen Sie eigentlich am liebsten: Autor, TV-Experte oder Spieler?

Sebastian Vollmer: Es geht nichts über das Spiel selbst – mit einem Team etwas erarbeiten, den Super Bowl zu gewinnen. Seitdem ich aufgehört habe, schlafe ich aber sehr gut und befinde mich im nächsten Kapitel meines Lebens. Und daran habe ich Spaß.

Die NFL-Saison beginnt am Donnerstag – und jemanden, der mit den New England Patriots den Super Bowl zweimal gewonnen hat, brauche ich nicht nach einem Favoriten zu fragen…

Vollmer: (lacht) Das hängt weniger damit zusammen, dass ich nur bei den Patriots gespielt habe…

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Kann es Tom Brady mit 41 Jahren wirklich noch einmal schaffen?

Vollmer: Die Patriots standen sieben Mal in Folge im Halbfinale, Tom Brady war insgesamt acht Mal im Super Bowl. In diesem Jahr sehen die Patriots auf dem Papier nicht so stark aus wie sie es mal waren – aber das sagen wir regelmäßig. Irgendwie schaffen es Brady und Trainer Bill Belichick immer. Es gibt aber noch einige andere Favoriten.

Und die wären?

Vollmer: Für mich gilt erst einmal: Den amtierenden Super-Bowl-Sieger, und das sind die Philadelphia Eagles, muss erst einmal jemand vom Thron stoßen. Die Los Angeles Rams setzen alles auf eine Karte. Die haben ein tolles Team zusammengestellt – obwohl sie im vergangenen Jahr schon sehr gut waren. Dazu vielleicht die Jacksonville Jaguars, die im Halbfinale knapp gegen die Patriots verloren haben – dieses Spiel hätte auch anders ausgehen können. Ich habe auch die Houston Texans auf der Rechnung.

Warum?

Vollmer: Die Defensive der Texans ist seit Jahren wahnsinnig gut. Für die Play-offs hat es aber nicht gereicht, da sie keinen guten Quarterback hatten. Sie brauchen einen, der gesund bleibt und ein Jahr durchspielt. Deshaun Watson könnte einer sein – er kommt nach einem Kreuzbandriss zurück. Ich kenne Texans-Trainer Bill O’Brien gut – mit ihm habe ich bei den Patriots zusammengearbeitet. Da war er der Offensive Coordinator.

Welche Teams können denn überraschen – vielleicht die Cleveland Browns oder die San Francisco 49ers, die in den vergangenen beiden Jahren enttäuschten?

Vollmer: Wenn ich wählen müsste, würde ich sagen, dass die 49ers das bessere Team sind. Quarterback Jimmy Garoppolo war eine sehr gute Verpflichtung gegen Ende der vergangenen Saison. Aber er muss beweisen, dass er sein hohes Level über eine komplette Saison halten kann. Die Browns haben sehr gute Spieler. Aber ob sie zeigen, dass sie was können – da habe ich meine Zweifel.

Vom Super-Bowl-Champion zum Buchautor

Vollmer, in Kaarst geboren und in Deutschland bei den Düsseldorfer Panthern zum Football gekommen, wurde als "Offensive Tackle" von 2009 bis 2017 zu einem der besten NFL-Spieler auf seiner Position.

In seinem Buch "German Champion: Die Geschichte meiner NFL-Karriere" (Riva Verlag, erscheint am Montag, 10. September) beschreibt er seinen Weg in die American-Football-Profiliga. Er gibt - unterstützt von Sportjournalist Dominik Hechler - Einblicke in sein Leben. Er berichtet von den Anfängen in den USA, als er mit Sprachproblemen anreiste bis zu den erfolgreichen NFL-Zeiten als "Bodyguard" Tom Bradys.

Was für Erkenntnisse hat die Vorbereitung, die Preseason genannt wird, mit den vier Test-Spieltagen gebracht?

Vollmer: Ergebnisse bedeuten nichts. Teamintern kann man vielleicht einige Erkenntnisse ziehen, der Fan kann nur aber wenig schlussfolgern, wer in der Saison in der Startformation steht. In der Preseason geht es darum, Kondition zu bekommen, es in den Kader zu schaffen, sich an die neuen Regeln zu gewöhnen. Gute Teams werden im Laufe einer Saison besser. Wenn man ein Team im September analysiert, muss man es im Dezember noch einmal tun. Da ist es ganz anders. Die Patriots zum Beispiel starten immer eher langsam.

Wenn eine Mannschaft wie die Seattle Seahawks alle vier Testspiele verliert, hat das nichts zu bedeuten?

Vollmer: Nein, absolut nicht. Die guten Spieler spielen nie durch. Zudem gibt es für die Preseason-Spiele keinen Gameplan. Während der Saison analysieren die Trainer 18 bis 20 Stunden am Tag den Gegner und versuchen zu prophezeien, wie sich der Gegner in welchen Situationen verhält. In der Preseason konzentrieren sich die Trainer aber auf ihre Mannschaft.

Bleiben die Stars wie immer Tom Brady und Aaron Rodgers von den Green Bay Packers? Oder sind neue Stars in Sicht?

Vollmer: Diese Stars werden die Schlagzeilen dominieren. Aber jedes Jahr kommen überraschend Neue. An die Spieler, die im NFL Draft in der ersten Runde ausgewählt wurden, sind die Erwartungen sehr hoch. Sie müssen sich an die Geschwindigkeit gewöhnen, daran, dass sie nicht mehr College-Football spielen, sondern gegen erwachsene Männer. Da will ich jetzt noch nicht sagen: Der oder der wird jetzt ein Superstar.

Es gibt eine neue Regel, die vor allem bei Defensivspielern umstritten ist. Sie soll Verletzungen minimieren. Simpel erklärt: Jeder, der seinen Kopf senkt und den Gegner mit dem Kopfschutz attackiert, erhält eine Strafe. Warum ist diese Regel umstritten?

Vollmer: Die Regel ist sinnvoll, muss aber noch einmal modifiziert werden. Selbst die Schiedsrichter wissen noch nicht genau, wie sie sie umsetzen sollen. Momentan ist es wirklich anstrengend, ein Spiel zu gucken, weil so viel bestraft wird. Ich schaue mir das als ehemaliger Spieler an und sage: Manche Situationen sind nicht anders zu lösen. Man nimmt den Defensivspielern viele Möglichkeiten, den Receiver oder Runningback zu stoppen. Die gehen dann einfach runter mit dem Helm. Und wenn man als Defensivspieler aufrecht stehenbleibt, laufen die einen um. Meine persönliche Meinung: In der Preseason wird die Regel konsequent bestraft, in der regulären Saison legt sich das, in den Play-offs macht man gar nichts mehr, weil sonst der Spielfluss zerstört wird.

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Einige Spieler wollen wie in der vergangenen Saison während der Nationalhymne auf die Knie gehen und so gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze demonstrieren. US-Präsident Trump hat sich eingeschaltet, noch ist nicht endgültig entschieden, wie die NFL damit umgeht. Wie wird dies im Spielerkreis diskutiert?

Vollmer: In der Umkleide selbst sehr, sehr wenig. Es gibt auch keine Zerrissenheit im Team selbst. Man sieht sich als 53-Mann-Familie.

Und wie geht es weiter?

Vollmer: Es ist nicht komplett gelöst – und die Diskussionen werden nicht aufhören, bis es eine Lösung gibt oder das Thema keine Aufmerksamkeit mehr generiert. Es ist nun einmal ein Riesenthema – auch wir Deutschen sprechen darüber. Und das ist allen auch bewusst.

Earl Thomas, ein renommierter Spieler der Seattle Seahawks, streikt, um einen höher dotierten Vertrag zu bekommen. Auch im Fußball gab es schon Streiks, wofür Spieler stark kritisiert wurden. Ist dies in den USA anders?

Vollmer: Da es relativ häufig vorkommt, ist es okay, so lange es sich auf die Preseason beschränkt. Die anderen Teams kümmert das ohnehin wenig. Die Fans des Spielers wollen, dass er so viel Geld wie möglich bekommt. Sobald es in die heiße Phase geht und der Spieler immer noch streikt, ist er aber gebrandmarkt. Meistens kommt es aber vor der Saison noch zu einer Lösung. Ein Unterschied zum Fußball ist: Ein streikender Spieler muss ab dem ersten Tag des Trainingscamps eine empfindliche Vertragsstrafe zahlen. Deshalb gehen die Spieler, so wie jetzt Earl Thomas, ein hohes Risiko ein. Die Strafen summieren sich ganz schnell.

Wo verbringen Sie die kommende Saison – in den USA oder in Deutschland?

Vollmer: Ich arbeite mit der NFL zusammen, bewege mich meist auf dem deutschen Markt. Ich werde auch für „ran“ bei ProSiebenMaxx als Experte arbeiten, zum Beispiel eins der London-Spiele kommentieren. Zudem wird das Buch veröffentlicht. Da kann ich den deutschen Fans etwas zurückgeben. Sie können hinter die Kulissen blicken.

Gibt es bald ein NFL-Spiel in Deutschland?

Vollmer: Vor 20 Jahren habe ich in Deutschland mit Football begonnen – da saßen dann 200 Zuschauer und man konnte froh sein, wenn eine Zeitung irgendwann Interesse daran hatte, über so eine Randsportart zu schreiben. Jetzt gibt es einen Hype, die Fangemeinde wächst – und wenn die NFL für drei Spiele nach London kommt, sind dort auch viele deutsche Fans. Die NFL hat auch erkannt, dass Deutschland der schnellstwachsende Markt außerhalb Amerikas ist. Es wird ein Spiel in Deutschland geben. Die Frage ist nur: Wann?