Roubaix. Es geht also doch. John Degenkolb hat den ersten deutschen Tagessieg bei der 105. Tour de France eingefahren.

John Degenkolb konnte sich kaum noch halten auf seinem Rennrad. Kaputt, verdreckt, vollkommen ausgelaugt, umzingelten ihn die Journalisten in Roubaix. Und Degenkolb weinte, weinte, so gut es eben ging nach diesen schrecklichen 22 Kilometern über Kopfsteinpflaster. Sein verschwitztes, verkrustetes Gesicht strahlte trotz der Schmerzen in den Beinen. Er hatte es geschafft, hatte es tatsächlich geschafft, und er wusste, bei wem er sich bedanken musste. Der 29-jährige Geraer zeigte in den Himmel über Frankreich.

„Ich habe diesen Sieg dem besten Freund meines Vaters gewidmet. Er ist im Oktober bei einem Arbeitsunfall gestorben. Er hat mich unterstützt, als ich mit dem Radfahren anfing, und auch danach“, sagte Degenkolb nach der neunten Etappe der Tour de France. „Ich wollte einen großen Sieg für ihn holen. Ich hatte es immer im Hinterkopf.“

Größer konnte der Sieg nicht sein

Größer konnte der Sieg gar nicht sein. In Roubaix hatte der Profi von Trek-Segafredo vor drei Jahren seinen Karrierehöhepunkt erlebt, als er beim Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix triumphierte. Er war der erste Deutsche seit 119 Jahren, der hier gewinnen konnte. Im gleichen Jahr war ihm auch der Sieg bei Mailand-Sanremo gelungen. Doch seine Karriere sollte völlig aus dem Takt geraten. 2016 fuhr eine damals 73-jährige Britin in Spanien in eine Trainingsgruppe um Degenkolb. Fünfmal musste er in Folge des Unfalls operiert werden, sein Zeigefinger beinahe amputiert werden. Eine Narbe auf seinem damals gebrochenen Unterarm zeugt noch heute vom 23. Januar 2016.

Danach lief es selten rund bei Degenkolb. Oft hatte der Geraer mit Verletzungen zu kämpfen. Beim diesjährigen Klassiker nach Roubaix verletzte er sich am Knie und musste vier Wochen pausieren.

Und jetzt der Sieg in der „Hölle des Nordens“. Jetzt der erste deutsche Sieg bei der Tour de France. „Ich kann es gar nicht in Worte fassen“, sagte Degenkolb. „Viele Leute haben nicht mehr an mich geglaubt.“ Womöglich auch er selbst nicht. Vor dem Start hatte er sich zurückhaltend gegeben, der Fokus liege auf Kapitän Bauke Mollema. Aber 200 Meter vor dem Zielstrich in Roubaix, nach 156,5 Kilometern, auf denen es zu etlichen Stürzen kam, witterte Degenkolb seine Chance. Neben ihm waren der Belgier Greg Van Avermaet (BMC) und sein Landsmann Yves Lampaert (Quick-Step). „Ich wusste, dass ich den Sprint fahren kann, aber nicht, ob es reichen würde.“ Es reichte.

„Der härteste Teil ist: Du darfst nicht den Glauben an dich verlieren“, sagte Degenkolb. „Ich bin so froh, dass meine Frau und meine Familie mir diese Stärke gegeben haben.“ Am Ruhetag an diesem Montag besucht seine Familie ihn in Annecy. Es wird etwas zu feiern geben, das wissen sie schon jetzt.

Greipel stürzte wie viele andere Fahrer

„Die Attacke war wirklich sehr stark“, lobte André Greipel von Lotto Soudal. Der 35-Jährige saß nach dem Rennen mit tiefen Schrammen an Armen und Beinen auf der Treppe des Mannschaftsbusses. Wie viele Fahrer war auch der 35-jährige Rostocker gestürzt. Am schwersten erwischte es Richie Porte. Der Australier war als Rivale des viermaligen Tour-Champions Chris Froome (Sky) gestartet, doch für ihn ist die Rundfahrt beendet. Nach acht Kilometern stürzte der 33-jährige BMC-Fahrer und hielt sich die Schulter. Mit einem Verdacht auf einen Schlüsselbeinbruch wurde er ins Krankenhaus eingeliefert.