Amiens/Roubaix. . Während die Franzosen in der Stadt am Nationalfeiertag ihr Land feierten, lagen Deutschlands Fahrer förmlich am Boden. Woran liegt das?

Die Stimmung in Amiens konnte nicht besser sein. Hunderte Menschen wippten mit den Köpfen zur Livemusik in der Innenstadt. Auf der nahegelegenen Kirmes schwamm ein Teppich der Kinderschreie über den Fahrgeschäften. Nationalfeiertag, der 14. Juli. Die Franzosen feierten sich, ihr Leben und die Freiheit.

Die Musik drang bis auf den Boulevard Fairdherbe, wo Marcel Kittel die Ziellinie als letztlich 15. überquert hatte. Kittel schoss an den Trauben von Menschen, zielgerichtet auf den Bus von Katusha-Alpecin. Der Sprinter warf sein Fahrrad gegen die Front, schlug den Vorhang zur Seite, schoss ins Innere, und schrie. „Fuck!“ drang es für alle Anwesenden nach draußen, gefolgt von einem langen „Maaaan“ und wütendem Trommeln.

Jeder der dabei war, wird diese Reaktion nicht mehr vergessen, so wie Marcel Kittel diesen 14. Juli nicht vergessen wird. Dieser Tag war für ihn, für die deutschen Sprinter ein Alptraum.

Was ist mit Marcel Kittel bei der Tour de France los?

Wo sind die vermutlich schnellsten Beine der Welt? Wo ist der Kittel, der im Vorjahr noch mit fünf Etappensiegen die Tour de France zur Tour d’Allemagne machte? Nach neun Etappen bleibt Rang drei sein bestes Ergebnis. Die womöglich letzte Chance bietet sich erst am 29. Juli in Paris.

Kittel mochte sich auch gar nicht mehr äußern, das machten andere. „Für mich ist Marcel der stärkste Sprinter der Welt. Wir wollen eine Etappe gewinnen und werden Marcel unterstützen“, sagte Teamchef Jose Azevedo. „Marcel bleibt unser Leader“, sagte Teamkollege Nils Politt. Die Treuebekenntnisse waren dringend nötig. Am Samstagmorgen hatte Kittels Sportdirektor Dimitri Konischew für einen Knall gesorgt. In der L’Equipe warf er Kittel Egoismus vor. „Wir bezahlen ihm eine Menge, aber er interessiert sich nur für sich selbst.“ Später versuchte der 52 Jahre alte Russe seine Aussagen zu relativieren. „Alle Sprinter sind egoistisch. Aber er hilft auch dem Team.“ Wie einheitlich dieses Team ist, wissen nur die Fahrer selbst. Kittels Manager Jörg Werner vermutet eine Zweitteilung in einen russischen Part um Co-Kapitän Ilnur Zakarin und einen deutschen um Kittel. Dazu wird das Schweizer Team vom Shampoo-Hersteller aus Bielefeld und dem russischen Oligarchen Igor Makarow finanziert.

Das Bündnis machte Kittels Wechsel von Quick-Step zu Katusha möglich. Ob er sich da nun noch wohlfühlt? „Die Überraschung sitzt schon noch ein bisschen in den Knochen. Wir haben das probiert aufzulösen, aber es ist schwer, da einen Schwamm drüber zu machen“, sagte Kittel am Start der neunten Etappe von Arras nach Roubaix. „Jetzt über Gott und die Welt nachzudenken und darüber, wie man grundsätzlich weitermacht, ist eigentlich überhaupt nicht nötig. Die Zusammenarbeit hat es aber sicherlich nicht erleichtert.“ Der deutsche Sportdirektor Torsten Schmidt sprach Kittel gegenüber dieser Redaktion sein Vertrauen aus, machte aber auch keinen Hehl aus der zugespitzten sportlichen Situation. „Es ist doch wie beim Elfmeterschießen, du hast noch zwei Versuche, einer davon muss sitzen.“ Den einen hat Kittel vergeben.

Teamkollege Tony Martin stürzte schwer

Aber nicht nur für Kittel war Amiens ein Albtraum. Teamkollege Tony Martin stürzte 17 Kilometer vor dem Ziel so schwer, dass er sich einen Wirbelbruch zuzog. Wie vor drei Jahren nach einem Schlüsselbeinbruch ist für Martin die Tour frühzeitig beendet. „Ich habe vier Wochen Fahrverbot“, sagte der 33-Jährige vor seiner Abreise. Sein Ausfall ist aus zwei Gründen fatal: Für Katusha, das bereits auf den gestürzten Robert Kiserlowski verzichten muss. Und für die deutschen Hoffnungen: Martin ist ein Fahrer, der beim Zeitfahren auf der vorletzten Etappe hätte etwas holen können. Ohne ihn ist die deutsche Fraktion nur noch zu zehnt, und kaum einer kann sich ernsthaft Chancen auf einen Sieg in den Alpen ausrechnen.

Auch für André Greipel sind die Siegchancen zu einem Nadelöhr geschrumpft. Der Altmeister von Lotto Soudal hatte zwar seine Stärken gezeigt, kam aber einfach nicht zum Sieg. In Amiens schrammte er um Bruchteile am ersten Erfolg vorbei. Aber am Ende des Tages fand er sich statt auf Rang zwei auf Platz 92 wieder. Auf dem letzten Kilometer hatte sich der 35-Jährige erst ein Gerangel mit dem deutschen Nikias Arndt (Sunweb) geliefert und danach mit Fernando Gaviria. Nach dem Urteil der Jury wurde Greipel zurückgestuft (Gaviria auf Rang 93). Laut Greipel war ein angeblicher Kopfstoß gegen Arndt auschlaggebend. „Ich habe ihn nicht berührt“, beteuerte der Rostocker.

„Wir haben mit der Mannschaft gut funktioniert. Dass es nicht geklappt hat, ist natürlich nicht schön“, sagte Greipel nach dem Rennen. „Wir haben noch ein paar Chancen bis nach Paris.“ Hoffentlich dürfen dann auch die Deutschen feiern.