Bratislava. Kuriose Wende im Corona-Chaos der deutschen Handballer: Christoph Steinert kann in der EM-Partie gegen Spanien doch auflaufen.

Blitz-Comeback für Christoph Steinert: Der bislang beste deutsche Turnier-Torschütze darf trotz seines positiven Coronabefunds von Mittwoch beim Hauptrunden-Auftakt der deutschen Handballer gegen Spanien auflaufen. Dies teilte der Deutsche Handballbund (DHB) kurz vor dem Anpfiff in Bratislava mit.

„Der 32-jährige Linkshänder hatte am Mittwoch bei einem vom Deutschen Handballbund veranlassten zusätzlichen PCR-Test einen schwach positiven Befund erhalten. Alle im Vorfeld und im Nachgang durchgeführten Tests waren negativ, so dass der Status ,negativ' auch auf Nachfrage der Laborleitung, wo der einzig positive Test ausgewertet wurde, bestätigt wurde", heißt es in einer Verbandsmitteilung.

Alfred Gislason muss auf Co-Trainer Erik Wudtke verzichten

Verzichten muss Bundestrainer Alfred Gislason gegen Spanien allerdings auf die Hilfe seines Co-Trainers Erik Wudtke. „Aus der Fülle der Tests innerhalb der vergangenen 48 Stunden ergibt sich bei Erik Wudtke ein aktuell unklares Bild“, teilte der DHB eine Stunde vor Anwurf mit. Wudtke wird durch Teammanager Oliver Roggisch ersetzt.

Zuvor war der Antrag der deutschen Handballer auf eine Verlegung des EM-Hauptrundenauftakts gegen Europameister Spanien abgewiesen worden. In den Regularien ist festgelegt, dass eine Mannschaft mit einer Mindestanzahl von fünf Akteuren spielfähig ist. Auch das spanische Team meldete am Donnerstagvormittag die ersten Infektionen: Joan Canellas und Rückraumspieler Ian Tarrafeta wurden positiv getestet.

Corona-Ausbruch auch beim EM-Zweiten Kroatien

Deutschland ist mit bisher zwölf infizierten Spielern am stärksten betroffen. Ähnlich heftig erwischt hat es bei der Endrunde in Ungarn und der Slowakei den EM-Zweiten Kroatien, bei dem es bis zum Donnerstagmorgen insgesamt neun positive Fälle gab. Polen beklagte bis zu diesem Zeitpunkt sechs infizierte Spieler, die Niederlande und Russland jeweils vier, Schweden und Island je drei und Olympiasieger Frankreich einen.

Immerhin drei Hauptrunden-Teilnehmer verzeichneten noch gar keinen Corona-Fall während des Turniers: Weltmeister Dänemark, der EM-Dritte Norwegen und Montenegro.

Der Deutsche Handballbund (DHB) hatte nach zwölf coronabedingten Ausfällen eine Verschiebung der Partie auf Samstag oder Montag angefragt. Am Mittwoch waren die Infektionen dreier weiterer DHB-Spieler bekannt geworden, Bundestrainer Alfred Gislason nominierte infolgedessen Lukas Stutzke, David Schmidt und Tobias Reichmann nach.

DHB will deutsche Handballer vorerst im Turnier halten

Julius Kühn, bei dem die erste Infektion im deutschen Team während der EM aufgetreten war, ist derweil noch kein Thema für eine Rückkehr. Der PCR-Test des 2016er-Europameisters vom Mittwoch fiel positiv aus. Die am Mittwochabend abgenommenen Tests der nicht infizierten Spieler waren durchweg negativ, erstmals seit Sonntag gab es damit in der deutschen Mannschaft keinen positiven Fall.

DHB-Vorstandschef Mark Schober verkündete am Ende eines erneut turbulenten Tages die wichtigste Nachricht: Trotz weiterer Corona-Fälle werden sich die deutschen Handballer vorerst nicht von der Europameisterschaft zurückziehen. „Wir haben intensiv diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir es verantworten können, im Turnier zu bleiben“, sagte Schober am späten Mittwochabend.

Einige Stunden zuvor hatte Bundestrainer Alfred Gislason die nächste Schock-Nachricht bei der Endrunde in Ungarn und der Slowakei erhalten. Vor dem Klassiker gegen Spanien zum Auftakt der EM-Hauptrunde gab es im DHB-Team vier weitere Corona-Fälle. Betroffen waren die Rückraumspieler Sebastian Heymann, Djibril M’Bengue und Christoph Steinert sowie ein Mitglied des Funktionsteams.

Vor Ort ist der Verband darum bemüht, die irrwitzige Situation so gut es geht zu meistern. Gislason verfolgte die lockeren Übungen seiner dezimierten Schützlinge am Mittwoch mit stoischer Gelassenheit. Wie es in dem 62 Jahre alten Isländer wirklich aussieht, konnte man nur erahnen. „Die Explosion der Corona-Fälle ist natürlich frustrierend für uns alle, nicht nur für mich“, sagte der Bundestrainer am Mittwochvormittag.

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Das Abschlusstraining am Nachmittag sollte für die Mannschaft eigentlich eine willkommene Abwechslung vom trostlosen EM-Alltag sein. Endlich raus aus den Hotelzimmern, in denen die Gislason-Schützlinge die meiste Zeit des Tages mit dem Warten auf die neuesten Corona-Testergebnisse verbringen müssen. „Wir hängen den ganzen Tag isoliert in unseren Zimmern herum. Es ist eine sehr absurde Situation“, beschrieb Gislason die außergewöhnlichen und teilweise extremen Umstände.

Steinert: "Das ist wie Einzelhaft"

Noch drastischer drückte es Rückraum-Ass Steinert aus: „Das ist wie Einzelhaft.“ Aus der gibt es für den 32-Jährigen nun vorerst kein Entrinnen mehr. Steinert, der beim 30:23-Sieg gegen Polen im Vorrundenfinale mit neun Toren bester DHB-Werfer gewesen war, hatte das Unheil schon erahnt. „Wir sind so stringent in dem, was wir tun, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass da noch etwas passiert. Aber sicher sind wir alle nicht. Ich bin der Meinung, das ist Glücksspiel“, hatte der Profi vom HC Erlangen nach dem Polen-Spiel erklärt.

Der sportliche Aspekt des Spiels gegen Spanien rückte mit einem Schlag völlig in den Hintergrund. Ob die Mannschaft den immer neuen Tiefschlägen weiter trotzen kann, ist äußerst fraglich. Auch wenn Gislason nach dem Sieg gegen Polen erklärt hatte: „Ich denke schon, dass eine solche Extremsituation die Mannschaft besonders zusammenschweißt.“

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Im Duell mit den Spaniern stehen seine Schützlinge aufgrund der akuten personellen Schwächung vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe. „Das ist eine der abgezocktesten Mannschaften, die es gibt. Die haben eine sehr starke Abwehr mit super Torhütern und machen kaum technische Fehler. Wir sind krasser Außenseiter“, sagte Gislason.

Normale Vorbereitung im DHB-Team ist nicht mehr möglich

An eine normale Vorbereitung der völlig neu zusammengewürfelten DHB-Truppe ist nicht zu denken. Und die Ungewissheit bleibt im Hinterkopf der Spieler. Wer gerade noch große EM-Pläne geschmiedet hat, kann im nächsten Moment schon in Quarantäne sitzen. Eine geradezu irrwitzige Situation, die die Gislason-Schützlinge vor allem mental an ihre Grenzen bringt.

Am Handy, Laptop oder Fernseher versuchen sie, sich so gut es geht von der Corona-Krise abzulenken. Der Wunsch, den Spielmacher Weber am Dienstagabend geäußert hatte, wird sich aber nicht mehr erfüllen: „Wir hoffen, dass wir jetzt alle gesund durch das Turnier kommen und eine schöne Hauptrunde haben.“ Dort warten auf die DHB-Auswahl fast nur Hochkaräter. Gut 24 Stunden nach dem Spanien-Spiel geht es am Freitag schon gegen den EM-Dritten Norwegen weiter. Es folgen die Duelle mit dem WM-Zweiten Schweden und Russland. Doch das ist längst nur noch Nebensache.