Essen. André Lange ist der erfolgreichste Bobfahrer bei Olympischen Winterspielen. Er bereitet die chinesischen Fahrer vor. Seine Erwartungen.

Am Wochenende starten die Bobsportler in die olympische Saison. Der Weltcup in Igls wird auch eine Standortbestimmung für Chinas Piloten und deren Trainer André Lange sein. Wir sprachen mit dem Vierfach-Olympiasieger aus Thüringen über seine Aufbauarbeit in Fernost, Corona, Medaillenziele – und chinesisches Essen.

Seit 2018 sind Sie Trainer in China. Ziehen Sie mittlerweile die Peking-Ente der Thüringer Bratwurst vor?

André Lange: Nein.

Das klingt bestimmt.

Lange: Peking-Ente wäre ja noch toll. Ich habe das chinesische Essen als – sagen wir mal – sehr speziell kennengelernt. Da habe sogar ich das eine oder andere Pfund verloren.

Müssen wir uns Sorgen machen?

Lange: Ach nein. Ich habe erfolgreich dagegen angekämpft.

Schmeckt Ihnen wenigstens Ihr Job?

Lange: Auf jeden Fall. Ich darf das machen, was mir Spaß macht: im Bobsport arbeiten, direkt mit den Sportlern. Und in China ist es noch einmal ganz anders als in Deutschland.

Warum?

Lange: Von der Kultur her ist es ein anderer Umgang. Die Sportler kleben an den Lippen des Trainers, saugen alle Informationen auf und versuchen, es genauso umzusetzen. Sie vertrauen einem zu hundert Prozent. Das spürt man in allen Bereichen.

Wie verständigen Sie sich?

Lange: Auf Englisch. Eher friert die Hölle zu, als dass ich chinesisch kann.

Konnten Sie die Athleten in Corona-Zeiten wunschgemäß betreuen?

Lange: Wir waren mit dem gesamten Team nahezu die komplette letzte Saison in Yanqing, konnten dort täglich trainieren. Ich war allein viereinhalb Monate am Stück vor Ort, was natürlich nicht sonderlich schön für die Familie war, aber sportlich hoffentlich etwas gebracht hat.

Sind die zufrieden mit den Fortschritten seit Ihrem Einstieg vor drei Jahren?

Lange: Fahrerisch hat sich einiges getan. Wir mussten damals beim Urschleim anfangen. Mittlerweile haben alle ihr Handwerk gelernt. Und ich kann schon recht entspannt an der Bahn stehen; muss keine Stürze mehr befürchten. Aber jetzt kommt es darauf an, das Können auch im Wettkampf umzusetzen. Ich bin gespannt, wie unser Status quo ist.

Im Trainingslager der deutschen Rodler herrscht Unmut wegen der strengen Restriktionen in Yanqing. Können Sie das nachvollziehen?

Lange: Klar. Wir haben es ja am eigenen Leib gespürt; durften uns nur in bestimmten Bereichen bewegen. Die Chinesen fahren eine knallharte Linie. Da wird nicht diskutiert. Es gibt Regeln, mit denen man sich arrangieren muss, so schwer es einem fällt.

Trotzdem fährt die Angst vor dem Virus immer mit, oder?

Lange: Corona hängt wie ein Damoklesschwert über allen Sportlern. Von einem Moment auf den anderen kann es bei einer Infektion vorbei sein; vier Jahre Vorbereitung auf die Spiele sind dann umsonst gewesen. Das will niemand erleben.

Welches Ziel hat China für die Bobsportler bei Olympia ausgegeben?

Lange: Ganz ehrlich: Ich kenne keine offizielle Zielvorgabe. Aber Fakt ist: Als Gastgeber will China in allen Disziplinen gut abschneiden. Das ist der Anspruch. Für uns wäre sicher ein Platz unter den ersten Sechs ein Erfolg. Im Optimalfall kann vielleicht eine Medaille herausspringen.

Wie groß ist der Vorteil, die neue Bahn häufiger heruntergefahren zu sein als alle Gegner zusammen?

Lange: Fragen Sie mich das im Februar noch mal… Natürlich ist es ein Vorteil; wie groß der ist, wird man sehen. Es gibt viele gute Nationen, die das Bobfahren beherrschen und sich schnell auf neue Bedingungen und Umstände einstellen können.

Was zeichnet die Bahn aus?

Lange: Sie ist ein gewaltiges Bauwerk; echt beeindruckend. Und auf den ersten Blick wirkt sie einfacher, als sie ist. Sie hat ihre Tücken. Man muss immer voll konzentriert sein, um wirklich schnell herunter zu kommen.

In Pyeongchang herrschte 2018 ei­ne tolle Stimmung. Sind die Chinesen ähnlich begeisterungsfähig wie die Südkoreaner, deren Rodler Sie zwei Jahre lang trainiert hatten?

Lange: Ich denke schon, dass sie von den Geschwindigkeiten fasziniert sein werden. Aber viele Chinesen werden das Bobfahren zum ersten Mal sehen. Da muss man abwarten, ob der Funke gleich überspringt. Was die Atmosphäre betrifft, müssen wir uns auf spezielle Spiele einstellen. Aufgrund der ganzen Einschränkungen wird Olympia nicht so stattfinden können, wie wir es kennen.

Wäre eine Absage besser gewesen?

Lange: Wenn Sportler vier Jahre Entbehrungen auf sich nehmen und sich den Traum von Olympia erfüllen, wäre ein Ausfall eine riesige Enttäuschung. Das wünsche ich keinem.

Bei den Männern dominiert Francesco Friedrich seit Jahren nahezu nach Belieben. Ist er der olympische Top-Favorit?

Lange: Es gibt aus meiner Sicht nur einen, der Gold holen wird – und das ist er. Ich weiß nicht, wer ihm den Olympiasieg streitig machen könnte. Er hat das beste Gesamtpaket: vom guten Start, über das Top-Material bis zum fahrerischen Können.

Und bei den Frauen? Kann Mariama Jamanka ihren Titel verteidigen?

Lange: Sie scheint nach einem schwierigen Jahr ordentlich vorbereitet zu sein. Ob es dann reichen wird, hängt von vielen Kleinigkeiten ab. Doch ich ge­­be zu, dass in Yanqing zwei Herzen in meiner Brust schlagen werden – eines für meine Schützlinge und eines für die Thüringer Athleten.

Weltcup in Innsbruck/Igls: Samstag, 9 Uhr: Frauen-Monobob, 13.30 Uhr: Männer-Zweier. Sonntag, 9 Uhr: Frauen-Zweier, 13.30 Uhr: Männer-Vierer.