Kopenhagen. Belgien kann für das Achtelfinale bei der Fußball-EM planen. Trotz 0:1-Rückstand gewinnen die Roten Teufel gegen Dänemark.

Zur zehnten Minute zählten die dänischen Fans in Kopenhagen die Sekunden herunter, dann fingen sie an zu klatschen. Die belgischen Spieler stoppten den Ball und klatschten auch. Selbst der Schiedsrichter machte mit, eine ganze Minute lang. Wie Dänemarks Trainer Kasper Hjumland vorher gesagt hatte: Das Krankenhaus von Christian Eriksen sei ganz in der Nähe, wahrscheinlich würde er es hören.

Fünf Tage nach dem Zusammenbruch ihres Spielmachers, dem nur ein Defilibrator und ein Elektroschock letztlich das Leben gerettet hatten, wurde also wieder Fußball gespielt im Parken von Kopenhagen. Die Dänen unterlagen unglücklich mit 1:2 (1:0) gegen Belgien und stehen nach der unter Paralyse erlittenen Auftaktniederlage gegen Finnland vor dem EM-Ausscheiden. Doch vorangegangen war einer der ergreifendsten Nachmittage, den dieses 110 Jahre alte Stadion je erlebt haben dürfte.

Nach Eriksen-Drama: Gänsehautmomente schon vor dem Anfpiff

Früh zeigte sich, dass die Dänen den Schock vom Samstag in positive Energie verwandeln wollten. Mit der Fröhlichkeit und guten Laune, die sie als eines der beliebtesten Fanvölker Europas auszeichnet, machten sie sich die Anhänger an einem warmen Sommernachmittag auf dem Weg zum Stadion. Ob auf einem Musikfahrrad mit Beisitzer wie ein junger Mann, oder mit Stirnband und Turnhosen im Achtziger-Jahre-Retrolook wie ein anderer: ausnahmslos trugen sie rot-weiß, die Farben des „Danish Dynamite“, das den Parken praktisch voll belegen sollte.

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Die Stimmung in der engen, alten Arena ließ sich schon vor Anpfiff nur mit dem Wort der Gänsehaut beschreiben. „Eriksen“ und „Denmark“ wechselten sich als Schlachtrufe ab, es folgte der erste choreographische Höhepunkt: als wie vor jedem EM-Spiel riesige Trikots der beteiligten Mannschaften auf den Rasen getragen wurden, zeigte das der Dänen die Rückseite mit der Nummer 10 und Eriksen. Beim Abspielen von „You’ll never walk alone“ wurde es kurz andächtig, unter frenetischem Applaus betraten die Mannschaften dann den Rasen, im Parken traditionell von einer Spielfeldecke her.

Auch Kapitän Simon Kjaer, der am Samstag überlebenswichtige Hilfe geleistet und danach Eriksens Frau beruhigt hatte, bei der umstrittenen Wiederaufnahme der Partie aber bald passen musste, war wieder mit von der Partie. Von seinem Gegenüber Jan Verthongen empfing er ein belgisches Eriksen-Trikot, von der ganzen Mannschaft unterschrieben. Auch einige der angereisten belgischen Fans hatten sich Name und Nummer des dänischen Spielmachers auf das Trikot ihrer Nationalelf drucken lassen.

Joker Kevin De Bruyne dreht in der zweiten Halbzeit auf

Die Dänen nutzten die überwältigenden Emotionen des Moments zu einem furiosen Beginn. Nach einem schlimmen Abspielfehler von Belgiens Verteidiger Jason Denayer kam Pierre-Emile Höjbjerg an den Ball, und legte zu Yussuf Poulsen. Es lief die zweite Minute, die Zeit schien still zu stehen. Der befreiende Schrei, den eine Mannschaft und ein Stadion seit Samstag auf den Lippen hatten und welchen den Dänen wohl der ganze Kontinent gönnte – er konnte endlich entweichen. Denn Poulsen traf flach ins lange Eck.

Und die Dänen machten weiter, sie spielten sich die Seele aus dem Leib, als wäre es das letzte, was sie jemals auf dieser Welt tun würden – auch wenn ihnen mit Eriksen nicht nur ein Freund fehlte, um dessen Leben sie gebangt hatten, sondern auch ihr bester Spieler. Die Belgier hatten diesem entfesselten Anrennen lange nichts entgegenzusetzen.

Doch sie sind nicht umsonst Turniermitfavorit. Als sie in der zweiten Halbzeit ihre rekonvaleszenten Stars Kevin De Bruyne und Eden Hazard einwechseln konnte, drehten sie mit brutaler Effizienz in zwei erstklassigen Spielzügen die Partie. De Bruyne legte dem Dortmunder Thorgan Hazard den Ausgleich auf (55.), und Hazard wiederum De Bruyne das 1:2 (71.) Es waren im Prinzip die einzigen großen Tormöglichkeiten der Belgier im ganzen Match, während Martin Braithwaite bei einer der vielen dänischen Chancen noch die Latte traf (87.). Die Zuschauer verabschiedeten ihre Spieler trotzdem mit großem Applaus. Doch die waren schwer zu trösten, an einem Nachmittag, an dem sie den Sieg so begehrt hatten, für sich und für Christian Eriksen.