Essen/Berlin. Der DFB-Pokalsieger von 1989 spricht im Interview über das Pokalfinale. RB Leipzig sei aktuell die Nummer zwei, der BVB habe aber einen Vorteil.

Thomas Helmer (56) erlebt gerade seine letzten Sendungen als Moderator der Sport1-Sendung Doppelpass (sonntags, 11 Uhr) – nach der EM im Sommer ist für den Europameister von 1996 Schluss. Noch aber schaut der frühere Verteidiger, der 1989 mit Borussia Dortmund den DFB-Pokal gewann, genau auf die Entwicklungen im Profi-Fußball. Ein Gespräch über die aktuelle Situation von Borussia Dortmund vor dem DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig und vergangene Erfolge im BVB-Trikot.

Herr Helmer, wie war es, 1989 den DFB-Pokal mit Dortmund zu gewinnen?

Thomas Helmer: Ich werde oft gefragt, welcher Titel der schönste war. Und ich sage, das war der mit den Biene-Maja-Streifen, weil es mein erster war.

Welche Erinnerungen haben Sie an das Finale?

Helmer: Viele. Ich lag mit Norbert Dickel auf dem Zimmer. Es war nicht klar, ob er spielen kann. Auch ich hatte Probleme. Allein der Weg zum Olympiastadion war beeindruckend, unfassbar. Eine Stunde vorher waren 40.000 Dortmunder im Stadion. Werder war Favorit, hat geführt, doch dank Nobby haben wir das Spiel dann 4:1 gedreht. Die anschließende Feier in Dortmund, der Autokorso, das war wunderbar.

Diesmal fehlen die Fans.

Helmer: Das ist ganz bitter, auch für die Spieler. Beim Pokalfinale herrscht eigentlich eine großartige Stimmung.

Wie beurteilen Sie die Saison des BVB?

Helmer: Die Saison könnte noch eine gute werden. Sicherlich keine sehr gute, dafür waren die Schwankungen zu extrem. Dass die Elf spielerisch gut ist, steht außer Frage. Aber gerade in der Defensive haben die Dortmunder Probleme. Jetzt scheinen sie sich aber gefangen zu haben. Sie beißen jetzt, sie wollen die Champions League noch erreichen, den Pokal gewinnen. Das spürt man.

Leipzig oder der BVB: Wer ist die zweite Kraft in Deutschland?

Helmer: In dieser Saison ist Leipzig schon die Nummer zwei. Das Finale ist trotzdem völlig offen. Der Vorteil der Borussia ist Erling Haaland, so einer fehlt Leipzig. Die haben zwar eine großartige Bank, aber keinen Torjäger wie die Schwarz-Gelben.

Im Sommer übernimmt Marco Rose. Kann Edin Terzic dann überhaupt wieder zurückrutschen?

Helmer: Also die Wahl Marco Rose ist ein Gewinn für Marco und für den BVB. Er bringt natürlich Co-Trainer mit, darunter meinen alten Kumpel Alexander Zickler. Ich nehme es Edin sogar ab, dass er bereit dazu ist, wieder in die zweite Reihe zu rücken. Aber es wäre eine schwierige Konstellation. Und wenn das Ziel von ihm ist, weiter als Cheftrainer zu arbeiten, dann sollte er in diesem Sommer vielleicht die Chance nutzen, wenn sie sich ihm bietet.

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Es wechseln viele Trainer. Auch Julian Nagelsmann zum FC Bayern. Was denken Sie darüber?

Helmer: Wenn man die Ablösesumme von 25 Millionen Euro sieht, pustet man erst mal durch. Er wird in München einen ganz anderen Anspruch als in Leipzig bewerkstelligen müssen. Er muss dort Titel holen, der zweite Platz reicht nicht. Es wird spannend, wie er mit den Häuptlingen im Kader zurechtkommt. Ich würde mir für ihn wünschen, dass die Bayern ihm Zeit geben, auch wenn es mal nicht so läuft. Er hat genug Ahnung, Energie, Power, aber er muss immer liefern.

Warum sind Sie damals zu den Bayern gegangen?

Helmer: Ich habe es als Anerkennung empfunden, ohne dem BVB wehtun zu wollen. Die Dortmunder waren damals noch nicht so weit. Als ich weg war, haben sie dann viele Titel gewonnen. Wenn die Bayern Interesse haben, dann fühlt man sich geehrt. Ich war eher ein Schisser, ich wollte nie ins Ausland. Deswegen war das für mich der größte Schritt.

Damals gab es trotzdem mehr Spannung in der Liga. Vermissen Sie das?

Helmer: Ich vermisse vor allem, dass die Konkurrenz nicht zur Stelle ist, wenn die Bayern straucheln. So gut waren sie in dieser Spielzeit nicht, aber niemand hat dies genutzt. Dafür können die Münchener nichts. Und wenn sich alles nach Corona normalisiert, wird der Rekordmeister eher noch besser werden.

Als sie Profi waren, entwickelte sich der Fußball zum Geschäft. Hätten Sie damals gedacht, dass mal so viel gezahlt wird wie heute?

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Wer setzt sich durch? RB-Trainer Nagelsmann (oben links) und BVB-Coach Terzic tüfteln die Pläne aus, die BVB-Angreifer Sancho (unten rechts) und Leipzig-Verteidiger Upamecano umsetzen müssen.
Von Sebastian Weßling und Marian Laske

Helmer: Wir necken uns manchmal in der SPORT1-Redaktion. Mein Regisseur wusste etwa gar nicht, dass ich mal der teuerste Transfer der Bundesliga war. Das ist lange her, die Summen sind seitdem rasant gestiegen. Das hätte ich mir damals nicht vorstellen können.

Wie haben Sie die Pläne für die Super League aufgenommen?

Helmer: Ich bin schon beunruhigt. Wenn die Bayern nicht mehr in der Bundesliga spielen würden, sondern in einer Weltliga, dann würde viel fehlen. Ich möchte trotzdem ein Spiel zwischen den Bayern und meinen Bielefeldern sehen. Aber ich gehöre auch einer anderen Generation an. Meine Jungs schauen viel mehr auf die Stars. Auf Ronaldo. Auf Neymar. Die ticken da anders. Mich stört vor allem die Heuchelei. Die Uefa verurteilt die Super League, beschließt dann aber eine Champions-League-Reform, die die Spitzenklubs enorm stärkt. Das entfremdet die Fans. Das macht nicht mehr so viel Spaß.

Sie haben Ihr Debüt gegen Schalke gegeben. Jetzt steigt der S04 ab. Traurig?

Helmer: Ja, mein erstes Spiel war auf Schalke. Wir haben 0:4 verloren, das war noch im alten Parkstadion. Ich habe Linksaußen gespielt, hatte kaum Ballkontakte. Kein Wunder, dass ich weiter nach hinten geschoben wurde (schmunzelt). Aber um auf das Heute zu blicken, es ist natürlich traurig, wie Schalke abgestürzt ist. Sportlich haben sie es verdient, sie haben sehr viele Fehler gemacht. Schalke hat ein Riesenproblem: In der Führung fehlen das Miteinander und eine klare Linie. Es wurde viel Geld verpulvert. Ich hoffe, dass sie nun Lehren daraus ziehen, sich gut aufstellen.

Bald findet die EM statt. Welche Chance hat die deutsche Mannschaft?

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Helmer: Wenn sie die Defensive nicht in den Griff bekommt, dann wird es eine schwierige Nummer. Offensiv haben wir viele Möglichkeiten, aber davor müssen wir sehr stabil agieren. Die ganze Viererkette ist mir zu wacklig.

Sollten Mats Hummels und Jerome Boateng deswegen zurückkehren?

Helmer: Einer von beiden auf jeden Fall. Mats wäre sehr, sehr wichtig. Er könnte eine Achse mit den anderen Führungsspielern bilden. Ich befürchte, dass Joshua Kimmich am Ende doch als Rechtsverteidiger spielen muss.

Sollte Hansi Flick im Sommer übernehmen?

Helmer: Irgendjemand muss ja kommen. Wahrscheinlich wird es so kommen. Ihm kann man es auf jeden Fall zutrauen. Da gibt es keine Diskussionen.

Ihre Doppelpass-Karriere neigt sich so langsam dem Ende zu …

Helmer: Ich rechne jetzt meine letzten Folgen. Dreimal Bundesliga und sechsmal EM. Ich habe ein wunderbares Team, das ist Samstag und Sonntag meine zweite Familie in München. Ich arbeite fast 20 Jahre bei dem Sender. Ich habe es erst etwas verdrängt, aber langsam werde ich wehmütiger. Alles hat seine Zeit.