Essen. . Der knappe Impfstoff stürzt Sportler ins Dilemma, sagt Max Hartung. Sie möchten nicht bevorzugt, aber auch nicht vergessen werden.

Kaderathleten und Profisportler haben bei den nun beginnenden Corona-Impfungen keinen Vorrang, sie sind keine priorisierte Gruppe. Dennoch mache eine zügige Immunisierung gerade im Leistungssport Sinn, sagt der deutsche Säbelfechter und Athletensprecher Max Hartung (31). Ein Gespräch über den Anspruch der Sportler auf Schutz ihrer Gesundheit und die Angst, in eine gesellschaftliche Neiddebatte zu geraten.

Herr Hartung, wie sehr sind Sie in der Corona-Krise als Gründungspräsident von Athleten Deutschland gefragt?

Max Hartung: Die Zahl der Mitglieder hat sich in den letzten anderthalb Jahren von 500 auf mehr als 1000 verdoppelt. Schwer zu sagen, ob das alleine an Corona lag. Aber ja, viele Entscheidungen stehen an, viele Fragen bewegen die Sportler in diesen Tagen. Es geht um Nominierungen für Tokio, um Athletenvereinbarungen. Es ist wichtig, dass es nicht nur die Politik oder einen Verband gibt, die diese Angelegenheiten für sich besprechen. Das Wichtigste ist, dass die Athleten eine Stimme haben, um ihre Position zu vertreten.

Deutschland debattiert über die Corona-Impfung, die zu langsam gehe. Es gibt Stimmen, den Teilnehmern der Olympischen Spiele in Tokio Vorrang einzuräumen. Welche Position vertreten Sie?

Ich mache mir mehr Sorgen um Infektionen unter Sportlern bei den Qualifikationswettkämpfen, die jetzt anstehen. Falls die Olympischen Spiele stattfinden, gibt es dort sicher elaborierte Hygienekonzepte.

Was erwarten Sie?

Inmitten der derzeitigen Pandemie-Lage werden nun überall auf der Welt Wettbewerbe abgehalten, die mit Blick auf den Corona-Schutz wohl nicht mit der Effizienz und dem organisatorischen Geschick ausgerichtet werden, wie man es den Organisatoren von Tokio zutraut. Ich befürchte, dass viele Sportler nun in eine Drucksituation geraten. Sie haben jahrelang für die Spiele trainiert. Um sich vorzubereiten oder sich zu qualifizieren, müssen sie nun reisen und das Wagnis eingehen, sich möglicherweise anzustecken.

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Sie befürchten, für ihren Sport stellen Athleten ihre Gesundheit zurück?

Wir Athleten stellen ständig unsere Gesundheit für den Sport zurück. Das sind wir gewöhnt. Es geht auch nicht nur darum, unsere eigene Gesundheit und unsere Leistungsfähigkeit zu schützen, sondern auch die Gesundheit anderer Menschen. Man kann jedoch nicht ohne Gegner im Homeoffice fechten. Es stehen daher schwere Entscheidungen für viele Sportler an.

Sollte deswegen Sportlern ein Vorrang eingeräumt werden?

Über die Reihenfolge der Impfungen haben sich Experten der Ethik-Kommission lange Gedanken gemacht. Dass Risikogruppen, Daseinsvorsorge und medizinisches Personal zuerst geimpft werden, steht für mich außerhalb jeder Diskussion, und da spreche ich, glaube ich, für alle Athleten. Wenn die priorisierten Gruppen durchgeimpft sind und immer noch eine Knappheit an Impfstoffen besteht, so dass man dann zwischen anderen gesunden Menschen in meinem Alter und mir entscheidet, dann wird man diese Diskussion möglicherweise noch einmal führen müssen. Ich hoffe jedoch, dass bis dahin genug Impfstoff für alle zur Verfügung steht, die sich impfen lassen wollen.

Und wenn es nun doch länger dauert?

Ich habe bisher keinen Sportler gehört, der schreit: „Ich bin jetzt dran“. Kein Athlet wird einem Menschen, der ein höheres Gesundheitsrisiko hat, sagen, dass sein Sport wichtiger sei als das Leben eines anderen. Aber wir Athleten wollen ein Teil einer gesamtgesellschaftlichen Debatte darüber sein, welche Vorgehensweise bei den weiteren Impfungen gewählt werden sollte. Neben anderen Teilen der Gesellschaft könnten auch wir Sportler deutlich machen, warum uns eine Impfung am Herzen liegt. Entscheiden muss die Politik. Aber ich finde es wichtig für alle, die Diskussion mitführen zu können.

Welche Argumente für den Sport würden Sie anführen?

Wir Sportler sind den Infektionsrisiken in besonderem Maße ausgesetzt. Um Leistungssport professionell betreiben zu können, sind wir auf Reisen angewiesen, haben im Wettkampf direkten Kontakt mit anderen. Da ist der größtmögliche Schutz schwierig. Ich bin Säbelfechter, trainiere seit nunmehr 22 Jahren. Um meinen Sport so ausüben zu können, brauche ich Gegner, am liebsten die besten der Welt. Natürlich gibt es andere Menschen, die Corona weit schlimmer trifft. Aber ich denke, dass es trotzdem in Ordnung ist, die eigene Lage zu schildern.

Sichere Sommerspiele trotz Corona – das wird nach Auffassung vieler nur mit einer flächendeckenden Impfung der über 11.000 Athleten möglich sein. Wie stehen Sie dazu?

Ich nehme Thomas Bach (Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Anm. d. Red.) beim Wort und glaube, dass es keine Impfpflicht geben wird. Aber es gibt – für alle Menschen - einen riesigen Anreiz, sich als Sportler impfen zu lassen. Bei einer Infektion können Symptome über Wochen oder Monate anhalten. Spätfolgen wie Lungenschäden können eintreten. Das kann nicht nur eine Saison, sondern die ganze Karriere beenden. Ich glaube nicht, dass es eine große Gruppe von Athleten geben wird, die eine Impfung ausschlagen. Sportkarrieren sind kurz und schnell vergänglich.

Bedeutet das: Der Sport stellt sich hinten an und wartet?

Ich finde, die Sportler haben sich bislang vorbildlich verhalten, ich befürchte nicht, dass sich das ändert. Aber es zerrt natürlich an den Nerven. Es ist zäh, wir stecken schon so lange in den Trainingsroutinen. Ich merke es an mir selber. Ich bin ein echtes Hallenkind und gewohnt, ständig drinnen zu trainieren. Jetzt müssen weite Teile der Vorbereitung im Freien stattfinden. Im Herbst ging es mir noch ganz gut, aber jetzt im Winter – das ist schon eine ganz neue Erfahrung für mich.

Welche Perspektive sehen Sie in den nächsten Monaten?

Ich denke, niemand weiß, ob die Olympischen Spiele stattfinden werden können. Ich versuche, in der bestmöglichen Form zu sein, wenn sie beginnen. Bis dahin versuche ich mich im Spagat, mich und andere vor einer Infektion zu schützen und gleichzeitig mein Training mit der nötigen Motivation zu absolvieren. Kurz: Wir müssen darauf warten, wie die Welt in zwei, drei Monaten aussieht, wenn die Temperaturen wieder steigen. So lange versuchen wir, fit und gesund zu bleiben.

Haben Sie Hoffnung, dass der Sport absehbar aus dem Lockdown kommt?

Es sind schlechte Nachrichten über die mutierte Form des Virus, die aktuell aus Großbritannien oder Südafrika kommen. Ich befürchte, dass es noch eine Zeit lang schwierig sein wird, wieder mit ersten Wettkämpfen zu beginnen.

Vielleicht steht am Ende des Weges ja doch der Gipfel des Sports, die Spiele in Tokio. Wie könnten sie sich anfühlen?

Es wird anders, denke ich. Vieles wird einfach wegfallen. Es wird keine große Abschlussfeier am Ende der Spiele geben. Und es wird nicht viele Besuche in anderen Sportstätten geben können. Ich habe immer gerne die Mannschaftskameraden aus dem Team Deutschland in ihren jeweiligen Sportarten angefeuert. Dieses Gemeinschaftsgefühl wird es in der Form wohl auch nicht geben können.